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BVerwG - Entscheidung vom 25.09.2013

9 B 32.13

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1, 3
BGB § 242

BVerwG, Beschluss vom 25.09.2013 - Aktenzeichen 9 B 32.13

DRsp Nr. 2013/21982

Möglichkeit der alleinigen Begründung von Erschließungs-(oder Ausbau-)beitragspflichten unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben trotz Fehlens der nach der Systematik des jeweiligen Beitragsrechts zu prüfenden Voraussetzungen

1. Die Begründung einer Erschließungsbeitragspflicht kann unter dem auch im öffentlichen Recht Geltung beanspruchenden Gesichtspunkt von Treu und Glauben in Betracht kommen und der Beitragspflichtige kann insbesondere unter dem Gesichtspunkt unzulässiger Rechtsausübung bzw. des Verbots widersprüchlichen Verhaltens gehindert sein, sich auf fehlende rechtliche oder tatsächliche Voraussetzungen für eine Beitragserhebung zu berufen. 2. Ob ein Berufungsgericht den ihm gemäß § 130a VwGO eröffneten Weg einer Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das grundsätzlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist; dabei ist insbesondere die Schwierigkeit der Sache ein im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigender wesentlicher Gesichtspunkt.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. März 2013 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 308,94 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 , 3 ; BGB § 242 ;

Gründe

Die auf eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) sowie einen Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Die Beschwerde bezeichnet folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam:

"Können Erschließungs-(oder Ausbau-)beitragspflichten bei Fehlen der nach der Systematik des jeweiligen Beitragsrechts zu prüfenden Voraussetzungen unabhängig von diesen alleine unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB ) begründet werden, gegebenenfalls unter Hinzutreten besonderer Umstände (hier: jahrzehntelange Einigkeit und Bestätigung über das Erschlossensein durch die Erschließungsanlage, an der beitragspflichtige Maßnahmen vorgenommen wurden, sowie Vereinbarung über die Zahlungsweisen, hier sogar in einer notariellen Urkunde, ferner gegebenenfalls unabhängig von den nach dem jeweiligen Beitragsrecht festzustellenden für die übrigen Grundstücke maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflichten?

Kann unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB ) die Anfechtung eines nach der Systematik des Beitragsrechts als rechtswidrig anzusehenden Beitragsbescheids unzulässig sein, wenn der Beitragsberechtigte und der Beitragspflichtige jahrzehntelang einvernehmlich von einer Erschließung ausgehen, diese nach objektiven Kriterien (hier: Böschung bzw. Grünstreifen) zwar nicht gegeben ist, dieses Hindernis jedoch bei Gewahrwerden nachträglich, das heißt nach Entstehen der sachlichen Beitragspflichten in Bezug auf die konkrete Maßnahme, ausgeräumt wird?"

Diese Fragen vermögen die Revisionszulassung nicht zu rechtfertigen. Sie sind - soweit sie einer generalisierenden Klärung zugänglich sind - durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 24. Februar 2010 - BVerwG 9 C 1.09 - (BVerwGE 136, 126 = Buchholz 406.11 § 133 BauGB Nr. 137) entschieden, dass die Begründung einer Erschließungsbeitragspflicht unter dem auch im öffentlichen Recht Geltung beanspruchenden Gesichtspunkt von Treu und Glauben in Betracht kommen und der Beitragspflichtige insbesondere unter dem Gesichtspunkt unzulässiger Rechtsausübung bzw. des Verbots widersprüchlichen Verhaltens gehindert sein kann, sich auf fehlende rechtliche oder tatsächliche Voraussetzungen für eine Beitragserhebung zu berufen (Rn. 38). Welchen weiteren fallübergreifenden Klärungsbedarf der vorliegende Rechtsstreit aufweist, legt die Beschwerde nicht dar; sie beschränkt sich vielmehr auf eine Kritik an der vorinstanzlichen Entscheidung und auf den Hinweis, der Fall könne Gelegenheit geben, den Grundsatz von Treu und Glauben hinsichtlich seiner Reichweite und seines Inhalts zu konkretisieren. Damit genügt sie ihrer Darlegungslast (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ) nicht; anderenfalls müsste jeder denkbaren Fallkonstellation, die bislang nicht unmittelbar Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung gewesen ist, rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugesprochen werden. Es ist auch in der Sache nicht erkennbar, dass eine Lösung des vorliegenden Falls auf der Grundlage der bereits vorhandenen Rechtsprechung zum Grundsatz von Treu und Glauben nicht möglich wäre, ohne neue einer grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren bedürfende Fragen aufzuwerfen.

2. Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht deswegen verfahrensfehlerhaft, weil der Verwaltungsgerichtshof, nach Anhörung der Beteiligten, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung im vereinfachten Verfahren gemäß § 130a VwGO entschieden hat. Ob ein Berufungsgericht den ihm gemäß § 130a VwGO eröffneten Weg einer Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das grundsätzlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist; dabei ist insbesondere die Schwierigkeit der Sache ein im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigender wesentlicher Gesichtspunkt (stRspr, vgl. Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213 f.> = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 64 S. 52 f. und Beschlüsse vom 27. Januar 2011 - BVerwG 3 B 63.10 - Buchholz 418.01 Zahnheilkunde Nr. 29 = NJW 2011, 1830 jeweils Rn. 8 und vom 7. September 2011 - BVerwG 9 B 62.11 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 61 Rn. 4). Hiernach erweist sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs für das Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO nicht als sachfremd oder grob fehlerhaft, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Streitfall einen außergewöhnlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Die Frage, ob der Grundsatz von Treu und Glauben im Beitragsrecht herangezogen werden kann, um eine Beitragspflicht zu begründen, ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich geklärt. Die Notwendigkeit einer umfassenden Erörterung dieser Frage stellte sich daher im vorliegenden Rechtsstreit nicht. Auch in tatsächlicher Hinsicht war der Fall einfach gelagert. Sowohl die nur wenige Zeilen umfassende Erklärung der Parteien von 1971 als auch die vertragliche Vereinbarung vom 19. November 2008 sind von geringer Komplexität, so dass auch mit der Rüge, das Berufungsgericht habe sich nur oberflächlich mit diesen Erklärungen befasst, eine grobe Fehleinschätzung des Schwierigkeitsgrads der Rechtssache durch das Berufungsgericht nicht dargelegt wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO , die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes aus § 52 Abs. 3 , § 47 Abs. 1 und 3 GKG .

Vorinstanz: VGH Bayern, vom 08.03.2013 - Vorinstanzaktenzeichen VGH