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BGH - Entscheidung vom 21.03.2013

V ZB 122/12

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2
AufenthG § 62 Abs. 3

BGH, Beschluss vom 21.03.2013 - Aktenzeichen V ZB 122/12

DRsp Nr. 2013/8210

Vorliegen eines zulässigen Haftantrags als Verfahrensvorraussetzung bei Einreise eines vietnamesischen Staatsangehörigen nach Deutschland ohne Ausweisdokumente und Aufenthaltstitels (hier: Anordnung der Sicherungshaft)

1. In ihrem Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft hat die Ausländerbehörde zum voraussichtlichen zeitlichen Ablauf des Abschiebungsverfahrens vorzutragen. 2. Dieser Vortrag kann auch noch nach Erledigung der Haftanordnung im gerichtlichen Verfahren über ihre Rechtmäßigkeit nachgeholt werden. 3. Liegt der Termin der Abschiebung außerhalb der beantragten Haftdauer, so ist die Haftanordnung rechtswidrig.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Landgerichts Schweinfurt 4. Zivilkammer vom 8. Juni 2012 und der Beschluss des Amtsgerichts Schweinfurt vom 29. März 2012 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Schweinfurt auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2; AufenthG § 62 Abs. 3 ;

Gründe

I.

Die Betroffene, eine vietnamesische Staatsangehörige, reiste nach Deutschland ein. Sie besaß weder Ausweisdokumente noch einen Aufenthaltstitel.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 29. März 2012 gegen die Betroffene mit sofortiger Wirkung Sicherungshaft zum Zweck der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten angeordnet.

Die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom 8. Juni 2012 zurückgewiesen. Nachdem die Betroffene am 10. Juli 2012 nach Vietnam abgeschoben worden ist, will sie mit der Rechtsbeschwerde die Feststellung erreichen, dass die Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts sie in ihren Rechten verletzt haben.

II.

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts lagen die Voraussetzungen für eine Sicherungshaft vor. Der ursprüngliche Mangel des Haftantrags sei im Laufe des Beschwerdeverfahrens behoben worden.

III.

Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 , Satz 2 FamFG ohne Zulassung und nach Erledigung statthafte (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726) und auch im Übrigen nach § 71 FamFG zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Die Haftanordnung hat die Betroffene schon deshalb in ihren Rechten verletzt, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen; zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (siehe nur Senat, Beschluss vom 15. September 2011 V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 Rn. 8).

a) Der Haftantrag genügte den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung nicht, weil darin nicht alle in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG genannten Punkte, wenn auch knapp, behandelt wurden (siehe eingehend Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, aaO Rn. 9).

b) Hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung sind auf das Land bezogene Ausführungen erforderlich, in das der Betroffene abgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13). Notwendig sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, aaO Rn. 14). Soweit mit dem Zielstaat ein Rückübernahmeabkommen besteht (hier das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam vom 21. Juli 1995, BGBl. II 743), sind die danach durchzuführenden Maßnahmen in dem Haftantrag darzustellen (Senat, Beschluss vom 14. Februar 2012 - V ZB 4/12, [...] Rn. 3). Derartige Angaben fehlten hier. Das Rückübernahmeabkommen erwähnte die beteiligte Behörde nicht. Der Haftantrag enthielt auch zu der erfahrungsgemäß notwendigen Vorbereitungsdauer für eine Abschiebung nach Vietnam keine konkreten Angaben. Die beteiligte Behörde hat die beantragte Haftdauer mit innerdienstlichen Vorbereitungen für die Abschiebung begründet und lediglich die voraussichtlichen Verfahrensschritte Identitätsprüfung und gegebenenfalls Vorführung bei der Botschaft zur Erlangung von Heimreisepapieren, Flugbuchung aufgezählt. Diese Ausführungen sind als im Wesentlichen universell einsetzbare Leerformeln, die über die Durchführbarkeit der Abschiebung und deren Dauer im konkreten Fall nichts aussagen, nicht ausreichend.

2. Zwar hat die beteiligte Behörde im Laufe des Beschwerdeverfahrens nähere Angaben zum genauen zeitlichen Ablauf nachgeholt. Ob dies die Zulässigkeitsmängel des Antrags geheilt hat (was mit Wirkung für die Zukunft möglich wäre: Senat, Beschluss vom 15. September 2011 V ZB 136/11, FGPrax 2011, 318 Rn. 8), kann jedoch dahinstehen. Denn jedenfalls war der Antrag unbegründet, so dass auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat. Aus den Nachträgen ergab sich nämlich, dass die Abschiebung erst für den 10. Juli 2012 vorgesehen war, also nicht innerhalb der beantragten dreimonatigen Haftdauer durchgeführt werden konnte, die am 28. Juni 2012 ablief. Dass die Haft später zeitlich nach der Beschwerdeentscheidung in einem gesonderten Verfahren verlängert wurde, ist für die hier zu beurteilende Haftanordnung ohne Belang. Denn die Bestätigung der dreimonatigen Haftanordnung konnte zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht wie es § 62 Abs. 3 AufenthG verlangt unmittelbar die Abschiebung sichern, sondern diente der Festhaltung der Betroffenen bis zu der Entscheidung über den Verlängerungsantrag. Eine solche nur mittelbare Sicherung der Abschiebung sieht das Gesetz jedoch nicht vor.

3. Soweit mit der Rechtsbeschwerde darüber hinaus gerügt wird, dass die Art und Weise der Unterbringung der Betroffenen gegen das Trennungsgebot (§ 62a Abs. 1 AufenthG ) verstoßen habe, bedarf es keiner Entscheidung, weil die Rechtsbeschwerde bereits aus den vorgenannten Gründen Erfolg hat.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 , § 83 Abs. 2 , § 430 FamFG , Art. 5 EMRK analog, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO , die Festsetzung des Beschwerdewerts aus § 128c Abs. 2 KostO , § 30 Abs. 2 KostO .

Vorinstanz: AG Schweinfurt, vom 29.03.2012 - Vorinstanzaktenzeichen XIV 79/12
Vorinstanz: LG Schweinfurt, vom 08.06.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 41 T 63/12