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BGH - Entscheidung vom 05.11.2013

VI ZR 319/12

Normen:
ZPO § 174 Abs. 1
ZPO § 184
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
RPflG § 20 Nr. 7

BGH, Urteil vom 05.11.2013 - Aktenzeichen VI ZR 319/12

DRsp Nr. 2013/24254

Beginn der Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil durch Aufgabe des Urteils zur Post im Inland; Erneute Inlaufsetzung einer Einspruchsfrist durch die erneute Zustellung des Versäumnisurteils nebst Rechtsmittelbelehrung

Tenor

Die Revisionen der Beklagten gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 24. Mai 2012 werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittel haben die Beklagten je zur Hälfte zu tragen.

Normenkette:

ZPO § 174 Abs. 1 ; ZPO § 184 ; GG Art. 2 Abs. 1 ; GG Art. 20 Abs. 3 ; RPflG § 20 Nr. 7 ;

Tatbestand

Die Kläger verlangen Schadensersatz wegen des Ankaufs von Aktien der Beklagten.

Nach Eingang der Klage am 6. August 2009 hat der Vorsitzende der mit der Sache befassten Zivilkammer des Landgerichts in Zusammenhang mit der Zustellung nach § 183 ZPO durch Verfügung vom 19. Oktober 2009 angeordnet, dass den Beklagten eine Notfrist von zwei Wochen zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft gesetzt wird und dass sie innerhalb von zwei Wochen gemäß § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen im Inland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen haben. Auf die anderenfalls eintretenden rechtlichen Folgen der Zustellung von Schriftstücken durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift der Beklagten hat der Vorsitzende hingewiesen. Diese Verfügung und die Klageschrift sind den Beklagten am 18. Februar 2010 in der Türkei nach Maßgabe des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15. November 1965 (BGBl. 1977 II S. 1452, 1453; im Folgenden: HZÜ) zugestellt worden. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 15. März 2011 ist am 20. Januar 2011 zur Post gegeben worden. Das Landgericht hat im Termin vom 15. März 2011, in dem die Beklagten nicht vertreten waren, ein Versäumnisurteil erlassen und die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Eine vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils ist am 21. März 2011 nach dem Vermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit der Belehrung über die Möglichkeit eines Einspruchs innerhalb von zwei Wochen nach der Zustellung unter der Anschrift der Beklagten zur Post gegeben worden. Auf Antrag der Kläger ist das Versäumnisurteil den Beklagten am 1. Juli 2011 erneut, nunmehr auf diplomatischem Weg, mit einer Rechtsmittelbelehrung zugestellt worden. Dagegen haben die Beklagten mit am 13. Juli 2011 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Einspruch eingelegt.

Mit Urteil vom 28. Juli 2011 hat das Landgericht den Einspruch als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit den vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen begehren die Beklagten, das Berufungsurteil und das Urteil des Landgerichts vom 28. Juli 2011 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Landgericht habe den Einspruch gegen das Versäumnisurteil zu Recht gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil er nicht rechtzeitig eingelegt worden sei. Die Einspruchsfrist habe nicht erst mit der förmlichen Zustellung des Versäumnisurteils in der Türkei am 1. Juli 2011, sondern bereits am 4. April 2011 aufgrund der Zustellung des Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post (§ 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO ) am 21. März 2011 zu laufen begonnen und sei am 18. April 2011 abgelaufen. Weder bestünden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der maßgebenden Bestimmung des § 184 ZPO noch verletze das vom Landgericht gewählte Verfahren das Haager Übereinkommen. Aufgrund der den Beklagten mit der Klageschrift zugestellten Anordnung im Sinne des § 184 ZPO hätten die Beklagten im weiteren Verfahren mit Zustellungen durch Aufgabe zur Post rechnen müssen. Sie hätten die Gelegenheit gehabt, eine rechtzeitige Kenntnis von beschwerenden Entscheidungen und Rechtsbehelfsmöglichkeiten sicherzustellen.

Sowohl die Klageschrift als auch die Anordnung des Vorsitzenden im Sinne des § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO vom 19. Oktober 2009 seien wirksam zugestellt worden. Die Anordnung müsse nicht zwingend durch den gesamten Spruchkörper der zuständigen Zivilkammer erfolgen. Sie sei durch den Vorsitzenden jedenfalls wirksam vorgenommen worden. Das Zustellungsreformgesetz vom 25. Juni 2001 (BGBl. I S. 1206), durch das § 184 ZPO an die Stelle des § 174 Abs. 1 ZPO a.F. getreten ist, habe lediglich die in § 20 Nr. 7 RPflG vorgesehene Zuständigkeitsübertragung auf den Rechtspfleger aufgehoben. Zwar scheine der Wortlaut der Vorschrift zunächst für die funktionelle Zuständigkeit des Spruchkörpers zu sprechen. Doch falle die Anordnung der Zustellung richterlicher Entscheidungen grundsätzlich in die Zuständigkeit des Vorsitzenden. Auch wenn bei der Anordnung Ermessen auszuüben sei, sei diese nicht schon deshalb unwirksam, weil die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gesichtspunkte nicht daraus erkennbar seien. Aus der Verfügung der Geschäftsstelle vom 16. März 2011 ergebe sich, dass jeweils eine Ausfertigung des Versäumnisurteils des Landgerichts vom 15. März 2011 zwecks Übersendung an die Beklagten am 21. März 2011 zur Post aufgegeben worden sei.

Die erneute Zustellung des Versäumnisurteils nebst Rechtsmittelbelehrung am 1. Juli 2011 habe die bereits verstrichene Einspruchsfrist nicht erneut in Lauf setzen können, weil von einer solchermaßen unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung betroffene Rechte der Verurteilten aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung ausreichend gewahrt würden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme allerdings hier nicht in Betracht, weil bei der Frage des Verschuldens an der Fristversäumnis zu berücksichtigen sei, dass die Beklagten infolge der Zustellung der Klageschrift und der Anordnung des Vorsitzenden gemäß § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO von zukünftig bevorstehenden Zustellungen Kenntnis gehabt hätten.

II.

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

1. Das Landgericht hatte auf den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil gemäß § 341 Abs. 1 Satz 1 ZPO zunächst nur zu prüfen, ob der Einspruch an sich statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt worden ist. Da die Beklagten die Einspruchsfrist nicht gewahrt haben, musste der Einspruch gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO ohne Sachprüfung und ohne Rücksicht auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des Versäumnisurteils verworfen werden (BGH, Beschluss vom 5. März 2007 - II ZB 4/06, NJW-RR 2007, 1363 Rn. 9 f.; Hk-ZPO/Pukall, 5. Aufl., § 341 Rn. 1).

2. Rechtlich ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Zustellung des Versäumnisurteils im Inland durch Aufgabe zur Post für wirksam erachtet hat.

a) Zur Frage, auf deren Klärungsbedürftigkeit die Zulassung der Revision gestützt worden ist, ob - wie im Streitfall - der Vorsitzende der zuständigen Kammer oder der Spruchkörper die Anordnung nach § 184 Abs. 1 ZPO zu treffen habe, hat sich der erkennende Senat zwischenzeitlich in zahlreichen Urteilen betreffend die Beklagte zu 1 umfassend geäußert (vgl. Senat, Urteile 25. September 2012 - VI ZR 230/11, [...] und - VI ZR 287/11, [...]; vom 18. September 2012 - VI ZR 225/11, NJW-RR 2012, 1459; vom 26. Juni 2012 - VI ZR 241/11, NJW 2012, 2588 = WM 2012, 1499; vom 3. Juli 2012 - VI ZR 227/11, [...] und - VI ZR 239/11, [...], sowie vom 17. Juli 2012 - VI ZR 222/11, [...], - VI ZR 226/11, [...] und - VI ZR 288/11, [...]). Insoweit wird auf die entsprechenden Ausführungen in den Urteilsgründen (so Senatsurteile vom 17. Juli 2012 - VI ZR 226/11, [...] Rn. 14 bis 23, und - VI ZR 288/11, [...] Rn. 18 bis 27; vom 18. September 2012 - VI ZR 223/11, [...] Rn. 9 bis 18) zur Vermeidung gleichlautender Wiederholungen Bezug genommen.

b) Die Wirksamkeit der Zustellung des Versäumnisurteils vom 15. März 2011 ist auch nicht deshalb zweifelhaft, weil die Klageschrift und die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen, den Beklagten nicht förmlich zugestellt worden wären.

Die förmliche Zustellung der Klageschrift und der Anordnung nach § 184 Abs. 1 ZPO am 18. Februar 2010 ist bewiesen durch die von einem Richter unterschriebene Urkunde vom 3. März 2010 (Art. 6 HZÜ), die mit dem Schreiben des Generaldirektorats für Internationales Recht und Außenbeziehungen des Justizministeriums der Türkischen Republik an das Landgericht nach Erledigung des Rechtshilfeersuchens übersandt worden ist (vgl. Senat, Urteil vom 15. Januar 2013 - VI ZR 241/12, NJW-RR 2013, 435 Rn. 12, und Beschluss vom 13. November 2001 - VI ZB 9/01, NJW 2002, 521 , 522). Erfolglos macht die Revision dagegen geltend, die förmliche Zustellung an die Beklagte zu 2 sei nicht nachgewiesen. Zwar ist grundsätzlich der Beweis der Unrichtigkeit gegen die inhaltliche Richtigkeit einer Zustellungsurkunde zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO ). Doch ist ein solcher Beweis aufgrund des Vorbringens der Revision nicht erbracht. Zutreffend weist die Revisionserwiderung darauf hin, dass sich den Zustellungsnachweisen des Türkischen Justizministeriums die Übergabe der zuzustellenden Urkunden an Rechtsanwalt P. für beide Beklagte entnehmen lässt. Tatsächliche Umstände, die Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Zustellung durch Aushändigung der Schriftstücke an Rechtsanwalt P. begründen könnten, werden von der Revision nicht aufgezeigt. Sie ergeben sich jedenfalls nicht schon daraus, dass den Zustellungsunterlagen eine Vollmacht für Rechtsanwalt P. nicht beigefügt worden ist.

3. Die nachträgliche förmliche Zustellung des Versäumnisurteils am 1. Juli 2011 mit Rechtsmittelbelehrung vermag die bereits mit Ablauf des 18. April 2011 eingetretene Rechtskraft nicht zu durchbrechen. Die Anordnung der erneuten Zustellung lässt die Wirkung der zuvor erfolgten Zustellung gemäß § 184 Abs. 2 ZPO unberührt; sie setzt eine bereits abgelaufene Frist trotz der beigefügten unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht nochmals in Lauf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2005 - IX ZB 147/01, NJW-RR 2006, 563 , 564; vom 20. November 2006 - NotZ 35/06, [...] Rn. 7; Versäumnisurteil vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 27/09, NJW 2011, 522 Rn. 20; OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 1631, 1632; OLG Hamm, Urteile vom 10. August 2011 - 8 U 3/11, [...] Rn. 40, und - 8 U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 64). Ein ausreichender Schutz der Rechte der Beklagten wird schließlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass dem mit Ablauf des 18. April 2011 in Rechtskraft erwachsenen Urteil keine Übersetzung der Entscheidung beigefügt war. Die Beklagten waren über den Inhalt des Rechtsstreits hinreichend durch die förmliche Zustellung der Klageschrift mit der Übersetzung in die türkische Sprache informiert. Trotz Kenntnis der gegen sie rechtshängigen Klage und der ebenfalls ins Türkische übersetzten Hinweise des Gerichts auf die Folgen bei Nichtbenennung eines Zustellungsbevollmächtigten sind die Beklagten nach dem Zugang des Versäumnisurteils untätig geblieben. Soweit die Revisionen ohne Darlegung konkreter Umstände erstmals behaupten, dass das Versäumnisurteil den Beklagten trotz Aufgabe zur Post im Inland unter ihrer Anschrift nicht zugegangen sei, können sie damit nicht mehr gehört werden (§§ 233 , 234 Abs. 1 ZPO ).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 5. November 2013

Vorinstanz: LG Köln, vom 28.07.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 22 O 433/09
Vorinstanz: OLG Köln, vom 24.05.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 18 U 219/11