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BGH - Entscheidung vom 10.10.2013

IX ZB 238/11

Normen:
EuGVVO Art. 34 Nr. 1-2
EuGVVO Art. 46 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 10.10.2013 - Aktenzeichen IX ZB 238/11

DRsp Nr. 2013/23171

Gehörsverstoß durch Übergehen eines Aussetzungsantrags; Zulässigkeitsgrund des Einheitlichkeitssicherungsbedarfs

Der Hinweis auf eine vereinzelt gebliebene abweichende Entscheidung eines US-Bezirksgerichts rechtfertigt nicht den Schluss, dass einer aufgeworfenen Rechtsfrage im Inland rechtsgrundsätzliche Bedeutung zukommt.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 1. August 2011 wird auf Kosten des Rechtsbeschwerdeführers als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf bis zu 200.000 € festgesetzt.

Normenkette:

EuGVVO Art. 34 Nr. 1 -2; EuGVVO Art. 46 Abs. 1 ;

Gründe

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 44 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 ( EuGVVO , ABl. EG 2001 L 12,5.1) in Verbindung mit § 15 Abs. 1 AVAG , § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach § 15 Abs. 1 AVAG , § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist.

1. Der von der Rechtsbeschwerde behauptete Gehörsverstoß durch Übergehen eines Aussetzungsantrags nach Art. 46 Abs. 1 EuGVVO liegt nicht vor. Vielmehr hat das Beschwerdegericht durch den Erlass seiner Beschwerdeentscheidung deutlich gemacht, das Verfahren nicht aussetzen zu wollen. Es hat somit inzident eine nicht rechtsbeschwerdefähige Ermessensentscheidung nach Art. 46 Abs. 1 EuGVVO getroffen (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Oktober 1991 - Rs. C 183/90, van Dalfsen u.a./van Loon u.a., Slg. 1991 I-4765 Rn. 26 zu Art. 38 EuGVÜ; BGH, Beschluss vom 21. April 1994 - IX ZB 8/94; NJW 1994, 2156 , 2157). Dass sich in diesem Zusammenhang eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche, bislang nicht gerichtlich geklärte Rechtsfrage stellt, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu der unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (Hk-ZPO/Kayser/Koch, 5. Aufl., § 543 Rn. 8), ist weder dargelegt noch ersichtlich.

2. Ebenso wenig greift der Zulässigkeitsgrund des Einheitlichkeitssicherungsbedarfs ein, soweit der Antragsgegner meint, durch die Verneinung des Versagungsgrundes nach Art. 34 Nr. 2 EuGVVO in seinen Verfahrensgrundrechten verletzt worden zu sein. Die vom Beschwerdegericht angenommene rechtzeitige Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstückes am Wohnsitz des Antragsgegners in Verona beruht nicht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern auf dem unzureichenden Vortrag des Antragsgegners zur fehlenden Möglichkeit der Kenntnisnahme. Die Zustellung ist nach dem maßgeblichen italienischen Recht (vgl. Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., A. 1 Art. 34 Rn. 132) gemäß Art. 140 c.p.c. durch den Gerichtsvollzieher gegenüber dem zeitweilig abwesenden Antragsgegner an dessen amtliche Meldeanschrift erfolgt. Dass der Antragsgegner zum Zustellungszeitpunkt tatsächlich nicht unter der Zustellungsadresse in Verona gemeldet war, hat er nicht behauptet. Der Antragsgegner hat lediglich ohne nähere Ausführungen bestritten, seinen Wohnsitz, seinen Aufenthalt oder sein Domizil zu diesem Zeitpunkt in Verona gehabt zu haben. Die amtliche Meldung begründet nach dem italienischen Zivilrecht aber die widerlegbare Vermutung, dass sich der Wohnsitz der Person an dieser Meldeadresse befindet (Christandl in Eccher/Schurr/Christandl, Handbuch italienisches Zivilrecht, Rn. 2/94). Die Zustellung war somit nach italienischem Recht ordnungsgemäß, weshalb das Beschwerdegericht davon ausgehen durfte, dass der Antragsgegner nunmehr die erforderlichen Maßnahmen zur Verteidigung seiner Interessen einleiten konnte; die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Antragsgegner hatte es ohne besondere Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Verteidigungsmöglichkeit nicht zu prüfen (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juni 1981 - Rs. 166/80, Klomps/Michel, Slg. 1981, 1593 Rn. 19; Magnus/Mankowski/Francq, Brussels I Regulation, 2. Aufl., Art. 34 Rn. 48). Die von der Rechtsbeschwerde zitierte Entscheidung des XII. Zivilsenats unterscheidet sich vom Streitfall maßgeblich dadurch, dass es aufgrund der dortigen Umstände äußerst zweifelhaft war, dass der Antragsgegner zum Zustellungszeitpunkt noch an der Meldeanschrift - der ehemaligen Ehewohnung - wohnhaft war und somit das verfahrenseinleitende Schriftstück erhalten hatte (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2007 - XII ZB 240/05, EuZW 2008, 251 Rn. 27 ff). Entsprechende außergewöhnliche Umstände hat der Antragsgegner vorliegend nicht dargetan.

3. Die Rechtsbeschwerde legt schließlich nicht hinreichend dar, dass die Verneinung eines Ordre public-Verstoßes gemäß Art. 34 Nr. 1 EuGVVO Rechtsfortbildungs- oder Einheitlichkeitssicherungsbedarf begründet. Der Hinweis auf eine vereinzelt gebliebene abweichende Entscheidung eines US-Bezirksgerichts rechtfertigt nicht den Schluss, dass die aufgeworfene Rechtsfrage im Inland streitig ist und somit Klärungsbedarf besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 - II ZR 54/09, ZIP 2010, 985 Rn. 3; Hk-ZPO/ Kayser/Koch, 5. Aufl., § 543 Rn. 9). Inwieweit die Annahme des Beschwerdegerichts, es bestünden keine technischen Möglichkeiten, den Immaterialgüterrechtsschutz bei Verletzung von markenrechtsverletzenden Domainnamen auf das italienische Territorium zu beschränken, das rechtliche Gehör des Antragsgegners verletzen könnte, wird nicht dargetan.

4. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 17 Abs. 2 AVAG , § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.

Vorinstanz: LG München I, vom 15.09.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 24 O 14085/10
Vorinstanz: OLG München, vom 01.08.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 25 W 2340/10