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BGH - Entscheidung vom 18.07.2013

VII ZR 153/12

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 544 Abs. 7

BGH, Beschluss vom 18.07.2013 - Aktenzeichen VII ZR 153/12

DRsp Nr. 2013/18706

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei einer offensichtlichen Lückenhaftigkeit einer Beweiswürdigung

Ist das Berufungsgericht bei Würdigung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme von der des erstinstanzlichen Gerichts abgewichen, ohne die Beweisaufnahme zu wiederholen, beruht das darauf gestützte Urteil auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und ist entsprechend im Revisionsverfahren aufzuheben, wenn das Berufungsgericht einen wesentlichen Teil des erstinstanzlichen Beweisergebnisses nicht zur Kenntnis genommen hat bzw. dieser in den Entscheidungsgründen keine Erwähnung gefunden hat. Zwar ist das Revisionsgericht grundsätzlich an die Beweiswürdigung des Vordergerichts gebunden. Gleichwohl hat es zu prüfen, ob sich dieses mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, ob dessen Beweiswürdigung vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt.

Tenor

Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 9. Mai 2012 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 52.139,15 €

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; ZPO § 544 Abs. 7 ;

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt Provision und - im Wege der Stufenklage - Auskunft über die von einem früheren Untervertreter, dem Zeugen B., für die Beklagten vermittelten Verträge. Der Rechtsstreit betrifft im Wesentlichen die Frage, ob die Beklagten treuwidrig eine sogenannte Organisationsschutzvereinbarung mit der Klägerin umgangen haben.

Die Klägerin, deren Handlungsbevollmächtigter der Zeuge S. war, schloss mit den Beklagten am 18. Juli 2006 eine Organisationschutzvereinbarung, wonach Mitarbeiter des Vertragspartners nicht beschäftigt werden sollten. Dies sollte nicht gelten, wenn die Mitarbeiter 18 Monate ausgeschieden waren. Außerdem heißt es: "Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieses Abkommen bei Vereinbarungen mit Maklern keine Anwendung findet."

Am 29. Oktober 2007 vereinbarte die Klägerin mit dem für sie tätigen Versicherungsvertreter B. unter anderem, dass ihr ein Anteil von 47 % seiner Abschlussprovision zustehe.

Nachdem gegen den Geschäftsführer der Klägerin eine Haftanordnung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ergangen war, teilten die Beklagten der Klägerin durch Schreiben vom 20. Dezember 2007 mit, dass sie keine Anträge der Klägerin mehr entgegennähmen. Die Klägerin zeichnete ein Schreiben der Beklagten vom 11. Februar 2008 gegen, wonach die Klägerin keine weiteren Aufträge mehr für die Beklagte akquirieren werde.

B. kündigte später sein Untervertreterverhältnis mit der Klägerin. Die Beklagten informierten die Klägerin mit Schreiben vom 19. März 2008, dass B. nunmehr als Makler tätig sei.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme dem Zahlungsanspruch, der unter anderem auf eine Bestandspflegeprovision gerichtet war, teilweise stattgegeben. Das Auskunftsverlangen hatte ebenfalls teilweise Erfolg. Das Landgericht hat es ab März 2008 auf eine Karenzzeit von 18 Monaten begrenzt. Es hat dahinstehen lassen, ob B. tatsächlich als Makler tätig geworden sei, hat aber gemeint, dass die Beklagten die Organisationschutzvereinbarung verletzt hätten.

Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht den Zahlungsanspruch der Klägerin in Höhe von 5.139,35 €, die auf eine Bestandspflegeprovision entfielen, abgewiesen. Die Stufenklage hat das Berufungsgericht insgesamt abgewiesen.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Klägerin das Zahlungsbegehren in Höhe von 5.139,35 € und ihr Auskunftsverlangen im Rahmen der Stufenklage weiter.

II.

1. Das Berufungsgericht hat, soweit für das Beschwerdeverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt: Der Auskunftsanspruch sei unbegründet. Der Zeuge B. sei nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht nur formal, sondern auch tatsächlich als Versicherungsmakler tätig geworden. Dies sei von der Organisationsschutzvereinbarung nicht erfasst.

Die Klägerin könne für die Zeit von März bis Juli 2008 auch keine Bestandspflegeprovision verlangen, weder unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes noch aus einem anderen Rechtsgrund.

2. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG . Es ist deshalb aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 544 Abs. 7 ZPO . Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils weisen eine vollständige Würdigung des Beweisergebnisses offensichtlich nicht aus.

a) Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, dessen Feststellungen das Revisionsgericht nach § 559 ZPO binden. Dieses hat nur zu prüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteile vom 7. März 2013 - VII ZR 134/12, NJW 2013, 1226 Rn. 14; vom 16. Dezember 1999 - VII ZR 15/98, NJW-RR 2000, 686 unter II 1 b; jeweils m.w.N.). Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts genügt diesen Anforderungen nicht. Sie ist offensichtlich lückenhaft.

b) Das Berufungsgericht, welches die erstinstanzliche Beweisaufnahme nicht wiederholt hat, hat zwar die Aussage des Zeugen B. gewürdigt, hat aber dennoch, wie die Beschwerde rügt, einen wesentlichen Teil des erstinstanzlichen Beweisergebnisses nicht zur Kenntnis genommen. Die Zeugen S. und M. haben bei ihrer Vernehmung in erster Instanz bekundet, der Vater des Zeugen B., der Zeuge H. B., habe ihnen gegenüber Mitte August 2008 bestätigt, dass "die Beklagte" seinen Sohn damals gezwungen habe den Maklervertrag abzuschließen, weil er sonst keinen Vertrag mehr bekommen hätte (Seite 4 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2010) bzw., dass der Zeuge B. den Maklervertrag habe abschließen müssen, da es ansonsten mit der Beklagten zu 1 nicht weitergegangen sei. Der Zeuge R. hat bekundet, dass die Beklagte zu 1 die weitere Zusammenarbeit mit dem Zeugen B. davon abhängig gemacht habe, dass B. einen Maklervertrag unterschreibe; dies hätten die Zeugen B. und H. B. bei einem Gespräch am 10. Januar 2008 in den Räumen der Klägerin bestätigt. Diese Umstände hat das Berufungsgericht entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen. Ohne Begründung durfte sich das Berufungsgericht jedoch nicht darüber hinwegsetzen.

c) Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG . Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei einer vollständigen Beweiswürdigung zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung gelangt wäre.

3. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht, sollte es auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen ankommen - was naheliegt - diese erneut zu vernehmen haben wird.

Vorinstanz: LG München I, vom 08.12.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 12 HKO 13776/08
Vorinstanz: OLG München, vom 09.05.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 7 U 193/12