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BVerwG - Entscheidung vom 11.01.2013

1 B 20.12 (1 PKH 14.12)

Normen:
AufenthG § 31 Abs. 2 S. 2 Alt. 2

BVerwG, Beschluss vom 11.01.2013 - Aktenzeichen 1 B 20.12 (1 PKH 14.12)

DRsp Nr. 2013/2295

Freiheit zur sexuellen Neu-Orientierung eines ausländischen Ehepartners i.S. eines Bekenntnisses zu seiner Homosexualität als schutzwürdiger Belang i.S.v. § 31 Abs. 2 S. 2, 2. Alt. AufenthG als klärungsbedürftige Rechtsfrage

Es liegt keine Überraschungsentscheidung vor, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entsprechen oder von ihm für unrichtig gehalten werden.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Juli 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt.

Normenkette:

AufenthG § 31 Abs. 2 S. 2 Alt. 2;

Gründe

Der Prozesskostenhilfeantrag ist - wie sich aus den nachfolgenden Darlegungen ergibt - mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO ).

Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) und das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung angeführten Gesichtspunkte rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.

1. Die Beschwerde sieht als klärungsbedürftig an,

"ob die Freiheit zur sexuellen Neu-Orientierung eines ausländischen Ehepartners im Sinne eines Bekenntnisses zu seiner Homosexualität ein schutzwürdiger Belang im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. AufenthG ist, der das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft objektiv als unzumutbar erscheinen lassen kann."

Sie legt jedoch nicht - wie erforderlich - die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage dar. Soweit sie behauptet, das Berufungsgericht habe diese Frage implizit verneint, verkennt sie, dass das Berufungsgericht ersichtlich davon ausgegangen ist, dass auch die Aufhebung einer ehelichen Lebensgemeinschaft, die ihre Ursache in der sexuellen Orientierung eines Ehegatten findet, eine Zwangslage im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG begründen kann. Auch in diesem Fall bedürfe es aber einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles. Mit Blick auf die besonderen Umstände fehle es im Fall des Klägers bei objektiver Betrachtung an einer entsprechenden Zwangslage (UA S. 9). Begründet hat das Berufungsgericht dies damit, dass der Kläger mit dem Wissen um seine sexuelle Orientierung nach Scheidung seine frühere Ehefrau erneut geheiratet habe. Mit der Verlagerung des Wohnsitzes nach Deutschland hätten sich die Umstände lediglich insoweit verändert, als es ihm nunmehr möglich gewesen sei, seine sexuelle Orientierung auszuleben und er diese Möglichkeit habe nutzen wollen. Dass ihm die Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht unzumutbar gewesen sei, zeige sich auch daran, dass er den (frühen) Trennungszeitpunkt auch mit Rücksicht auf die Interessen seiner Ehefrau gewählt habe. Die Erklärungen des Klägers rechtfertigten außerdem die Annahme, dass nicht die behauptete Erkenntnis der Homosexualität, sondern erst die erfolgreich verlaufene Suche nach einem neuen Partner für die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft ursächlich gewesen sei (UA S. 9 f.). Diese konkrete Einzelfallwürdigung ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

2. Die Beschwerde bemängelt auch ohne Erfolg, dass das Berufungsgericht eine überraschende Entscheidung erlassen und so den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ; § 108 Abs. 2 VwGO ) verletzt habe.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör begründet grundsätzlich keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten seine Auffassung jeweils vor einer Entscheidung zu offenbaren. Ein Gericht muss die Beteiligten in der Regel nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinweisen und offenlegen, wie es seine Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung (stRspr, vgl. etwa Beschluss 29. Januar 2010 - BVerwG 5 B 21.09 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 61 Rn. 18 m.w.N.). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verbietet aber, dass ein Beteiligter durch die angegriffene Entscheidung im Rechtssinne überrascht wird. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchten (stRspr, Beschluss vom 25. Mai 2001 - BVerwG 4 B 81.00 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 34 m.w.N.). Dagegen kann von einer Überraschungsentscheidung nicht gesprochen werden, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt oder aus ihnen Schlussfolgerungen zieht, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entsprechen oder von ihm für unrichtig gehalten werden (Urteil vom 2. Dezember 2009 - BVerwG 5 C 24.08 - BVerwGE 135, 302 Rn. 34 = Buchholz 130 § 11 StAG Nr. 5). Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör durch eine unzulässige Überraschungsentscheidung hier nicht erfüllt.

Soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsgericht hätte darauf hinweisen müssen, dass es der Auffassung sei, dass der Kläger bereits vor seiner Ausreise nach Deutschland abschließend und alternativlos seine Homosexualität erkannt und als die einzige ihm gemäße Form der Partnerschaft angenommen habe, ist dem angegriffenen Urteil nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht seine Entscheidung auf eine derartige Feststellung gestützt hat. Wie die Beschwerde selbst darlegt, ist das Berufungsgericht lediglich davon ausgegangen, dass der Kläger bereits vor Eingehung der Ehe um seine sexuellen Vorlieben gewusst habe. Seine Feststellung, dass die erfolgte Trennung nicht das Resultat einer für den Kläger unzumutbaren Zwangslage gewesen sei, beruht hingegen auf einer wertenden Betrachtung der Gesamtumstände. Dass das Berufungsgericht den Beteiligten das Ergebnis dieser Einzelfallwürdigung nicht vorab mitgeteilt hat und der Kläger es in der Sache für unrichtig hält, begründet keinen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO . Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 05.07.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 18 A 1936/11