Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 07.03.2013

I ZR 43/12

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 139 Abs. 1 S. 2

BGH, Beschluss vom 07.03.2013 - Aktenzeichen I ZR 43/12

DRsp Nr. 2013/15545

Schadensersatzanspruch wegen Beschädigung von Transportgut (hier: Schuhschäfte) i.R.d. Zulassung von Beweisangeboten

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Oberlandesgerichts München 7. Zivilsenat vom 16. Februar 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 36.203,94 € festgesetzt.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; ZPO § 139 Abs. 1 S. 2;

Gründe

I. Die Klägerin ist Transportversicherer der Baltes Schuhfabrik GmbH & Co. KG in Heinsberg (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin wegen Beschädigung von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Versicherungsnehmerin ließ in Casablanca/Marokko Schuhschäfte herstellen und reparieren. Mit der Beförderung der dort gefertigten und reparierten Waren nach Deutschland beauftragte sie die Beklagte. Während des Transports durch den von der Beklagten beauftragten Unterfrachtführer kam es in Spanien zu einem Brand an dem eingesetzten Transportfahrzeug. Dabei wurde das Gut durch Löschwasser und Brandeinwirkungen beschädigt.

Die Klägerin hat behauptet, es seien insgesamt vier Paletten und weitere 155 Kartons Schuhschäfte, vier Kartons reparierte Schuhschäfte und unstreitig eine Palette mit einer Perforiermaschine an den Unterfrachtführer zur Beförderung übergeben worden. Das durch den Brand beschädigte Frachtgut habe ein Gewicht von 3.810,17 kg gehabt. Der ihrer Versicherungsnehmerin entstandene Schaden betrage wie sich aus dem Gutachten der B. & T. GmbH (Anlage K 3) ergebe 128.414,72 €.

Die Klägerin hat die Beklagte aus Art. 17 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 und 3 CMR in Höhe des Gegenwertes von 31.745,63 Sonderziehungsrechten des Internationalen Währungsfonds auf Schadensersatz in Anspruch genommen.

Die Beklagte hat vor allem die Übergabe des Gutes in ordnungsgemäßem Zustand mit Nichtwissen bestritten und den von der Klägerin behaupteten Totalschaden in Abrede gestellt.

Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an die Klägerin den Gegenwert von 874,65 Sonderziehungsrechten nebst Zinsen zu zahlen (hierbei handelt es sich um Schadensersatz für die Beschädigung der Perforiermaschine). Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.

Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe den von ihr behaupteten Totalschaden nicht bewiesen. Der erstmals in der Berufungsbegründung enthaltene Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens sei gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 3 ZPO ) und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 , § 544 ZPO , § 26 Nr. 8 EGZPO ). Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat die Beweisantritte der Klägerin zur Höhe des ihrer Versicherungsnehmerin entstandenen Schadens im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 2. Dezember 2011 gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen. Ein richterlicher Hinweis gemäß § 139 Abs. 1 ZPO auf fehlende Beweisangebote sei in erster Instanz nicht erforderlich gewesen. Ein Hinweis darauf, dass Beweismittel benannt werden müssten, sei nur geboten, wenn sich aus dem übrigen Vorbringen ergebe, dass das Unterbleiben des Beweisantritts auf einem Versehen oder auf einer erkennbar falschen Beurteilung der Rechtslage beruhe. Dies könne im Streitfall nicht angenommen werden. Es fehlten auch jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin die Beweislast falsch eingeschätzt und deshalb keinen Beweis angeboten habe.

2. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ).

a) Die Vorschrift des Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Verfahrensbeteiligten, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu dem zur Entscheidung stehenden Sachverhalt zu äußern. Dieses Recht ist verletzt, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juni 2003 1 BvR 2285/02, NJW 2003, 2524 m.w.N.). Insoweit hat das Gericht gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO darauf hinzuwirken, dass sich die Parteien rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere auch Angaben zu vorgetragenen Tatsachen ergänzen und die anzubietenden. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet deshalb das Berufungsgericht dazu, neues Vorbringen dann zuzulassen, wenn eine unzulängliche Verfahrensleitung oder eine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht das Ausbleiben des Vorbringens oder von Beweisanträgen in der ersten Instanz mitverursacht hat. Ist im Urteil des erstinstanzlichen Gerichts Vortrag zu einem entscheidungserheblichen Punkt mangels hinreichender Substantiierung zurückgewiesen oder eine Partei als beweisfällig angesehen worden, ohne dass ihr durch einen nach der Prozesslage gebotenen Hinweis Gelegenheit zur Ergänzung gegeben war, stellt sich die Zurückweisung des neuen, nunmehr substantiierten Vortrags oder neuer Beweismittel im Berufungsrechtszug als eine offenkundig unrichtige Anwendung des § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO dar. Ein solches Vorgehen des Gerichts kommt einer Verhinderung des Vortrags zu entscheidungserheblichen Punkten gleich (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2005 V ZR 271/04, NJW 2005, 2624 ; Beschluss vom 22. April 2009 IV ZR 328/07, NJW-RR 2009, 1112 Rn. 11).

b) Gemessen an diesen Maßstäben hätte das Berufungsgericht die Beweisangebote der Klägerin in ihrer Berufungsbegründung zulassen müssen.

aa) Die Klägerin hat ihre Behauptung, ihrer Versicherungsnehmerin sei durch den Brand in Spanien ein Gesamtschaden in Höhe von 128.414,72 € entstanden, auf die Ausführungen in dem von ihr in Auftrag gegebenen Havariegutachten der B. & T. GmbH (Anlage K 3) gestützt. Hierbei handelt es sich um qualifizierten, urkundlich belegten Parteivortrag (BGH, NJW-RR 2009, 1112 Rn. 14). Die Beklagte hat den behaupteten Warenwert und die Höhe des Schadens zwar bestritten. Konkrete Einwendungen gegen das von der Klägerin vorgelegte Havariegutachten hat die Beklagte in erster Instanz jedoch nicht erhoben. Insbesondere hat sie nicht die Punkte im Havariegutachten aufgezeigt, die nach Ansicht des Landgerichts gegen die Aussagekraft des Gutachtens sprachen. Die Klägerin hat daher in erster Instanz die Auffassung vertreten, das schlichte Bestreiten der Beklagten sei unbeachtlich und stehe der behaupteten Schadenshöhe nicht entgegen. Dies hat die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 10. Mai 2011 zum Ausdruck gebracht. Sie hat vorgebracht, durch das von ihr vorgelegte Sachverständigengutachten seien die tatsächlichen Warenwerte dezidiert dargelegt worden. Ebenso sei dargetan worden, dass aus den im Gutachten festgehaltenen Gründen ein Totalschaden (des Gutes) vorliege und Restwerte nicht hätten erzielt werden können. Das einfache Bestreiten der Warenwerte und des behaupteten Totalschadens seitens der Beklagten sei unerheblich.

Dieses Vorbringen der Klägerin hätte das Landgericht zum Anlass nehmen müssen, die Klägerin gemäß § 139 Abs. 1 ZPO darauf hinzuweisen, dass sie den von ihr behaupteten Schaden unter Beweis stellen müsse, weil das Bestreiten der Beklagten als erheblich anzusehen und nicht beabsichtigt sei, ein Gutachten zur Schadenshöhe von Amts wegen (§ 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO ) einzuholen. Der Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 10. Mai 2011 belegt, dass sie irrig davon ausgegangen ist, für den von ihr behaupteten Totalverlust des Gutes keinen Beweis antreten zu müssen. Diesem Irrtum hätte das Landgericht durch einen Hinweis entgegenwirken müssen (vgl. BGH, NJW 2005, 2624 ; MünchKomm.ZPO/Wagner, 4. Aufl., § 139 Rn. 20).

bb) Wäre der gemäß § 139 Abs. 1 ZPO gebotene Hinweis erteilt worden, hätte die Klägerin wie die Nichtzulassungsbeschwerde geltend macht ihren Vortrag zum Warenwert und zur Höhe des entstandenen Schadens wie in der Berufungsbegründung geschehen durch zwei Zeugen und einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellt. Da für das Unterlassen der Beweisantritte ein Verfahrensmangel des Landgerichts ursächlich war, hätte das Berufungsgericht die Beweisangebote der Klägerin in ihrer Berufungsbegründung gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zulassen müssen.

3. Der von der Nichtzulassungsbeschwerde gerügte Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG betrifft auch einen entscheidungserheblichen Punkt. Dies ist schon dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung der nicht zugelassenen Beweisantritte anders entschieden hätte (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2012 V ZR 141/11 Rn. 11, [...]). Die Vorinstanzen haben einen Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen Beschädigung des Frachtguts ausgenommen die Perforiermaschine vollständig verneint. Dass es bei dem Brand des Transportfahrzeugs in Spanien auch zu einem Schaden am Frachtgut gekommen ist, erscheint jedoch naheliegend. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Beweiserhebung zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung geführt hätte.

III. Gemäß § 544 Abs. 7 ZPO ist danach der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Vorinstanz: LG München I, vom 30.08.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 16 HKO 3054/11
Vorinstanz: OLG München, vom 16.02.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 7 U 3789/11