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BGH - Entscheidung vom 17.10.2013

V ZB 28/13

Normen:
BGB § 280
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3

BGH, Beschluss vom 17.10.2013 - Aktenzeichen V ZB 28/13

DRsp Nr. 2013/24794

Anforderung an die Berufungsbegründung bei einer auf mehrere selbständige Gründe gestützten klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung

Kommen für einen eingeklagten Anspruch mehrere selbständige konkurrierende Anspruchsgrundlagen in Betracht, entspricht die Berufungsbegründung gegen die Klageabweisung schon dann den gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO , wenn sie die Verneinung auch nur einer der von dem Erstgericht geprüften Anspruchsgrundlagen ordnungsgemäß angreift oder geltend macht, das Erstgericht habe eine nach dem Sachvortrag in Betracht kommende Anspruchsgrundlage nicht geprüft.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 26. Februar 2013 insoweit aufgehoben, als darin die Berufung gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 10. Mai 2012 hinsichtlich des Beklagten zu 2 als unzulässig verworfen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 72.161,36 €.

Normenkette:

BGB § 280 ; ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I.

Der Kläger erwarb im Jahr 2007 drei Schalen aus vorchristlicher Zeit und zwei byzantinische Räucherkesselchen. Diese stellte das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst wegen Verdachts der Hehlerei sicher, lagerte sie bei dem Beklagten zu 2, bei dem der frühere Beklagte zu 1 als Archäologe beschäftigt ist, ein, hob die Sicherstellung aber nach einem von dem Kläger eingeleiteten erfolgreichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren wieder auf. Es wies den Beklagten zu 2 an, die Gegenstände an den Kläger herauszugeben, was aber nicht geschah. Auf eine weitere verwaltungsgerichtliche Klage des Klägers gegen das Land Hessen wurde dieses unter dem 2. Juni 2010 zur Herausgabe der Gegenstände verurteilt. In einem von dem Beklagten zu 1 unterzeichneten Schreiben vom 10. Mai 2010 stellte der Beklagte zu 2 dem Kläger 17.004.500 € für den Fall in Rechnung, dass es zur Herausgabe der Gegenstände kommen sollte. Begründet wurde dieser Betrag mit den "Aufwendungen für Untersuchungen im Zusammenhang mit der Erstellung eines archäologischen Fachgutachtens" und "Ausgleich für die Folgen der Rufschädigung durch Unterstützung von Antikenhehlerei". Der Kläger beauftragte einen Rechtsanwalt, der sich an den Beklagten zu 2 wandte und erreichte, dass dieser sein Schreiben vom 10. Mai 2010 für gegenstandslos erklärte. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt er von den Beklagten Ersatz der ihm entstandenen Rechtsanwaltskosten.

Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht, soweit hier von Interesse, durch Beschluss als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde wendet er sich gegen die Verwerfung der Berufung hinsichtlich des Beklagten zu 2 als unzulässig und möchte insoweit die Durchführung der Berufung erreichen.

II.

Das Berufungsgericht meint, der Kläger habe das Urteil des Landgerichts in der Berufungsbegründung nicht in der vorgeschriebenen Weise angegriffen. Das Landgericht habe einen Anspruch wegen Pflichtverletzung im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis nicht nur daran scheitern lassen, dass § 280 BGB im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis erst ab Rechtshängigkeit gelte, sondern auch daran, dass der Beklagte zu 2 nicht Eigenbesitzer, sondern nur Besitzdiener gewesen sei. Mit diesem zweiten Aspekt setze sich die Berufungsbegründung nicht auseinander.

III.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen die Verwerfung seiner Berufung hinsichtlich des Beklagten zu 2 hat Erfolg.

1. Sie ist nach § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Zulässig ist sie zwar nur, wenn einer der in § 574 Abs. 2 ZPO bezeichneten Zulassungsgründe vorliegt (BGH, Beschluss vom 7. Mai 2003 - XII ZB 191/02, BGHZ 155, 21, 22). Das ist aber der Fall. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Berufungsbegründung überspannt, dadurch dem Kläger den Zugang zur Rechtsmittelinstanz in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert und damit durch die Handhabung einer verfahrensrechtlichen Vorschrift den Anspruch auf die Durchsetzung des materiellen Rechts in unzumutbarer Weise verkürzt (vgl. BVerfGE 84, 366 , 369 und NJOZ 2005, 3980, 3981). Eine solche Handhabung des Verfahrensrechts verletzt den aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG abzuleitenden Justizgewährungsanspruch und erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

2. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Die Berufungsbegründung genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO . Die Berufung durfte deshalb nicht als unzulässig verworfen werden.

a) Nach der genannten Vorschrift hat der Berufungskläger die Umstände zu bezeichnen, aus denen sich der dem Erstgericht vorgeworfene Rechtsfehler und dessen Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Noch zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass der Berufungskläger das Urteil des Erstgerichts in allen Punkten angreifen muss, wenn dieses auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende Erwägungen gestützt hat. Er hat dann für jede der mehreren Erwägungen darzulegen, warum sie die Entscheidung nicht trägt; andernfalls ist sein Rechtsmittel unzulässig (Senat, Beschluss vom 28. Februar 2007 V ZB 154/06, NJW 2007, 1534 Rn. 11 mwN).

b) § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO erfordert indes weder, dass der Berufungskläger in der Begründung des Rechtsmittels zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten im erstinstanzlichen Urteil Stellung nimmt (BGH, Urteile vom 5. Oktober 1983 VIII ZR 224/82, NJW 1984, 177, 178 und vom 8. April 1991 II ZR 35/90, NJW-RR 1991, 1186 , 1187), noch gebietet die Vorschrift eine inhaltliche Trennung der Angriffe nach den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung (BGH, Urteil vom 13. November 2001 VI ZR 414/00, NJW 2002, 682 , 683). Der gesetzlichen Anforderung an die Berufungsbegründung, den Rechtsfehler und dessen Entscheidungserheblichkeit zu bezeichnen, ist auch bei einer auf mehrere selbständige Gründe gestützten klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung genügt, wenn der nur auf eine Begründung bezogene Angriff aus Rechtsgründen auch den anderen Abweisungsgrund im angefochtenen Urteil zu Fall bringt oder geeignet ist, das Urteil insgesamt in Frage zu stellen (Senat, Beschluss vom 28. Februar 2007 V ZB 154/06, NJW 2007, 1534 Rn. 12).

c) So ist es hier. Das Landgericht hat sich mit mehreren selbständigen, miteinander konkurrierenden Anspruchsgrundlagen für den vom Kläger geltend gemachten Ersatzanspruch befasst und sie sämtlich verneint. In der Berufungsbegründung hat der Kläger ausgeführt, sein Anspruch folge aus einer Pflichtverletzung im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der Verletzung von § 253 StGB als Schutzgesetz und aus § 826 BGB wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung. Er hat sich dabei zwar nicht mit allen Argumenten befasst, mit denen das Landgericht einen Anspruch wegen Pflichtverletzung im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis verneint hat. Seine Berufungsbegründung entspricht aber trotzdem den gesetzlichen Anforderungen. Das Berufungsgericht hat übersehen, dass für den eingeklagten Anspruch mehrere selbständige konkurrierende Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen. Berufung und Klage haben in einer solchen Lage Erfolg, wenn sich die Klageforderung auf eine der von dem Erstgericht verneinten Anspruchsgrundlagen stützen lässt. Die Berufungsbegründung entspricht dann den gesetzlichen Anforderungen, wenn sie die Verneinung auch nur einer der von dem Erstgericht geprüften Anspruchsgrundlagen ordnungsgemäß angreift oder geltend macht, das Erstgericht habe eine nach dem Sachvortrag in Betracht kommende Anspruchsgrundlage nicht geprüft. Hier hatte sich der Kläger auch gegen die Verneinung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung gewandt. Mehr musste er nicht tun.

d) Das Berufungsgericht wird sich deshalb mit der Klageforderung gegen den Beklagten zu 2 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats zur Geltendmachung unbegründeter Ansprüche (Urteil vom 16. Januar 2009 V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 ) zu befassen haben, die nicht nur die Verletzung von Pflichten in einem bestehenden Vertragsverhältnis, sondern auch die Verletzung von Schutzpflichten in einer Sonderrechtsbeziehung erfasst (Senat, Urteil vom 16. Januar 2009 V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 , 244 f. Rn. 16 und BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 - VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458 , 1459 Rn. 9), die hier aus der Verwahrung der Gefäße durch den Beklagten zu 2 entstanden ist.

Vorinstanz: LG Mainz, vom 10.05.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 1 O 266/10
Vorinstanz: OLG Koblenz, vom 26.02.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 5 U 684/12