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BFH - Entscheidung vom 13.03.2013

X R 16/11

Normen:
§ 56 Abs 1 FGO
FGO § 120 Abs. 2 S. 1 Hs. 2
ZPO § 233

Fundstellen:
BFH/NV 2013, 962

BFH, Beschluss vom 13.03.2013 - Aktenzeichen X R 16/11

DRsp Nr. 2013/7361

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist

1. NV: Der Prozessbevollmächtigte darf die Berechnung einfacher und in dem jeweiligen Büro geläufiger Fristen einer eingewiesenen und regelmäßig überwachten Fachkraft übertragen. Unterläuft einer solchen Fachkraft ein Versehen bei der Notierung oder Überwachung von Fristen, braucht der Prozessbevollmächtigte dieses nicht als eigenes Verschulden zu vertreten.   2. NV: Verwechselt die Bürokraft die vom BFH verlängerte Revisionsbegründungsfrist im Rahmen der Fristnotierung mit einem bloßen Termin und geht sie in der Folgezeit davon aus, gerichtliche Termine könnten ohne Rechtsnachteile unbeachtet bleiben, deutet dies darauf hin, dass der Prozessbevollmächtigte die erforderliche Einweisung seiner Fachkraft in den Umgang mit gerichtlichen Terminen unterlassen hat.

Begründet der Verfahrensbevollmächtigte die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist damit, dass die mit der Bearbeitung der Fristsachen betraute Büroangestellte die vom BFH verlängerte Revisionsbegründungsfrist nicht als Frist, sondern als Termin eingetragen hatte und in der Folgezeit die Angelegenheit nicht weiter bearbeitete, weil sie der Auffassung war, dass beim Überschreiten derartiger Termine keine unmittelbaren Rechtsnachteile zu erwarten seien, so beruht die Fristversäumung auf einem der vertretenen Partei gemäß §§ 155 FGO , 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten. Denn das Vorbringen lässt darauf schließen, dass keine den gesetzlichen Anforderungen genügenden Anweisungen zum Umgang mit gerichtlichen Fristen bestanden. Es ist schlechterdings unvorstellbar, dass eine Bürokraft, die durch den Prozessbevollmächtigten ordentlich in die ihr übertragene Frist- und Terminüberwachung eingewiesen worden ist und in ihrer Tätigkeit regelmäßig überwacht wird, annehmen könnte, ein von einem Gericht --aus ihrer Sicht-- gesetzter Termin könne ohne Rechtsnachteile überschritten werden.

Normenkette:

FGO § 120 Abs. 2 S. 1 Hs. 2; ZPO § 233 ;

Gründe

I. Der erkennende Senat hatte auf eine entsprechende Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) mit Beschluss vom 12. April 2011 die Revision gegen das klageabweisende Urteil der Vorinstanz zugelassen. Dieser Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten (P) der Klägerin am 20. April 2011 zugestellt. In der Folgezeit verlängerte der Vorsitzende des erkennenden Senats auf entsprechende Anträge des P die Revisionsbegründungsfrist mehrfach, zuletzt mit Schreiben der Senatsgeschäftsstelle vom 21. Juni 2011 --bei P nach dessen Angaben eingegangen am 24. Juni 2011 (Freitag)-- bis zum 11. Juli 2011 (Montag).

Da innerhalb der verlängerten Frist keine Revisionsbegründung beim Bundesfinanzhof (BFH) einging, wies der Senatsvorsitzende P mit einem am 21. Juli 2011 zugestellten Schreiben auf den Fristablauf und die Vorschrift des § 56 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) hin.

Am 25. Juli 2011 beantragte P, die Frist für die "Beschwerdebegründung" bis zum 25. Juli 2011 zu verlängern und wegen der Versäumung der "Beschwerdebegründungsfrist" Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ebenfalls am 25. Juli 2011 reichte er einen Schriftsatz mit Revisionsanträgen und einer kurzen Rechtsmittelbegründung beim BFH ein. Den Wiedereinsetzungsantrag begründete er am 28. Juli 2011 dahingehend, dass seine bisher stets zuverlässig arbeitende Fristsachbearbeiterin (F) den Tag des Ablaufs der verlängerten "Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde" nicht als Frist, sondern als Termin in die Fristenüberwachung eingetragen habe. F hat in einer beigefügten "Stellungnahme und eidesstattlichen Versicherung" --die keinen Hinweis auf die Strafbarkeit falscher eidesstattlicher Versicherungen enthält-- erklärt, sie habe das Datum des Fristablaufs "als jederzeit verlängerbaren Termin" angesehen, "bei dessen Überschreiten auch keine unmittelbaren Rechtsnachteile zu erwarten waren".

Zur Organisation des Fristenwesens in seiner Kanzlei hat P vorgetragen, alle fristauslösenden oder einen Termin enthaltenden Schreiben würden an ihrem Eingangstag in eine Tabelle mit der Bezeichnung "Bescheid -- Fristen -- Termin -- Übersicht" eingetragen. Zusätzlich würden die Schreiben in einem eigenen Fristenordner gesammelt und dort im Fach des jeweiligen Sachbearbeiters abgelegt. Ab dem Tag des Eingangs würden die Fristen und Termine täglich anhand der Übersicht überwacht. Zusätzlich erfolge am Freitag einer jeden Woche eine Durchsicht zur Feststellung, welche Bescheidprüfungen, Fristen oder Termine in der nächsten Woche bearbeitet werden müssten. Die Bearbeitung durch den Sachbearbeiter werde bis zum ersten, spätestens aber bis zum zweiten Freitag vorgenommen, der dem Eingangstag folge. Seit dem 24. Juni 2011 sei P der einzige Berufsträger in der Kanzlei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Revisionsbegründungsfrist zu gewähren, das angefochtene Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2007 aufzuheben und die Einkommensteuer 1999 unter Änderung des Bescheids vom 18. November 2004 auf 0 DM festzusetzen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt, vertritt aber die Auffassung, dass weder die Revisionsbegründung den Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 FGO genüge noch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren sei.

II. Die Revision ist unzulässig und gemäß § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluss zu verwerfen.

1. Die Klägerin hat die Revisionsbegründungsfrist des § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO versäumt. Diese Frist war gemäß § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO zuletzt bis zum 11. Juli 2011 verlängert worden. Eine kurze Revisionsbegründung ist indes erst am 25. Juli 2011 --nach Fristablauf-- beim BFH eingegangen.

2. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

a) Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass der Beteiligte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO ). Dabei ist dem Beteiligten ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO zuzurechnen (BFH-Beschluss vom 2. September 2005 I R 117/04, BFH/NV 2006, 96 , unter II.2.a). Allerdings darf der Prozessbevollmächtigte die Erledigung mechanischer Tätigkeiten untergeordneter Art einer zuverlässigen Bürokraft überlassen; hierzu gehört auch die Berechnung einfacher und in dem jeweiligen Büro geläufiger Fristen. Unterläuft einer solchen Fachkraft bei der Notierung oder Überwachung von Fristen ein Versehen, braucht der Prozessbevollmächtigte dieses nicht als eigenes Verschulden zu vertreten. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen geeignet sind, eine Fristversäumnis auszuschließen, und er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für das Befolgen seiner Anordnungen Sorge trägt (vgl. zum Ganzen Senatsbeschluss vom 13. Oktober 1993 X R 112/92, BFH/NV 1994, 328 , unter 2.). Dabei ist zu beachten, dass die Begründungsfristen sowohl für Revisionen als auch für Nichtzulassungsbeschwerden nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehören, so dass der Prozessbevollmächtigte in diesen Fällen bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet ist (Senatsbeschluss vom 8. Februar 2008 X B 95/07, BFH/NV 2008, 969 , unter II.2.b aa, m.w.N.).

b) Diese Anforderungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

Nach dem Vorbringen der Klägerin beruht die Fristversäumnis darauf, dass F die vom BFH verlängerte Revisionsbegründungsfrist nicht als Frist, sondern als Termin eingetragen hatte, und in der Folgezeit die Angelegenheit nicht weiter bearbeitete, weil sie der Auffassung war, dass beim Überschreiten derartiger Termine keine unmittelbaren Rechtsnachteile zu erwarten seien.

Dieses Vorbringen lässt darauf schließen, dass in der Kanzlei des P keine den gesetzlichen Anforderungen genügenden Anweisungen zum Umgang mit gerichtlichen Fristen bestanden. Zwar mag die bloße Fehleintragung eines Termins statt einer Frist durch F dem P --und damit der Klägerin-- nicht als eigenes Verschulden zuzurechnen sein. Kausal für die Fristversäumnis war aber neben dieser Fehleintragung auch der spätere Umgang der F mit der aus ihrer Sicht bestehenden Terminvorgabe des BFH. Es ist schlechterdings unvorstellbar, dass eine Bürokraft, die durch den Prozessbevollmächtigten ordentlich in die ihr übertragene Frist- und Terminüberwachung eingewiesen worden ist und in ihrer Tätigkeit regelmäßig überwacht wird, annehmen könnte, ein von einem Gericht --aus ihrer Sicht-- gesetzter Termin könne ohne Rechtsnachteile überschritten werden. Abgesehen davon, dass P sich im Übrigen nicht dazu geäußert hat, in welcher Weise er seine Bürokräfte in Fragen der Fristüberwachung belehrt und überwacht, deuten diese Angaben darauf hin, dass in der Kanzlei ein nachlässiger Umgang mit gesetzten Terminen besteht. Dieser Organisationsmangel stellt ein eigenes Verschulden des P dar, das der Klägerin zuzurechnen ist.

3. Der am 25. Juli 2011 gestellte Antrag auf Verlängerung der bereits am 11. Juli 2011 abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist ist unbeachtlich, da die Revisionsbegründungsfrist gemäß § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO nur auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag verlängert werden kann (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Oktober 2000 V R 16/00, BFH/NV 2001, 608 , unter II.4.).

4. Danach braucht der Senat nicht mehr zu entscheiden, ob die Revision auch deshalb unzulässig ist, weil die Revisionsbegründung nicht die Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 FGO erfüllt.

Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg, vom 31.03.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 11 K 11289/07
Fundstellen
BFH/NV 2013, 962