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BGH - Entscheidung vom 18.09.2013

V ZR 286/12

BGH, Beschluss vom 18.09.2013 - Aktenzeichen V ZR 286/12

DRsp Nr. 2013/22715

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 6. Dezember 2012 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 140.000 €.

Gründe

I.

Der Kläger war Eigentümer eines Grundstücks in W. , mit dessen Versteigerung er die D. AG durch notariellen Vertrag vom 27. Januar 2000 beauftragte. Im dem Versteigerungstermin am 25. März 2000 wurde dem Beklagten der Zuschlag zu einem Gebot von 260.000 DM erteilt. Anschließend wurde ein Grundstückskaufvertrag zwischen den Parteien notariell beurkundet, wobei der Kläger durch eine Angestellte des Auktionshauses vertreten wurde. Der Beklagte wurde in das Grundbuch eingetragen, zahlte den Kaufpreis und bebaute das Grundstück mit einem Einfamilienhaus.

Im Jahr 2009 hat der Kläger die auf Rückauflassung und Grundbuchberichtigung gerichtete Klage erhoben. Er stützt sich unter anderem auf die Behauptung, er sei bei Erteilung des Auftrags an das Auktionshaus nebst Vollmachten geschäftsunfähig gewesen. Das Landgericht hat die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen, nachdem es das in einem anderen Verfahren zu der Frage der Geschäftsfähigkeit des Klägers erstattete schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. B. gemäß § 411a ZPO verwertet und den Sachverständigen ergänzend angehört hat. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, mit der er sein Klageziel weiterverfolgt.

II.

Das Berufungsgericht sieht den Beweis für eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers bei Erteilung des Versteigerungsauftrags und der Vollmachten am 27. Januar 2000 als nicht erbracht an. Eine Vernehmung der von dem Kläger benannten Zeuginnen, der Hausärztin Dr. Do. und der Psychotherapeutin T. , die den Kläger Anfang des Jahres 2000 behandelten, sei nicht erforderlich. Denn der Gerichtssachverständige habe das von dem Kläger eingereichte Privatgutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie I. ausgewertet. Die Ergebnisse einer Befragung der beiden Zeuginnen habe der Privatgutachter in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12. September 2011 festgehalten. Der Sachverständige Dr. B. habe die Richtigkeit der dort wiedergegebenen Angaben der Zeuginnen nicht in Zweifel gezogen; vielmehr beruhe sein Gutachten wesentlich auf einer Auswertung dieser Stellungnahmen. Angesichts dessen verstoße eine ergänzende Zeugenvernehmung mit dem Ziel, weitere Informationen zu erlangen, gegen den Beibringungsgrundsatz. "Die Beschaffung und Vorlage etwaiger Ergänzungen" im Hinblick auf weitere Anknüpfungstatsachen obliege dem Kläger.

III.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben. Der Kläger sieht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) zu Recht in entscheidungserheblicher Weise verletzt, weil eine Vernehmung der Zeuginnen Dr. Do. und T. unterblieben ist.

1. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 19. Januar 2012 V ZR 141/11, WuM 2012, 164 Rn. 8 mwN). Geht es um den Geisteszustand einer Person in der Vergangenheit, so ist die Verwertung eines ärztlichen Attests im Wege des Urkundenbeweises anstelle der beantragten unmittelbaren Anhörung des (sachverständigen) Zeugen unzulässig, wenn sich der Beweisantritt auf die dem Attest zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen bezieht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1997 - III ZR 69/96, NJW 1997, 3096 , 3097).

2. Danach hat das Berufungsgericht die Vernehmung der von dem Kläger zum Beweis seiner Geschäftsunfähigkeit benannten (sachverständigen) Zeuginnen zu Unrecht unterlassen.

a) Eine Einführung der Niederschrift über eine Zeugenvernehmung aus einem anderen gerichtlichen Verfahren im Wege des Urkundsbeweises kommt nicht in Betracht, wenn die Partei von ihrem Recht Gebrauch macht, die unmittelbare Vernehmung des Zeugen zu beantragen (näher Senat, Urteil vom 12. Juli 2013 V ZR 85/12, [...] Rn. 8 mwN). Erst recht wird eine Zeugenvernehmung durch das Gericht nicht dadurch entbehrlich, dass wie hier ein Privatgutachter Äußerungen wiedergibt, die der Zeuge ihm gegenüber getätigt haben soll. Denn ein Privatgutachten enthält qualifizierten Parteivortrag, bei dem es sich grundsätzlich nicht um ein Beweismittel im Sinne der §§ 355 ff. ZPO handelt (vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober 2000 VI ZR 10/00, NJW 2001, 77 , 78, und vom 11. Mai 1993 VI ZR 243/92, NJW 1993, 2382 , 2383 jeweils mwN).

b) Der Beweisantritt ist entscheidungserheblich; es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt, wenn es ihm - zweckmäßigerweise im Beisein des Sachverständigen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1997 - III ZR 69/96, NJW 1997, 3096 , 3097 mwN) - nachgeht. Beide Zeuginnen haben den Zustand des Klägers in dem maßgeblichen Zeitpunkt erlebt. Ihre tatsächlichen Wahrnehmungen bilden - wie auch das Berufungsgericht erkennt - eine wesentliche Grundlage für die sachverständige Begutachtung. Der Sachverständige hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass er nicht beurteilen kann, welche Fragen den Zeuginnen gestellt worden sind, und nicht ausschließen kann, dass sie gegenüber dem Gericht noch weitere Angaben machen können. Der Beweisantritt des Klägers ist ausreichend. Er kann und muss mögliche Bekundungen der Zeuginnen nicht im Einzelnen vorwegnehmen.

3. Die weiteren mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

Vorinstanz: LG Frankfurt an der Oder, vom 24.06.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 13 O 281/09