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BVerwG - Entscheidung vom 07.08.2013

2 WNB 2.13

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
WDO § 42 Satz 1
WBO § 23a Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 07.08.2013 - Aktenzeichen 2 WNB 2.13

DRsp Nr. 2013/21389

Mitteilungspflichten eines Gerichts bei Abweichen von einer vorher geäußerten Rechtsauffassung; Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch einen unterlassenen Hinweis

Hält das Gericht durch Mitteilung einer für einen Beteiligten günstigen Rechtsauffassung diesen erkennbar von ergänzendem Vortrag ab, verlangt die Gewährung rechtlichen Gehörs einen Hinweis, wenn an der mitgeteilten Rechtsauffassung nicht mehr festgehalten wird. Das gilt erst recht, wenn der Beteiligte deutlich gemacht hat, dass er für den Fall, dass das Gericht nicht an seiner Tendenz festhalten möchte, weiteren Sach- oder Rechtsvortrag bringen werde.

Tenor

Der Beschluss des Truppendienstgerichts Nord vom 14. Februar 2013 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Truppendienstgericht Nord zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; WDO § 42 Satz 1; WBO § 23a Abs. 2 ;

Gründe

Die fristgerecht eingelegte und mit einer Begründung versehene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Truppendienstgerichts Nord vom 14. Februar 2013 ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Truppendienstgericht.

Nach § 42 Satz 1 WDO i.V.m. § 22b Abs. 1 Satz 1 WBO steht dem Beschwerdeführer bei Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Truppendienstgericht die Nichtzulassungsbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu. Zwar legt die Beschwerde die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO ) nicht den Anforderungen des § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO entsprechend dar, weil sie sich insoweit auf allgemeine Rechtsansichten beschränkt und keine konkrete Rechtsfrage aufwirft. Die Rechtsbeschwerde ist aber auch dann zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO ).

Die Beschwerde rügt vorrangig den Erlass einer Überraschungsentscheidung durch das Truppendienstgericht und damit die Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG . Das Truppendienstgericht habe in einem an den Kommandeur der ... der Luftwaffe adressierten, aber auch dem Verteidiger zur Kenntnis gegebenen Schreiben vom 1. November 2011 mitgeteilt, dass es auf der Grundlage des Schreibens des Leiters des ... der Bundeswehr vom 17. Oktober 2011 dahin tendiere, dass die Disziplinarmaßnahme aufgehoben werde. Obwohl der Verteidiger des Soldaten mit Schreiben vom 26. Dezember 2011 darauf mit dem Hinweis reagiert habe, er gehe zunächst davon aus, dass hier kein weiterer Vortrag erforderlich sei und das Gericht nach wie vor dazu tendiere, die D-Maßnahme aufzuheben, sowie um Mitteilung gebeten habe, falls das Gericht seine Meinung insoweit ändere, habe das Truppendienstgericht ohne Hinweis auf die geänderte Rechtsauffassung den Beschluss zu Lasten des Soldaten erlassen.

Mit diesem Vorbringen macht die Beschwerde einen Verfahrensmangel im Sinne des § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO geltend.

Ein Verfahrensmangel liegt vor, wenn der Anspruch eines Antragstellers oder Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt wird. Dieser in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz gilt auch im wehrbeschwerderechtlichen Antragsverfahren und erstreckt sich - über den Wortlaut des § 18 Abs. 2 Satz 4 WBO hinaus - auf alle für die Entscheidung maßgeblichen Sachfragen sowie auf die Beweisergebnisse (vgl. auch die gemäß § 42 Satz 1 WDO i.V.m. § 23a Abs. 2 WBO auf das Disziplinarbeschwerdeverfahren entsprechend anwendbare Vorschrift des § 108 Abs. 2 VwGO ), ferner auf entscheidungsrelevante Rechtsfragen, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gibt (vgl. Beschluss vom 19. April 2010 - BVerwG 2 WNB 1.10 - Rn. 4). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht dazu, den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung zum Streitstoff zu geben und diese Äußerungen zu berücksichtigen, das heißt zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidungsfindung in Erwägung zu ziehen (stRspr, vgl. z.B. Urteile vom 29. November 1985 - BVerwG 9 C 49.85 -Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 S. 65 und vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 22.88 - Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 29 S. 6; Beschluss vom 21. April 2010 - BVerwG 2 WNB 2.10 - Rn. 5).

Eng damit zusammen hängt das ebenfalls aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Verbot von "Überraschungsentscheidungen" (vgl. Beschluss vom 27. September 2012 - BVerwG 2 WRB 1.12 - Rn. 15). Die Beteiligten müssen die Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt zudem voraus, dass die Verfahrensbeteiligten bei Anwendung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermögen, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann (vgl. BVerfG Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Kammerbeschluss vom 20. September 2012 - BVerfG 1 BvR 1633/09 - [...] Rn. 11). Nur ein Prozessbeteiligter, der bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, welches nach der Auffassung des Gerichts die für die Entscheidung erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte sind, kann im Sinne der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs auf die gerichtliche Entscheidung und ihr Ergebnis Einfluss nehmen. Deshalb erwächst aus dem rechtlichen Gehör auch ein Anspruch der Verfahrensbeteiligten, nicht durch Unkenntnis in diesem Punkt an einer sachdienlichen Äußerung gehindert zu sein (Dawin in: Schoch/ Schneider/Bier, VwGO , § 108 Rn. 155). Zwar verlangt Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht, dass ein Gericht vor seiner Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist (BVerfG Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 -[...] Rn. 7). Hält das Gericht aber durch Mitteilung einer für ihn günstigen Rechtsauffassung einen Beteiligten erkennbar von ergänzendem Vortrag ab, verlangt die Gewährung rechtlichen Gehörs auch den Hinweis, dass an der mitgeteilten Rechtsauffassung nicht mehr festgehalten wird (vgl. Kopp/Schenke, VwGO , 19. Aufl. 2013, § 108 Rn. 25 zur Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung).

Gegen diese Grundsätze hat das Truppendienstgericht in dem angefochtenen Beschluss verstoßen, weil es mit Schreiben vom 1. November 2011, das dem Verteidiger des Soldaten am 13. Dezember 2011 zur Kenntnis übersandt wurde, mitgeteilt hat, dass es auf der Grundlage der beiden letzten Absätze des Schreibens des Leiters des ... der Bundeswehr dahin tendiert, die Disziplinarmaßnahme aufzuheben. Das Gericht bezog sich damit auf eine von ihm eingeholte fachliche Stellungnahme des Leiters des ... der Bundeswehr vom 17. Oktober 2011. Der Verteidiger des Soldaten hatte aufgrund der vom Gericht angezeigten Tendenz seiner Entscheidung mit Schreiben vom 26. Dezember 2011 an das Truppendienstgericht ausdrücklich mitgeteilt, dass er "zunächst davon ausgehe, dass hier kein weiterer Vortrag erforderlich ist" und das Gericht nach wie vor dazu tendiere, die D-Maßnahme aufzuheben. Weiter heißt es in diesem Schriftsatz: "Sollte das Gericht seine Meinung insoweit ändern, bitte ich um Mitteilung." Damit hatte der Verteidiger deutlich gemacht, dass er, für den Fall, dass das Gericht nicht an seiner Tendenz festhalten möchte, weiteren Sach- oder Rechtsvortrag bringen werde.

Sein Schreiben lässt erkennen, dass die Verteidigung durch den sich für sie abzeichnenden Erfolg der weiteren Beschwerde von weiteren gegebenenfalls als entscheidungserheblich angesehenen Ausführungen abgehalten wurde. In dieser Lage hätte es der Anspruch des Soldaten auf ein faires Verfahren erfordert, der Verteidigung im Vorfeld der anstehenden Kammerentscheidung mit zwei bislang nicht mit der Sache befassten ehrenamtlichen Richtern zu verdeutlichen, dass die Überlegungen vom 1. November 2011 das Beratungsergebnis nicht vorwegnehmen können und deshalb alle Tatsachen und Erwägungen vorgetragen werden sollten, die der Soldat bei der Kammerberatung möglicherweise noch berücksichtigt sehen will. Das Gericht hat aber, abweichend von seiner zunächst mitgeteilten Tendenz, die Disziplinarmaßnahme nicht aufgehoben, sondern die weitere Beschwerde des Soldaten zurückgewiesen, ohne ihm insoweit vorher einen Hinweis zu geben. Deshalb konnte der Verteidiger nicht davon ausgehen, dass er seine weiteren Argumente dem Gericht hätte vortragen müssen.

Der festgestellte Verfahrensfehler stellt im Sinne des § 138 Nr. 3 VwGO einen absoluten Revisionsgrund dar, bei dem stets davon auszugehen ist, dass die Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Die Vorschrift des § 138 Nr. 3 VwGO ist gemäß § 23a Abs. 2 WBO in den Verfahren nach §§ 22a und 22b WBO entsprechend anwendbar (Beschluss vom 21. April 2010 - BVerwG 2 WNB 2.10 - Rn. 9).

Der Verteidiger führt in der Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde unter Beweisantritt auch aus, was er dem Truppendienstgericht im Fall eines Hinweises auf dessen geänderte Rechtsauffassung ergänzend vorgetragen hätte, und kommt damit seiner Darlegungspflicht gemäß § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO nach. In Betracht kommt dabei nur solcher Vortrag, der nach der Rechtsauffassung des Truppendienstgerichtes für die Entscheidung relevant sein kann. Das ist hier der Fall, denn das Truppendienstgericht hat seinem Beschluss zum einen die Auffassung zugrunde gelegt, dass der Beschwerdeführer in der Mittagszeit die Möglichkeit zu einer Pause gehabt hätte. Dem hält der Beschwerdeführer unter Berufung auf eine Stellungnahme des Hauptfeldwebels ... vom 15. Dezember 2010 entgegen, dass er wie von den Vorschriften gefordert unter Beachtung des Flugbetriebes und seiner Erreichbarkeit in die Pause gegangen sei. Zum anderen stellt das Truppendienstgericht entscheidungstragend darauf ab, dass Pausen per definitionem Arbeitsunterbrechungen seien und deshalb nach einer Pause zwingend der Dienst wieder aufgenommen werden müsse. Bei der Bildung dieser Rechtsauffassung hätte das Gericht - bei rechtzeitigem Vortrag des Beschwerdeführers - erwogen, dass nach dem unter Beweis gestellten Vorbringen bei der ... die gängige Praxis eine andere Definition der Pause zugrunde legt, der zufolge auch dann eine Pause im Sinn der Regelungen der ZDv angenommen werden kann, wenn sie an das Ende des Dienstes gelegt wird, weil die dienstlichen Gegebenheiten sie vorher nicht zuließen.

Mit diesem Vorbringen beruft sich die Beschwerde auf - noch festzustellende -Tatsachen, denen die Truppendienstkammer nicht nachgegangen ist. Da das im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht nachgeholt werden kann, wird die Sache unter Aufhebung des Beschlusses vom 14. Februar 2013 an das Truppendienstgericht zurückverwiesen. Dies ist im Interesse der Verfahrensbeschleunigung möglich, weil in den Verfahren nach §§ 22a und 22b WBO gemäß § 23a Abs. 2 WBO auch die Vorschrift des § 133 Abs. 6 VwGO entsprechend gilt, die es dem Bundesverwaltungsgericht in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde ermöglicht, den Rechtsstreit bei einem festgestellten Verfahrensmangel unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (Beschluss vom 21. April 2010 - BVerwG 2 WNB 2.10 - Rn. 10 m.w.N.). Davon macht der Senat hier im Interesse der Verfahrensbeschleunigung Gebrauch.

Vorinstanz: TDiG Nord, vom 14.02.2013