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BGH - Entscheidung vom 13.02.2013

2 StR 576/12

BGH, Beschluss vom 13.02.2013 - Aktenzeichen 2 StR 576/12

DRsp Nr. 2013/5543

Aufhebung einer Verurteilung wegen sexueller Übergriffe aufgrund Mängel bzgl. der Prüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin

Der Tatrichter darf die Aussage eines Belastungszeugen nicht als insgesamt glaubhaft bewerten, wenn er ihr tatsächlich (ausdrücklich) teilweise nicht folgt.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 16. Juli 2012 in den Fällen II. 1-9 mit den zugehörigen Feststellungen sowie im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.

2.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in sieben Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit sexueller Nötigung, sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO ).

1. Der Schuldspruch in den Fällen II. 10-11 wegen vorsätzlicher Körperverletzung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Dagegen hält die Verurteilung wegen der sexuellen Übergriffe des Angeklagten auf S. (Fälle II. 1-9) rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die Beweiswürdigung, die das Landgericht der Verurteilung insoweit zugrunde gelegt hat, trägt den Schuldspruch nicht. Die Strafkammer hat ihre Überzeugung von der Täterschaft des bestreitenden Angeklagten auf die Aussage des Opfers gestützt, dessen Angaben sie unter Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe als glaubhaft angesehen hat. Es kann dahinstehen, ob sich das Landgericht, das sich das vom Sachverständigen erstattete und in den Urteilsgründen auf mehr als 15 Seiten detailliert referierte Glaubhaftigkeitsgutachten ohne weitere Erläuterung zu eigen gemacht hat, insoweit in genügender Weise die erforderliche eigene richterliche Überzeugung verschafft hat (vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 17). Denn die auf die gutachterlichen Ergebnisse gestützte Beweiswürdigung rechtfertigt die Verurteilung ohnehin nicht.

Es erweist sich als bedenklich, wenn die Kammer annimmt, die Schilderungen basierten "mit hoher Wahrscheinlichkeit" auf einem wahren Erlebnishintergrund, und daraus die Glaubhaftigkeit aller Angaben der Zeugin folgert. Denn in der Folge gelangt das Landgericht zu dem Schluss, dass die Angaben der Zeugin gerade nicht in vollem Umfang glaubhaft seien. Nicht anders ist es nämlich zu verstehen, wenn es mitteilt, der Sachverständige komme in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, ihre Aussage sei insoweit als glaubhaft anzusehen, als sie angegeben habe, der Angeklagte habe sie wiederholt im Brust- und Genitalbereich angefasst, habe mindestens einmal einen Finger in ihre Vagina eingeführt, habe sie wiederholt geküsst, habe sie mindestens einmal aufgefordert, seinen Penis in ihren Mund zu nehmen und habe mindestens einmal ihre Hand zu seinem Penis geführt. Insoweit hatte die Zeugin weitergehende Angaben gemacht, die über diese als glaubhaft geschildert bewerteten Tathandlungen hinausgingen. Diesen Widerspruch zur Annahme, die Zeugin sei insgesamt glaubhaft, übersieht das Landgericht genauso wie den Umstand, dass selbst bei Zugrundelegung der als glaubhaft angesehenen Angaben der Schuldspruch hiervon nicht getragen wird. So sieht das Landgericht es als glaubhaft an, der Angeklagte habe mindestens einmal einen Finger in ihre Vagina eingeführt; es verurteilt allerdings wegen dreier Taten, in denen es zu einem Eindringen des Fingers gekommen sein soll (Fälle II. 4-6). Ähnlich verhält es sich im Hinblick auf die Aufforderung, den Penis in den Mund zu nehmen; auch hier kam es trotz der Feststellung, glaubhaft sei der Bericht über (lediglich) eine Aufforderung, den Penis in den Mund zu nehmen, zu einer Verurteilung wegen zweier gleichgelagerter Handlungen (II. 1-2). Warum die Strafkammer über die als glaubhaft angesehenen Handlungen hinaus zu Verurteilungen gelangt ist, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.

Die aufgezeigten Mängel berühren die Prüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin insgesamt und führen zur Aufhebung der Verurteilung, soweit diese auf die Angaben des Tatopfers gestützt ist. Unberührt bleibt der Schuldspruch wegen der Körperverletzungen, die der Angeklagte eingeräumt hat.

2. Die Aufhebung in den Fällen II. 1-9 zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

Der neue Tatrichter - sollte er die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme für erforderlich erachten - wird zu erwägen haben, ob er einen neuen Sachverständigen mit der Begutachtung beauftragen sollte.

Vorinstanz: LG Erfurt, vom 16.07.2012