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BGH - Entscheidung vom 08.01.2013

VI ZB 52/12

Normen:
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233

BGH, Beschluss vom 08.01.2013 - Aktenzeichen VI ZB 52/12

DRsp Nr. 2013/2020

Wahrung der Fristen in einer Anwaltskanzlei bzgl. Schadensersatzes für die Folgen von Verletzungen bei einem Sturz auf einem Betriebsgelände

Es gereicht einem Rechtsanwalt zum der von ihm vertretenen Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden, wenn er, nachdem er einen Fehler einer Büroangestellten bei der Berechnung einer Frist festgetellt hat, zwar die Notierung der richtigen Frist verfügt, jedoch keine Vorkehrungen trifft, dass die fristgebundene Handlung (hier: Einreichung der Berufungsbegründung) fristgerecht vorgenommen wird.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 9. August 2012 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 17.825,17 €

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 ; ZPO § 233 ;

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz für die Folgen von Verletzungen, die er sich am 13. Dezember 2010 bei einem Sturz auf dem Betriebsgelände der Beklagten zugezogen hat. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das am 10. Mai 2012 dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellte Urteil hat dieser am 11. Juni 2012, einem Montag, Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist per Fax am 11. Juli 2012 beim Oberlandesgericht eingegangen. Nach gerichtlichem Hinweis vom 25. Juli 2012, dass die Berufung nicht rechtzeitig begründet worden sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 1. August 2012, eingegangen beim Berufungsgericht am 6. August 2012, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er vorgetragen, die zuverlässige Büroangestellte T., die alleinverantwortlich mit der Posteingangsbearbeitung, Fristeneintragung und Fristenkontrolle beauftragt sei, habe das Ende der Frist zur Einlegung der Berufung, da der 10. Juni 2012 ein Sonntag gewesen sei, zutreffend auf den 11. Juni 2012 in den Kanzleikalender und in die Handakte mit der entsprechenden Vorfrist eingetragen. In gleicher Weise habe Frau T. das Ende der Berufungsbegründungsfrist auf den 11. Juli 2012 und nicht, wie es richtig gewesen wäre, auf den 10. Juli 2012 mit entsprechender Vorfrist notiert. Der die Sache bearbeitende Rechtsanwalt habe unmittelbar nach Einlegung der Berufung an dem Wochenende vom 15. bis 17. Juni 2012 die Sache bearbeitet. Dabei sei ihm der Fehler in der Berechnung der Berufungsbegründungsfrist aufgefallen. In der Handakte habe er selbst das falsch notierte Ende der Frist korrigiert. Die Berufungsbegründungsschrift habe er zur weiteren Bearbeitung durch das Büropersonal im Kanzleicomputer abgespeichert. Noch am Sonntag, dem 17. Juni 2012, habe er auf den Bürostuhl von Frau T. zusammen mit der Akte eine Handlungsanweisung gelegt, so dass Frau T. am folgenden Montag, dem 18. Juni 2012, beides vorgefunden habe. Er habe Frau T. schriftlich auf ihren Fehler hingewiesen und verfügt, die Frist für die Berufungsbegründung im Kalender sofort auf den 10. Juli 2012 einzutragen und die für den 11. Juli 2012 eingetragene (falsche) Frist anschließend zu streichen. Auch habe er Frau T. angewiesen, die Vorfrist zu streichen, die im Kanzleimanager gespeicherte Berufungsbegründung bei Gelegenheit auszufertigen und ihm zur Unterschrift vorzulegen. Des Weiteren sollte Frau T. wegen dieser Sache mit ihm Rücksprache halten. Frau T. habe sich am Morgen des 18. Juni 2012 bei ihm telefonisch wegen der Fehlberechnung der Frist entschuldigt. Auf der Handlungsanweisung zur Berichtigung des Endes der Frist habe sie "erl.

18.06.2012" vermerkt und diese dem Rechtsanwalt vorgelegt. Tatsächlich habe Frau T. lediglich die Vorfrist gestrichen. Die Berufungsbegründungsfrist habe sie nicht im Fristenkalender korrigiert. Deshalb sei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers die ausgefertigte Berufungsbegründungsschrift erst am 11. Juli 2012 zur Unterschrift vorgelegt und nach Unterzeichnung an das Oberlandesgericht weitergeleitet worden. Die Berufungsbegründungsfrist sei ihm zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gegenwärtig gewesen. Diesen Vortrag haben der Prozessbevollmächtigte des Klägers und die Rechtsanwaltsfachangestellte T. durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht.

Das Berufungsgericht hat durch Beschluss vom 9. August 2012 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig.

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger nicht in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juni 2012 - VI ZB 12/12, VersR 2012, 1412 Rn. 5 mwN). Davon ist im Streitfall jedoch nicht auszugehen.

2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht dem Kläger eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist mit Recht versagt.

a) Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei nicht ohne Verschulden gehindert gewesen, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Die Fristversäumung beruhe auf einem Sorgfaltsverstoß seines Prozessbevollmächtigten, dessen Verschulden sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Zwar rechtfertige die unterlassene oder fehlerhafte Eintragung einer von dem Rechtsanwalt berechneten und der Büroangestellten mitgeteilten Frist die Wiedereinsetzung, wenn ein Erledigungsvermerk in der Handakte bzw. auf der schriftlichen Arbeitsanweisung von der zuständigen Bürokraft angebracht worden sei und der Rechtsanwalt die Anbringung des Erledigungsvermerks - wie hier geschehen - kontrolliert habe; zur Kontrolle des Fristeintrages selbst sei der Rechtsanwalt nicht verpflichtet. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe die Fristversäumnis jedoch dadurch schuldhaft mitverursacht, dass er an Frau T. eine zur Wahrung der Berufungsbegründungsfrist unzureichende schriftliche Arbeitsanweisung erteilt habe, indem er darin - abweichend von der grundsätzlich in seiner Kanzlei geltenden Anordnung, eine Vorfrist zu notieren - die Streichung der Vorfrist angeordnet und nur die Vorlage zur Unterschrift der Ausfertigung der von ihm abgespeicherten Berufungsbegründung "bei Gelegenheit" verfügt habe, ohne hierfür einen konkreten vor dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist liegenden Termin festzusetzen. Der Prozessbevollmächtigte habe sich vollständig der durch die Vorfrist

vorgesehenen Möglichkeit begeben, für eine rechtzeitige Ausfertigung, Unterzeichnung und Absendung der Berufungsbegründungsschrift zu sorgen und die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist sicherzustellen. Hätte der Prozessbevollmächtigte entweder die Streichung der notierten Vorfrist nicht angeordnet oder für die Vorlage der Ausfertigung der abgespeicherten Berufungsbegründung ein konkretes, vor dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist liegendes Datum verfügt, wäre ihm entweder die Handakte oder die Ausfertigung der Berufungsbegründung zur Unterschrift rechtzeitig vor Fristablauf vorgelegt und die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist trotz fehlerhaft notierten Termins im Fristenkalender vermieden worden. Gerade weil die Büroangestellte T. bereits bei Eingang des angefochtenen Urteils die Berufungsbegründungsfrist fehlerhaft notiert und sich dadurch in dieser Angelegenheit im Vorfeld nicht als zuverlässig erwiesen habe, hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers als weitere Vorkehrung zur Sicherstellung der Fristeinhaltung auch im Hinblick auf die angeordnete Streichung der Vorfrist ein konkretes, vor dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist liegendes Datum zur Vorlage der ausgefertigten Berufungsbegründung verfügen müssen, anstatt den Zeitpunkt dafür durch die unklare Formulierung "bei Gelegenheit" der Büroangestellten zu überlassen.

b) Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.

Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zutreffend davon ausgegangen, dass es für den Ausschluss des einer Partei zuzurechnenden Verschuldens ihres Anwalts (§ 85 Abs. 2 , § 233 ZPO ) an der Fristversäumung auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei dann nicht mehr ankommt, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (ständige Rechtsprechung, so Senatsbeschluss vom 15. April 2008 - VI ZB 29/07, [...] Rn. 7; BGH, Beschlüsse vom 26. September 1995 - XI ZB 13/95, VersR 1996, 348 ; vom 18. März 1998 - XII ZB 180/96, NJW-RR 1998, 1360 f.; vom 6. Juli 2000 - VII ZB 4/00, NJW 2000, 2823 ; vom 2. Juli 2001 - II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60 ; vom 1. Juli 2002 - II ZB 11/01, VersR 2003, 389, 390 sowie vom 9. Dezember 2009 - XII ZB 154/09, VersR 2011, 89 Rn. 16). Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Er ist deshalb im Allgemeinen nicht einmal verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 1987 - VI ZR 43/87, VersR 1988, 185 , 186; Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02, VersR 2003, 1462 und vom 9. Dezember 2003 - VI ZB 26/03, VersR 2005, 138 ).

Die Rechtsbeschwerde weist auch mit Recht darauf hin, dass sich die Sorgfaltspflichten des Prozessbevollmächtigten nicht deshalb verschärft haben, weil sich die Rechtsanwaltsfachangestellte T. als nicht zuverlässig erwiesen hätte. Hatten sich bis zum vorliegenden Versäumnis Beanstandungen gegen Frau T. nicht ergeben, fehlten zureichende Anhaltspunkte für den Prozessbevollmächtigten des Klägers dafür, dass Frau T. die ausdrücklich erteilte Arbeitsanweisung nicht ausführen, trotzdem aber deren Befolgung mit einem Erledigungsvermerk bestätigen würde. Auch trifft zu, dass Vorfristen zu notieren sind, um die fristgerechte Bearbeitung der Rechtsmittelbegründung sicherzustellen und für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch genügend Zeit zur Überprüfung und Bearbeitung bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist zu gewährleisten (vgl. Senat, Beschluss vom 12. April 1988 - VI ZB 5/88, VersR 1988, 941 ; BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 26/94, VersR 1994, 1325 und vom 25. September 2003 - V ZB 17/03, FamRZ 2004, 100 mwN). Da der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Arbeitsschritte und Kontrollen, die durch die Notierung einer Vorfrist gewährleistet werden sollen, bereits bei der am Wochenende vom 15. bis 17. Juni 2012 erfolgten Bearbeitung vollzogen hatte, durfte er zwar grundsätzlich die Löschung der eingetragenen Vorfrist verfügen. Doch hat das Berufungsgericht dem Kläger als individuellen Sorgfaltsverstoß seines Prozessbevollmächtigten mit Recht zugerechnet, dass dieser in der Handlungsanweisung vom 17. Juni 2012 die Vorlage der Berufungsbegründungsschrift der Rechtsanwaltsfachangestellten T. "bei Gelegenheit" überließ. Dadurch war nicht hinreichend sichergestellt, dass die Sache so rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt würde, dass etwaige bei der gebotenen Überprüfung aufscheinende Fehler beseitigt werden konnten. Den Rechtsanwalt trifft aber eine Eigenverantwortung für die Richtigkeit und die Einhaltung der von ihm bereits zu einem früheren Zeitpunkt berechneten Frist. Diese Pflicht beruht darauf, dass die sorgfältige Vorbereitung der Prozesshandlung stets die Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit einschließt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2004 - IV ZB 41/03, VersR 2005, 96 ). Die Aufgabe ist von der Fristberechnung und Fristenkontrolle zu unterscheiden, die lediglich der rechtzeitigen Vorlage der Akten zum Zweck ihrer Bearbeitung durch den Rechtsanwalt dienen. Nur insoweit kann sich der Rechtsanwalt von der routinemäßigen Fristenüberwachung entlasten (BGH, Beschluss vom 17. März 2004 - IV ZB 41/03, aaO).

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde bedurfte es unter den gegebenen Umständen nach der Löschung der Vorfrist neben der angeordneten Berichtigung der Eintragung im Fristenkalender der Anordnung einer zeitlich bestimmten Vorlage für die Ausfertigung der Berufungsbegründung, die dem Prozessbevollmächtigten die gebotene Prüfung ermöglicht hätte. Das Versäumnis hat sich im vorliegenden Fall ausgewirkt, denn die Fristversäumnis wäre jedenfalls vermieden worden, hätte der Prozessbevollmächtigte die Vorlage unter Berücksichtigung der in den Handakten notierten Frist datumsmäßig selbst bestimmt.

Vorinstanz: LG Köln, vom 09.05.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 16 O 376/11
Vorinstanz: OLG Köln, vom 09.08.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 7 U 80/12