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BVerwG - Entscheidung vom 13.12.2013

6 BN 3.13

Normen:
VwGO § 101 Abs. 2
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3
ZPO § 128

BVerwG, Beschluss vom 13.12.2013 - Aktenzeichen 6 BN 3.13

DRsp Nr. 2014/1130

Wirksamkeit des Verzichts auf eine weitere mündliche Verhandlung bzgl. Änderung der Wahlordnung der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 101 Abs. 2 ; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3 ; VwGO § 138 Nr. 3 ; ZPO § 128 ;

Gründe

I

Die Antragstellerin, die Studierendenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena, wendet sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen eine Änderung der Wahlordnung der Antragsgegnerin, der Friedrich-Schiller-Universität Jena, soweit durch sie Bestimmungen über die elektronische Wahl in die Wahlordnung eingefügt worden sind.

Die Antragstellerin hat ihren Normenkontrollantrag zusammen mit einzelnen Studenten als Antragsteller beim Oberverwaltungsgericht angebracht. Das Oberverwaltungsgericht hat über den Normenkontrollantrag am 30. Mai 2013 mündlich verhandelt. Es hat dabei die Frage der Antragsbefugnis insbesondere der Antragstellerin angesprochen. Das Oberverwaltungsgericht hat das Verfahren der Antragstellerin abgetrennt. Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin haben erklärt, sie seien damit einverstanden, dass über das abgetrennte Verfahren im schriftlichen Verfahren entschieden wird. In dem Verfahren der übrigen Antragsteller hat das Oberverwaltungsgericht auf deren Normenkontrollantrag durch ein am Schluss der Sitzung verkündetes Urteil die Änderung der Wahlordnung in dem angegriffenen Umfang für unwirksam erklärt.

Die Antragstellerin hat in dem abgetrennten Verfahren zu ihrer Antragsbefugnis Stellung genommen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Antragstellerin durch prozessleitende Verfügung vom 6. August 2013 darauf hingewiesen, unabhängig von den in der mündlichen Verhandlung angesprochenen Zweifeln an ihrer Antragsbefugnis bestünden auch Zweifel an dem Fortbestand des Rechtsschutzinteresses, nachdem die angegriffenen Bestimmungen der Wahlordnung durch das inzwischen rechtskräftige Urteil vom 30. Mai 2013 für unwirksam erklärt worden seien. Die Antragstellerin bat daraufhin um Terminierung der Sache.

Das Oberverwaltungsgericht hat durch das angefochtene Urteil ohne mündliche Verhandlung den Normenkontrollantrag mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig abgelehnt. Es hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

II

Die Beschwerde ist unbegründet. Der als Zulassungsgrund allein geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ). Das Oberverwaltungsgericht hat der Antragstellerin nicht das rechtliche Gehör versagt (§ 138 Nr. 3 VwGO ). Es musste keine mündliche Verhandlung anberaumen, sondern durfte über den Normenkontrollantrag ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden.

1. Die Beteiligten haben sich in der mündlichen Verhandlung vom 30. Mai 2013 gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Das dort erklärte Einverständnis mit einer Entscheidung "im schriftlichen Verfahren" bringt den Verzicht auf eine mündliche Verhandlung eindeutig zum Ausdruck. Ein anderer Bedeutungsgehalt kann dieser Erklärung nicht beigemessen werden.

2. Der Verzicht auf eine weitere mündliche Verhandlung war im Zeitpunkt der Entscheidung noch wirksam.

a) Der Verzicht auf mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 2 VwGO ist einerseits eine grundsätzlich unwiderrufliche Prozesshandlung. Er bezieht sich andererseits seinem Inhalt nach lediglich auf die nächste Entscheidung des Gerichts und wird - wenn diese kein abschließendes Urteil ist - dadurch verbraucht. Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung ist deshalb dann nicht mehr wirksam, wenn nach diesem Verzicht ein Beweisbeschluss ergeht, den Beteiligten durch einen Auflagenbeschluss eine Stellungnahme abgefordert wird oder Akten zu Beweiszwecken beigezogen werden oder sonst neue Erkenntnismittel in den Prozess eingeführt werden (Beschluss vom 1. März 2006 - BVerwG 7 B 90.05 -[...] Rn. 13). Eine derartige den Verzicht verbrauchende Zwischenentscheidung des Oberverwaltungsgerichts ist hier nicht ergangen.

b) Allerdings hatte sich die Prozesslage seit dem Verzicht möglicherweise wesentlich geändert. Das Oberverwaltungsgericht hatte die angegriffenen Rechtsnormen in dem fortgesetzten Verfahren der anderen Antragsteller für unwirksam erklärt. Das Urteil war rechtskräftig geworden. Die Entscheidung war allgemein verbindlich (§ 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ). Dadurch war das Rechtsschutzinteresse für eine weitere Nichtigerklärung derselben Rechtsnormen weggefallen.

Anders als im Zivilprozess führt jedoch eine Änderung der Prozesslage im Verwaltungsprozess weder von selbst zur Unwirksamkeit eines einmal erklärten Verzichts auf mündliche Verhandlung noch macht sie die Erklärung widerruflich. Namentlich ist im Verwaltungsprozess § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht anwendbar, wonach bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage der Verzicht auf mündliche Verhandlung widerruflich ist. Denn das Verfahren der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hat in § 101 Abs. 2 VwGO für den Verwaltungsprozess eine eigenständige Regelung erfahren. Für eine Anwendung des § 128 ZPO über § 173 VwGO ist daneben kein Raum (Beschluss vom 1. März 2006 a.a.O. Rn. 16).

3. Das Oberverwaltungsgericht durfte von dem danach weiterhin wirksamen Verzicht Gebrauch machen.

Zwar steht es im Ermessen des Gerichts, ob es trotz wirksamen Verzichts ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang dafür einzustehen, dass trotz der unterbleibenden mündlichen Verhandlung das rechtliche Gehör der Beteiligten nicht verletzt wird. Danach kann etwa die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung erforderlich sein, wenn ein Beteiligter geltend macht, eine wesentliche Änderung der Prozesslage erfordere unter dem Gesichtspunkt seines rechtlichen Gehörs deren Durchführung (Beschluss vom 1. März 2006 a.a.O. Rn. 14).

Eine solche Lage lag hier nicht vor. Die Antragstellerin hatte Gelegenheit zu der geänderten Prozesslage Stellung zu nehmen. Sie konnte darlegen, aus welchen Gründen aus ihrer Sicht ihr Rechtsschutzbedürfnis fortbestand. Sie konnte auf die geänderte Prozesslage mit der Abgabe von prozessbeendenden Erklärungen oder mit einer Änderung ihres Antrags reagieren. Derartige Möglichkeiten sind ihr nicht dadurch abgeschnitten worden, dass das Oberverwaltungsgericht keine mündliche Verhandlung anberaumt hat. Ob das Oberverwaltungsgericht auf eine Umstellung des Antrags wegen einer dadurch möglicherweise bewirkten Änderung der Prozesslage mit der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung hätte reagieren müssen oder ob es wegen der aus seiner Sicht ohnehin nach wie vor fehlenden Antragsbefugnis und der deswegen unveränderten Prozesslage von dem Verzicht weiter hätte Gebrauch machen dürfen, bedarf keiner Vertiefung, weil die Antragstellerin die ihr eingeräumte Gelegenheit, auf den Wegfall des Rechtsschutzinteresses prozessual zu reagieren, nicht genutzt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 , § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: OVG Thüringen, - Vorinstanzaktenzeichen 1 N 325/13