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BVerfG - Entscheidung vom 23.05.2013

1 BvR 2059/12

Normen:
BVerfGG § 90 Abs. 2
FamFG § 169
EMRK Art. 8
BGB § 1686a Abs. 1 Nr. 2

Fundstellen:
FamFR 2013, 404
FamRB 2013, 281
FamRZ 2013, 1195
FuR 2013, 4

BVerfG, Beschluss vom 23.05.2013 - Aktenzeichen 1 BvR 2059/12

DRsp Nr. 2013/17680

Verfassungsmäßigkeit der Anordnung einer Abstammungsbegutachtung i.R.e. familiengerichtlichen Umgangsverfahrens bzgl. eines Kindes unter dem Blickwinkel des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung

1. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt auch die Entscheidung über die Preisgabe und Verwertung von Daten, die Informationen über genetische Merkmale einer Person enthalten, aus denen sich in Abgleich mit den Daten einer anderen Person Rückschlüsse auf die Abstammung ziehen lassen. 2. Nach der vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters geltenden Rechtslage konnte der potentielle leibliche Vater die Klärung der Vaterschaft nicht gegen den Willen des Kindes, der Mutter oder des rechtlichen Vaters herbeiführen.

Tenor

1.

Der Beschluss des Amtsgerichts Diez vom 21. August 2012 - 12 F 35/12 - verletzt die Beschwerdeführerin zu 1) und den Beschwerdeführer zu 3) in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes ), die Beschwerdeführerin zu 1) in ihrem Grundrecht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes ) sowie die Beschwerdeführerin zu 1) und den Beschwerdeführer zu 2) in ihrem Elternrecht (Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes ).

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 15. November 2012 - 7 WF 946/12 - gegenstandslos.

2.

Das Land Rheinland-Pfalz hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

3.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 4.000 € (in Worten: viertausend Euro) festgesetzt.

Normenkette:

BVerfGG § 90 Abs. 2 ; FamFG § 169 ; EMRK Art. 8 ; BGB § 1686a Abs. 1 Nr. 2 ;

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung einer Abstammungsbegutachtung im Rahmen eines familiengerichtlichen Umgangsverfahrens.

1. Die Beschwerdeführerin zu 1) ist die Mutter des im Juli 2007 geborenen Beschwerdeführers zu 3). Rechtlicher Vater ist der mit der Beschwerdeführerin zu 1) seit 2002 verheiratete Beschwerdeführer zu 2). Das Kind lebt seit seiner Geburt mit den Eltern in einem gemeinsamen Haushalt, inzwischen gemeinsam mit einer jüngeren Schwester. Im Ausgangsverfahren begehrt der dortige Antragsteller, der nach dem zwischen den Beteiligten unstreitigen Sachverhalt neben dem Beschwerdeführer zu 2) als leiblicher Vater des Kindes in Betracht kommt, ihm ein Recht auf wöchentlichen unbegleiteten Umgang mit dem Beschwerdeführer zu 3) einzuräumen und die Eltern zu regelmäßiger Auskunft über die persönlichen Verhältnisse, die Entwicklung und die Gesundheit des Kindes zu verpflichten, dessen Abstammung als Vorfrage zu klären sei. Der Beschwerdeführer zu 3) weiß weder, dass er möglicherweise nicht vom Beschwerdeführer zu 2) abstammt, noch hatte er bisher Kontakt zum Antragsteller des Ausgangsverfahrens.

2. Mit Beweisbeschluss vom 21. August 2012 ordnete das Amtsgericht an, dass über die Frage, ob der "Antragsgegner" (gemeint war anscheinend der Antragsteller) Vater des Kindes ist, Beweis erhoben werden solle durch Einholung eines Abstammungsgutachtens. Es bestellte ein Genanalyselabor zum Sachverständigen und bestimmte, dass in die Begutachtung der Beschwerdeführer zu 3), die Beschwerdeführerin zu 1) und der Antragsteller einbezogen werden sollten. Eine Begründung enthielt der Beweisbeschluss nicht.

3. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 15. November 2012 als unzulässig. Die Beschwerde sei nicht statthaft. Zwischenentscheidungen seien gemäß § 58 FamFG grundsätzlich nicht selbständig anfechtbar, sondern nur im Rahmen eines gegen die Endentscheidung gerichteten Rechtsmittels inzident überprüfbar. Dies gelte auch für einen Beweisbeschluss, der die Einholung eines DANN-Abstammungsgutachtens im Rahmen eines Vaterschaftsfeststellungsverfahrens anordne, und habe den Hintergrund, dass Beschlüsse, mit denen ein Sachverständiger bestellt und beauftragt werde, mangels Verpflichtung der Beteiligten zur Duldung der Untersuchung beziehungsweise zur Mitwirkung an ihr noch nicht in erheblichem Maße in ihre Rechte eingriffen. Über den nach der derzeitigen Rechtslage auch ohne entsprechende Verweisung analog anzuwendenden § 178 Abs. 2 FamFG in Verbindung mit § 387 ZPO könne die Verweigerung der Untersuchung erklärt und deren Rechtmäßigkeit im Zwischenverfahren geklärt werden. Gegen eine die Teilnahme an der Begutachtung erzwingende Festsetzung von Ordnungsmitteln könne sofortige Beschwerde eingelegt werden. Damit sei ausreichender Rechtsschutz gewährleistet. Dies zugrunde gelegt, sei auch kein krasser Ausnahmefall gegeben, der eine Anfechtbarkeit des Beweisbeschlusses selbst gebieten würde, denn die mit dem angefochtenen Beweisbeschluss angeordneten Untersuchungen seien nach § 178 Abs. 1 FamFG (analog) beziehungsweise dem nach einem Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters einzufügenden § 163a FamFG grundsätzlich zu dulden, so dass der Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG gewahrt sei. Weder die maßgebliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch der Referentenentwurf sähen vor, dass bereitsvorKlärung der Abstammung eine Kindeswohldienlichkeit des Umgangs festgestellt werden müsse.

II.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und 2 sowie Art. 6 Abs. 1 , 2 und 4 GG .

1. Dem mit dem angegriffenen Beweisbeschluss verbundenen Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführer fehle eine ausreichende Legitimation. Die beabsichtigten Gesetzesänderungen belegten, dass derzeit noch keine ausreichende Rechtsgrundlage für den Grundrechtseingriff vorhanden sei. Die Beschwerdeführerin zu 1) und der Beschwerdeführer zu 2) lebten seit jeher in einer stabilen, gefestigten familiären Gemeinschaft, für deren Fortsetzung sie sich im Bewusstsein der Möglichkeit der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers gerade auch mit Rücksicht auf die klare Rechtslage, die ihnen eine Bewahrung der Ungewissheit über die Abstammung des Beschwerdeführers zu 3) ermöglichte, entschieden hätten. Vor einer Klärung der Abstammung sei auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Kindeswohldienlichkeit etwaiger Umgangskontakte des Antragstellers mit dem Kind zu prüfen. Mit dem Vorliegen eines Abstammungsgutachtens werde der Grundrechtseingriff unumkehrbar vollzogen.

2. Auf den mit der Verfassungsbeschwerde verbundenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 17. Dezember 2012 den angegriffenen Beweisbeschluss des Amtsgerichts vom 21. August 2012 einstweilen außer Kraft gesetzt.

3. Die Verfassungsbeschwerde ist der Landesregierung Rheinland-Pfalz und dem Antragsteller des Ausgangsverfahrens zugestellt worden.

Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens hat sich geäußert und ist der Ansicht, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, zumindest aber unbegründet. Die Beschwerdeführerin zu 1) und der Beschwerdeführer zu 2) seien nicht befugt, den Beschwerdeführer zu 3) zu vertreten, weil sie im vorliegenden Verfahren allein ihre eigenen Interessen auf Kosten derjenigen des Kindes verträten. Der Beweisbeschluss greife nicht in die Rechte der Beschwerdeführer ein, die zudem gehalten gewesen seien, zunächst eine Zwischenentscheidung gemäß § 178 Abs. 2 FamFG , § 387 ZPO herbeizuführen. § 178 Abs. 1 FamFG stelle eine ausreichende Rechtsgrundlage für die zwangsweise Durchsetzung einer Abstammungsuntersuchung dar und gelte für alle familiengerichtlichen Verfahren, in denen - auch inzident - Beweis über die Abstammung erhoben werden müsse. § 1685 Abs. 2 BGB sei verfassungs- und menschenrechtskonform dahingehend auszulegen, dass er auch dem leiblichen Vater, der noch keine tatsächliche Beziehung zu dem Kind habe, ein Umgangsrecht einräume. Auch dieser sei durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt, was das Bundesverfassungsgericht indessen noch nicht eindeutig entschieden habe. Entsprechendes gelte hinsichtlich eines Auskunftsrechts, das zudem nur voraussetze, dass die Auskunftserteilung dem Kindeswohl nichtwiderspreche, was vorliegend nicht ersichtlich sei; schon hierfür sei die Klärung der Abstammung geboten, so dass es nicht auf die - nach Ansicht des Antragstellers zu verneinende - Frage ankomme, ob die Kindeswohldienlichkeit des Umgangs vor der Abstammungsklärung bereits festgestellt sein müsse.

4. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer bei ihrer Entscheidung vorgelegen.

III.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG ). Die Verfassungsbeschwerde ist mit Blick auf die für den vorliegenden Fall maßgeblichen und durch das Bundesverfassungsgericht bereits hinreichend geklärten Fragen offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit mit ihr eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihren in der Entscheidungsformel bezeichneten Grundrechten gerügt wird.

a) Die Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG ist gewahrt. Ob die durch die Beschwerdeführer gegen den Beweisbeschluss als gemäß § 58 FamFG grundsätzlich unanfechtbare Zwischenentscheidung eingelegte - und vom Oberlandesgericht unter Hinweis auf diese Vorschrift als unstatthaft verworfene - sofortige Beschwerde überhaupt zum Rechtsweg gehörte, kann offenbleiben, da die Beschwerdeführer ihre Verfassungsbeschwerde gerade wegen der eigenen Zweifel an der Anfechtbarkeit des Beweisbeschlusses vorsorglich bereits unmittelbar gegen die amtsgerichtliche Entscheidung und in Bezug auf diese fristgerecht eingelegt haben.

b) Die Beschwerdeführerin zu 1) und der Beschwerdeführer zu 2) sind auch nicht von der Vertretung des Beschwerdeführers zu 3) im Verfahren der Verfassungsbeschwerde ausgeschlossen. Sie sind gemeinsam sorgeberechtigt und haben die Verfassungsbeschwerde im Namen des Kindes gemeinsam eingelegt. Soweit in der Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Befugnis der Eltern zur Vertretung ihrer minderjährigen Kinder in Zweifel gezogen wurde, weil sie an der Erhebung der Verfassungsbeschwerde wegen eines Interessenwiderstreits gehindert waren, betraf dies Fälle, in denen die sorgeberechtigten Eltern aufgrund gegensätzlicher Interessen eine im Interesse des Kindes liegende Verfassungsbeschwerdenichterhoben hätten. Die Bestellung eines Ergänzungspflegers wurde in einem Kindesentführungsfall für erforderlich gehalten, in dem nur ein mitsorgeberechtigter Elternteil die Verfassungsbeschwerde im Namen des Kindes erhoben hatte, weil der andere sorgeberechtigte Elternteil kein Interesse an der Verfassungsbeschwerde gegen die ihm günstige Entscheidung hatte (vgl. BVerfGE 99, 145 <155>). In einem Sorgerechtsfall wurde die Vertretung des Kindes durch eine andere Person als die Eltern für erforderlich gehalten, um dessen Rechte gegen die Interessen der sorgeberechtigten Eltern durchzusetzen, die kein Interesse daran hatten, für ihre Kinder Verfassungsbeschwerde gegen eine den Eltern günstige Sorgerechtsentscheidung einzulegen (vgl. BVerfGE 72, 122 <132 ff.>). Der vorliegende Fall, in dem die sorgeberechtigten Eltern gemeinsam im Namen des Kindes Verfassungsbeschwerde eingelegt haben, ist damit nicht vergleichbar. Offenkundig sind die Beschwerdeführerin zu 1) und der Beschwerdeführer zu 2) hier nicht wegen eines Interessenwiderstreits an der Erhebung der Verfassungsbeschwerde gehindert.

c) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht der in § 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes entgegen.

aa) Das Abwarten der Endentscheidung in der Hauptsache und das Beschreiten des Rechtswegs gegen diese Endentscheidung ist den Beschwerdeführern nicht zuzumuten, weil sie die Grundrechtsverletzung bereits darin sehen, dass die biologische Abstammung des Kindes überhaupt - und zwar als Vorfrage für die eigentliche Entscheidung über das Umgangs- und Auskunftsrecht des Antragstellers - geklärt werden soll. Diese Feststellung würde für die Beschwerdeführer einen bleibenden Nachteil bedeuten, der mit einer gegen die Endentscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde nicht mehr behoben werden könnte (vgl. BVerfGE 58, 1 <23>; 101, 106 <120>).

bb) Ebenso wenig waren die Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde gehalten, eine Klärung im Rahmen des Zwischenstreits nach § 178 Abs. 2 Satz 1 FamFG beziehungsweise § 372a Abs. 2 ZPO in Verbindung mit §§ 386 ff. ZPO herbeizuführen. Hiernach kann ein von einer Abstammungsuntersuchung betroffener Beteiligter eine Entscheidung des erkennenden Gerichts über die Rechtmäßigkeit seiner Weigerung zur Duldung einer für die Abstammungsbegutachtung angeordneten Untersuchung herbeiführen. Da die Beschwerdeführer jedoch gerade rügen, dass die bestehenden Eingriffsbefugnisnormen in der vorliegenden Fallkonstellation nicht griffen, sind sie auch nicht auf ein Verfahren zu verweisen, das zum Schutz gegen auf diese Vorschriften gestützte Eingriffe vorgesehen ist. Denn die Frage nach einer - den Rechtsschutz nach § 178 Abs. 2 Satz 1 FamFG beziehungsweise § 372a Abs. 2 ZPO gegebenenfalls eröffnenden - grundsätzlichen Duldungspflicht ist gerade Gegenstand der Verfassungsbeschwerde.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin zu 1) und den Beschwerdeführer zu 3) in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ), die Beschwerdeführerin zu 1) in ihrem Grundrecht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ) sowie die Beschwerdeführerin zu 1) und den Beschwerdeführer zu 2) in ihrem Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 GG ).

a) Die Beschwerdeführerin zu 1) und der Beschwerdeführer zu 3) sind in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.

aa) Das von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasste Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 65, 1 <43>) schützt auch die Entscheidung über die Preisgabe und Verwertung von Daten, die Informationen über genetische Merkmale einer Person enthalten, aus denen sich in Abgleich mit den Daten einer anderen Person Rückschlüsse auf die Abstammung ziehen lassen (vgl. BVerfGE 103, 21 <32>; 117, 202 <232>). Einschränkungen dieses Rechts bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen ergeben und die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (vgl. BVerfGE 65, 1 <43 f.>; 120, 378 <401 ff.>).

bb) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts nicht gerecht, denn der Beweisbeschluss beschränkt das Grundrecht der Beschwerdeführerin zu 1) und des Beschwerdeführer zu 3), ohne dass hierfür eine gesetzliche Grundlage besteht.

(1) Eine Klärung der Abstammung greift in den Schutzbereich des Rechts der Beschwerdeführerin zu 1) und des Beschwerdeführers zu 3) auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ) ein. Ein solcher Eingriff liegt hier bereits in der bloßen Anordnung der Beweiserhebung. Der Beweisbeschluss ist darauf gerichtet, durch eine genetische Untersuchung die Abstammung des Beschwerdeführers zu 3) väterlicherseits zu ermitteln, ohne im Übrigen eine konkrete Untersuchungsmethode vorzugeben. Ob ein Beweisbeschluss dann nicht in Grundrechte eingreift, wenn der Betroffene die Durchführung der Beweisaufnahme noch durch Verweigerung einer Mitwirkung an der Untersuchung und Herbeiführung einer Entscheidung im Zwischenverfahren vermeiden kann (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. Januar 2007 - XII ZB 154/06 -, FamRZ 2007, S. 549 ), kann hier offenbleiben. Denn die Möglichkeit der Durchführung des Zwischenverfahrens hängt - wie oben [1. c) bb)] ausgeführt - davon ab, ob § 178 Abs. 2 FamFG , der zu den Vorschriften über das Verfahren in Abstammungssachen zählt, auch im vorliegenden Verfahren um Umgangs- und Auskunftsrechte anwendbar ist. Dies war im Zeitpunkt der hier angegriffenen Entscheidungen objektiv nicht der Fall, auch wenn das Oberlandesgericht zu Unrecht davon ausging, dass die Beweisanordnung auf § 178 Abs. 1 FamFG gestützt werden könnte und demgemäß ein Zwischenverfahren nach § 178 Abs. 2 FamFG grundsätzlich eröffnet wäre [siehe unten (2) (b)].

(2) Der Eingriff ist nicht gerechtfertigt, da eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die angeordnete Abstammungsbegutachtung nicht bestand.

(a) Auf die allgemeine Ermittlungsbefugnis des Familiengerichts aus §§ 26 , 29 , 30 FamFG konnte der Eingriff nicht gestützt werden. Hiernach ermittelt das Gericht in Familiensachen (§ 111 FamFG ), die keine Ehe- oder Familienstreitsachen sind, von Amts wegen die entscheidungserheblichen Tatsachen und kann die dafür erforderlichen Beweise erheben (§§ 112 , 113 Abs. 1 FamFG ). Sofern Ermittlungsmaßnahmen und Beweiserhebungen jedoch in die geschützten Rechte anderer eingreifen, bedarf es einer speziellen Eingriffsbefugnis (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 1995 - 2 BvR 103/92 -, NStZ 1996, S. 45 f.), wie sie etwa für die Abstammungsbegutachtung derzeit in § 178 Abs. 1 FamFG und § 372a Abs. 1 ZPO enthalten ist und sich künftig nach dem Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters in § 167a FamFG finden soll (vgl. BTDrucks 17/12163 und 17/13269; BT-PlPr 17/237, S. 29840C bis 29848A).

(b) § 178 Abs. 1 FamFG konnte - ohne Verstoß gegen das rechtsstaatliche Willkürverbot - für die vorliegende Konstellation ebenfalls nicht als Grundlage für den Eingriff herangezogen werden. Nach dieser Vorschrift hat jede Person die für die Feststellung der Abstammung erforderlichen Untersuchungen zu dulden, es sei denn diese sind unzumutbar.

(aa) Sofern man der Auffassung ist, dass § 178 FamFG als Teil der Vorschriften über das Verfahren in Abstammungssachen unmittelbar nur für die in § 169 FamFG aufgezählten Abstammungsverfahren gilt (vgl. Musielak/Borth, Familiengerichtliches Verfahren, 3. Aufl., § 178 FamFG , Rn. 2), kann eine Abstammungsbegutachtung in einem Umgangsverfahren hierauf nicht gestützt werden. Eine analoge Anwendung der Vorschrift scheidet dann ebenfalls aus, denn dazu fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke: Bislang hat der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen, einem potenziellen leiblichen Vater ein Umgangs- und Auskunftsrecht einzuräumen, soweit er keine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind hat, und ihm hierfür die Möglichkeit einer Klärung der Abstammung zu eröffnen.

(bb) Folgt man der Ansicht, dass die Anwendbarkeit des § 178 Abs. 1 FamFG nicht auf die in § 169 FamFG aufgezählten Verfahren beschränkt ist, sondern immer gelte, wenn ein Abstammungsverhältnis - sei es auch als bloße Vorfrage - in einem familiengerichtlichen Verfahren beweisbedürftig ist (vgl. Bumiller/Haders, in: dies., FamFG - Freiwillige Gerichtsbarkeit, 10. Aufl., § 178 FamFG , Rn. 1), führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Auch dann darf diese grundrechtsbeschränkende Vorschrift nur angewandt werden, soweit die Klärung der Abstammung für die Prüfung der Voraussetzungen eines gesetzlich normierten Rechts erforderlich ist. Da nach der bei Erlass des Beweisbeschlusses geltenden Rechtslage dem leiblichen Vater eines Kindes, der nicht die rechtliche Stellung als Vater innehatte, kein Recht eingeräumt war, gegen den Willen der Sorgeberechtigten Umgang mit dem Kind zu pflegen oder Auskunft über es zu verlangen, sofern er nicht bereits eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind entwickelt hatte (vgl. § 1685 Abs. 2 BGB ), konnte die Klärung der Abstammung hier insoweit nicht erforderlich sein.

(cc) Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese bisher geltende gesetzliche Regelung mit Blick auf Art. 8 EMRK für unzureichend erklärt hat.

Nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ( EGMR ) verstößt es gegen Art. 8 EMRK , wenn einem leiblichen Vater, der nicht zugleich der rechtliche Vater ist, bei Fehlen einer sozial-familiären Beziehung zu dem Kind ein Recht auf Umgang mit ihm und Auskunft über seine persönlichen Verhältnisse prinzipiell versagt wird, ohne dass eine gerichtliche Prüfung vorgenommen werden könnte, ob der Umgang im konkreten Fall dem Kindeswohl dienen würde (vgl. EGMR , Urteil vom 21. Dezember 2010, A. gegen Deutschland, Az. 20578/07). Im Rahmen einer solchen Prüfung sollen die Gerichte im Umgangsverfahren erforderlichenfalls auch die leibliche Vaterschaft klären, wenn sie davon ausgehen, dass der Umgang im konkreten Fall - die leibliche Vaterschaft des den Umgang begehrenden Mannes unterstellt - kindeswohldienlich wäre ( EGMR , Urteil vom 15. September 2011, S. gegen Deutschland, Az. 17080/07).

Auf diese Rechtsprechung allein lässt sich der Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen jedoch nicht stützen. Es ist Aufgabe desGesetzgebers, in Umsetzung dieser Rechtsprechung entsprechende materielle Rechtsgrundlagen und Verfahrensregeln zu schaffen, zumal es gerade bei mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen wie in der vorliegenden Konstellation nicht selten unterschiedliche Wege geben wird, eine festgestellte Konventionswidrigkeit zu beheben.

Mittlerweile ausdrücklich in Reaktion auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beschlossene Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und die Begründung des ihnen zugrunde liegenden Regierungsentwurfs (vgl. BTDrucks 17/12163, S. 10) belegen, dass auch der Gesetzgeber davon ausging, dass die bisher bestehenden Regelungen keine Grundlage dafür bieten, dem potentiellen leiblichen Vater die Klärung der Vaterschaft gegen den Willen des Kindes, der Mutter oder des rechtlichen Vaters zu ermöglichen.

(c) Schließlich findet der Beweisbeschluss nicht in der absehbaren Gesetzesänderung eine die Grundrechtseingriffe tragende gesetzliche Grundlage.

Am 25. April 2013 hat der Bundestag das Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters beschlossen [siehe oben (a)]. Dieses sieht insbesondere vor, dass dem leiblichen Vater, der ein ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat, für das die rechtliche Vaterschaft eines anderen Mannes besteht, ein Umgangsrecht gewährt wird, sofern dies dem Kindeswohl dient (§ 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB -E). Ferner hat der leibliche Vater bei berechtigtem Interesse einen Anspruch auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht (§ 1686a Abs. 1 Nr. 2 BGB -E). § 167a Abs. 2 FamFG -E erlegt den Beteiligten eine Duldungspflicht für zur Abstammungsfeststellung erforderliche Untersuchungen auf, wenn diese nicht unzumutbar sind; über § 167a Abs. 3 FamFG -E werden unter anderem die Vorschriften des Zwischenfeststellungsverfahrens nach §§ 386 ff. ZPO für entsprechend anwendbar erklärt. Nach Inkrafttreten des Gesetzes sind die Fachgerichte dazu berufen, in Fallkonstellationen wie der vorliegenden zu prüfen, ob die vom Gesetzgeber normierten Voraussetzungen für eine inzidente Abstammungsfeststellung vorliegen. Dass indessen eine nach Art. 82 GG noch nicht in Kraft getretene gesetzliche Bestimmung, sei sie - wie vom Oberlandesgericht zugrunde gelegt - noch im Stadium eines Referentenentwurfs oder bereits vom Gesetzgeber beschlossen, einen Grundrechtseingriff nicht tragen kann, versteht sich von selbst. Sofern das Amtsgericht die ursprüngliche Rechtslage für mit den Grundrechten möglicher leiblicher Väter im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für unvereinbar hielt, hätte es die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG einholen müssen.

b) Die Beschwerdeführerin zu 1) ist zudem in ihrem Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre verletzt. Das aus Art. 2 Abs.1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den engeren persönlichen Lebensbereich und die Erhaltung seiner Grundbedingungen. Dazu gehören der familiäre Bereich und die persönlichen, auch geschlechtlichen Beziehungen zu einem Partner (vgl. BVerfGE 96, 56 <61>). In dieses Recht, greift die gerichtlich veranlasste Klärung der Abstammung ein, indem sie zu erforschen sucht, mit welchem Mann die Beschwerdeführerin zu 1) den Beschwerdeführer zu 3) gezeugt hat (vgl. BVerfGE 117, 202 <233>). Zwar ist das Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre nicht vorbehaltlos gewährleistet. Eingriffe bedürfen jedoch einer gesetzlichen Grundlage, an der es hier fehlt [vgl. oben a) bb) (2)].

c) Schließlich sind die Beschwerdeführerin zu 1) und der Beschwerdeführer zu 2) in ihrem Elternrecht verletzt. Zu dem den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährleisteten Recht, Sorge für ihr Kind zu tragen, zählt auch die Entscheidung darüber, ob jemand genetische Daten des Kindes erheben und verwerten darf (BVerfGE 117, 202 <229>). Auch in den Schutzbereich dieses Grundrechts greift der angegriffene Beweisbeschluss ein, ohne dass hierfür eine gesetzliche Grundlage bestand.

IV.

Ob auch bezüglich der weiteren von den Beschwerdeführern als verletzt gerügten Grundrechte die Annahmevoraussetzungen vorliegen, bedarf damit keiner Entscheidung mehr.

V.

1. Der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts ist hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Einer förmlichen Zurückverweisung an das Amtsgericht bedarf es nicht, da das Verfahren dort noch nicht abgeschlossen ist.

2. Der die Beschwerde verwerfende und sich damit einer eigentlichen inhaltlichen Prüfung enthaltende Beschluss des Oberlandesgerichts wird mit der Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses gegenstandslos.

3. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG .

4. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt, weil der Verfassungsbeschwerde durch die Kammer stattgegeben wird, 25.000 €.

Vorinstanz: OLG Koblenz, vom 15.11.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 7 WF 946/12
Vorinstanz: AG Diez, vom 21.08.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 12 F 35/12
Fundstellen
FamFR 2013, 404
FamRB 2013, 281
FamRZ 2013, 1195
FuR 2013, 4