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BFH - Entscheidung vom 05.03.2013

X K 10/12

Normen:
§ 12 Abs 1 GKG
§ 12a GKG
§ 52 Abs 1 GKG
§ 52 Abs 2 GKG
§ 52 Abs 4 GKG
§ 63 Abs 1 GKG
§ 198 GVG
§ 201 Abs 2 S 2 GVG
§ 79a Abs 1 Nr 4 FGO
§ 79a Abs 1 Nr 5 FGO
§ 79a Abs 4 FGO
§ 155 S 2 FGO
GKG § 63 Abs. 1 S. 1
GKG § 12a
GKG § 12 Abs. 1

Fundstellen:
BFH/NV 2013, 953

BFH, Beschluss vom 05.03.2013 - Aktenzeichen X K 10/12

DRsp Nr. 2013/7998

Streitwert eines Verfahrens wegen überlanger Verfahrensdauer

1. NV: Bedarf es im Rahmen einer beim BFH erhobenen Entschädigungsklage der Festsetzung eines vorläufigen Gebührenstreitwerts gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG , dann ist hierfür der Berichterstatter des angerufenen Senats zuständig. 2. NV: Bei der Wertfestsetzung gem. § 63 Abs. 1 Satz 1  GKG kann im Einzelfall die Wertung des § 198 Abs. 2 GVG zu berücksichtigen sein.

Der Streitwert eines Verfahrens wegen überlanger Verfahrensdauer ist unter Berücksichtigung der Regelentschädigung von 1.200 EUR je Jahr der Verzögerung gem. § 198 GVG festzusetzen (hier: 300 EUR).

Normenkette:

GKG § 63 Abs. 1 S. 1; GKG § 12a; GKG § 12 Abs. 1 ;

Gründe

I. Der Kläger begründete mit seinem am 10. Juli 2012 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Schriftsatz vom 6. Juli 2012 seine gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) Hamburg vom 9. Februar 2012 3 K 232/11 erhobene Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision, über die der zuständige Senat des BFH inzwischen entschieden hat. In seinem Schriftsatz führte er auch aus, er erhebe Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer.

Der Kläger ist der Auffassung, das einen Schenkungsteuerbescheid betreffende Klageverfahren 3 K 232/11 hätte vom FG wegen überfälliger Fortschreibungen von Einheitswertbescheiden ausgesetzt werden müssen. Solche Fortschreibungen würden vom Kläger seit längerer Zeit begehrt. Die absolute Höchstdauer von acht bis zehn Jahren werde überschritten, da diese Problematik betreffende gerichtliche Verfahren beim FG Hamburg seit dem Jahr 2000 rechtshängig gemacht worden seien. Mit Schriftsatz vom 20. August 2012 trug der Kläger ergänzend vor, ein Aufhebungsbescheid des im finanzgerichtlichen Verfahren beklagten Finanzamts vom 19. April 2001 sei nach § 68 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) Gegenstand der Verfahren vor dem FG Hamburg, 1. Senat, 123/00, 122/00, 192/00 und 226/00 sowie aller Verfahren vor dem 3. Senat des FG Hamburg geworden. Alle Verfahren vor dem FG und dem BFH seien damit auch Gegenstand der Entschädigungsklagen vor dem BFH geworden.

Mit Schreiben vom 11. Oktober 2012 forderte die Geschäftsstelle des angerufenen Senats den Kläger im richterlichen Auftrag auf, gemäß § 61 des Gerichtskostengesetzes ( GKG ) den Wert des Streitgegenstands anzugeben. Auch wurde in diesem Schreiben mitgeteilt, es werde davon ausgegangen, dass sich seine Entschädigungsklage vom 6. Juli 2012 ausschließlich auf das Klageverfahren vor dem FG Hamburg 3 K 232/11 beziehe, andernfalls werde um entsprechende Klarstellung gebeten. Hierauf teilte der Kläger mit Schreiben vom 30. November 2012 lediglich mit, die Höhe des Streitwerts könne derzeit nicht mitgeteilt werden.

II. 1. Der Streitwert ist gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG durch den Berichterstatter des angerufenen Senats festzusetzen.

a) Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG setzt das Gericht den Wert ohne vorherige Anhörung der Parteien (Beteiligten) fest, wenn Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klageschrift fällig sind und Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt:

aa) Gemäß § 12a GKG ist in Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer § 12 Abs. 1 GKG anzuwenden. Dies hat zur Folge, dass die Klage erst nach Zahlung der Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen zugestellt werden soll. Diese bestimmt sich gemäß § 3 GKG nach dem Streitwert. Gemäß § 52 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 GKG ist in solchen Fällen die sonst in finanzgerichtlichen Verfahren geltende Regelung über den Mindeststreitwert von 1.000 € nicht anwendbar.

bb) Die Klage richtet sich auch nicht auf eine bestimmte Geldsumme. Eine solche liegt nach dem Gesetzeswortlaut nur vor, wenn der Kläger eine genau bezeichnete Geldsumme begehrt. Nicht ausreichend ist, dass der Wert unter Berücksichtigung der Bedeutung der Rechtssache für den Kläger bezifferbar ist. Dem entspricht auch der Sinn und Zweck der Regelung. Denn der Kostenbeamte kann die anzusetzenden Gebühren nur dann ohne weiteres ermitteln, wenn die Klageforderung auf eine bestimmte Geldsumme gerichtet ist oder für die Gebühren ein gesetzlich bestimmter Festbetrag anzusetzen ist (Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl., § 63 GKG Rz 6). Andernfalls bedarf es der gerichtlichen Wertbestimmung.

An einem solchen bezifferten Geldbetrag fehlt es im Streitfall, weil der Kläger einen solchen nicht benannt hat. Auch soweit der Ansatz eines Streitwerts von 5.000 € gemäß § 52 Abs. 2 GKG in Betracht zu ziehen ist (vgl. hierzu unten unter II.2.a), macht dies die gerichtliche Streitwertfestsetzung nicht entbehrlich, weil dieser Wert nur dann angesetzt werden kann, wenn der Streitwert nicht nach § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung des klägerischen Begehrens nach Ermessen bestimmt werden kann.

cc) Die gerichtliche Wertfestsetzung ist auch nicht nach § 63 Abs. 1 Satz 3 GKG ausgeschlossen. Zwar wird in dieser Vorschrift ausgeführt, die Sätze 1 und 2 der Vorschrift und damit auch die Regelung über die gerichtliche Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren seien im Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit nicht anwendbar. Wie der nachfolgende Satz 4 zeigt, beruht die Regelung des § 63 Abs. 1 Satz 3 GKG jedoch darauf, dass sich der Gebührenvorschuss in diesem Verfahren vorläufig nach dem in § 52 Abs. 4 GKG bestimmten Mindestwert (1.000 €) richtet. Dieser ist wie oben unter II.1.a aa ausgeführt in Entschädigungsverfahren wegen überlanger Verfahrensdauer gerade nicht anwendbar. § 63 Abs. 1 Satz 4 GKG ist daher einschränkend dahingehend auszulegen, dass er sich nur auf normale finanzgerichtliche Verfahren und nicht auf Entschädigungsklageverfahren bezieht.

b) Zur Entscheidung berufen ist der Berichterstatter des Senats. Dies folgt daraus, dass in Entschädigungsklageverfahren wegen überlanger Verfahrensdauer gemäß § 155 Satz 2 FGO die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug gelten. Damit ergibt sich die Zuständigkeit des Vorsitzenden, ggf. Berichterstatters für die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren über Kosten und den Streitwert gemäß § 79a Abs. 1 Nr. 4 , 5 , Abs. 3 , 4 FGO .

aa) Die Anwendung des § 79a FGO ist anders als die Entscheidung durch den Einzelrichter (so § 201 Abs. 2 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes -- GVG --) in Entschädigungsklageverfahren beim BFH nicht ausgeschlossen.

Die FGO unterscheidet zwischen dem Einzelrichter i.S. des § 6 Abs. 1 FGO und dem nach dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan zuständigen Berichterstatter (zu dieser Unterscheidung vgl. BFH-Beschluss vom 23. November 2011 IV B 7/10, BFH/NV 2012, 429 ). Dieser tritt gemäß § 79a Abs. 4 FGO als gesetzlicher Richter i.S. von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes bei den in § 79a Abs. 1 FGO genannten Entscheidungen im "vorbereitenden Verfahren" an die Stelle des Senats bzw. des Vorsitzenden (Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 79a FGO Rz 38, m.w.N.). Anders als der Einzelrichter i.S. des § 6 FGO ist der Berichterstatter in Entschädigungsklagen nicht ausgeschlossen. Ein für das Revisionsverfahren in § 121 Satz 2 FGO geregelter Ausschluss des § 79a FGO findet sich in § 155 Satz 2 FGO , der die Entschädigungsklagen beim BFH betrifft, nicht. Durch den ausdrücklichen Hinweis auf die Parallelvorschrift des § 87a der Verwaltungsgerichtsordnung in der Gesetzesbegründung (BTDrucks 17/7217, 28) wird deutlich, dass der Gesetzgeber eine solche Entscheidungsbefugnis des Berichterstatters gewollt hat.

bb) Die vorläufige Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren durch das Gericht gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG ist eine solche Entscheidung über den Streitwert und die Kosten im vorbereitenden Verfahren nach § 79a Abs. 1 Nr. 4 und 5 FGO . Denn die Wertfestsetzung dient der Feststellung, in welcher Höhe Gerichtsgebühren zu erheben sind. Von deren Zahlung hängt es nach § 12a GKG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 GKG im Allgemeinen ab, ob die Klage zugestellt wird.

2. Der Streitwert wird auf 300 € festgesetzt.

a) Die Tatsache, dass ein Kläger wie im Streitfall keinen Antrag auf eine bezifferte Geldleistung stellt, welcher gemäß § 52 Abs. 3 GKG für die Höhe des Streitwerts maßgeblich wäre, hat nicht automatisch zur Folge, dass der Auffangstreitwert gemäß § 52 Abs. 2 GKG von 5.000 € anzusetzen ist. Zwar ist die zuletzt genannte Vorschrift auch in Entschädigungsverfahren wegen überlanger Verfahrensdauer anwendbar, weil für solche Verfahren lediglich gemäß § 52 Abs. 4 Satz 1 GKG die Regelung über den Mindeststreitwert ausgenommen ist.

Indessen kommt die Anwendung von § 52 Abs. 2 GKG nur in Betracht, wenn der Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte für eine Streitwertfestsetzung nach Ermessen (§ 52 Abs. 1 GKG ) bietet (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juli 1989 7 C 39/87, Neue Juristische Wochenschrift 1989, 3233 ; BFH-Beschluss vom 7. Mai 2010 IV S 3/10, BFH/NV 2010, 1476 ). Zwar bedarf es hierzu keiner weiteren Ermittlungen; insbesondere müssen zur Streitwertbestimmung nicht die Akten des betroffenen finanzgerichtlichen Verfahrens beigezogen werden, wegen dem Entschädigung begehrt wird. Denn die Wertfestsetzung ist lediglich vorläufiger Natur. Auch hat das Gericht den Wert unverzüglich festzusetzen und es soll vorher keine weiteren Handlungen vornehmen (Meyer, GKG , 12. Aufl., § 63 Rz 6).

b) Bei der vorläufigen Wertfestsetzung kann zu berücksichtigen sein, dass § 198 GVG bei Vorliegen einer unangemessenen Verfahrensdauer i.S. von Abs. 1 dieser Vorschrift in Abs. 2 Sätze 3 und 4 eine Regelentschädigung von 1.200 € je Jahr der Verzögerung vorsieht, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls ein höherer oder niedrigerer Betrag festzusetzen ist.

Das Gericht hält es für sachgerecht, bei der Bestimmung des für den Gebührenvorschuss maßgebenden Streitwerts an der Vorschrift über die Regelentschädigung anzuknüpfen, sofern sich aus dem klägerischen Vorbingen im Einzelfall nichts anderes ergibt. Hierbei berücksichtigt das Gericht auch, dass der Kläger im Fall der Durchführung des Klageverfahrens nach § 65 Abs. 1 FGO den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen und deshalb so genau bestimmen muss, dass für das Gericht die nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO bestehenden Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis feststellbar sind (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung , 7. Aufl. § 65 Rz 47, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).

c) Im Streitfall hat der Kläger dem Hinweis im Schreiben der Geschäftsstelle des angerufenen Senats, wonach davon auszugehen sei, dass sich seine Entschädigungsklage lediglich auf das Klageverfahren vor dem FG Hamburg 3 K 232/11 beziehe, nicht widersprochen. Das Gericht geht deshalb im wohlverstandenen Interesse des Klägers davon aus, dass dieser eine Entschädigung lediglich wegen dieses finanzgerichtlichen Verfahrens erstrebt und er durch den Hinweis auf dort früher anhängig gewesene gerichtliche Verfahren lediglich zum Ausdruck bringen will, bei einer sachgerechten Behandlung dieser Verfahren wäre sein sachliches Begehren bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt erledigt worden, das Klageverfahren 3 K 232/11 beruhe daher auf einer verzögerlichen Behandlung seines Begehrens.

Hierbei berücksichtigt das Gericht auch, dass das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (BGBl I 2011, 2302 ) gemäß Art. 23 (im Gesetzesentwurf Art. 22) bereits abgeschlossene gerichtliche Verfahren nur erfasst, wenn sie nach dem innerstaatlichen Abschluss vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu einer Beschwerde wegen der Verfahrensdauer geführt haben oder noch führen können. Da die Beschwerdefrist des Art. 35 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sechs Monate beträgt, darf der Verfahrensabschluss nicht länger als sechs Monate zurückliegen (vgl. BTDrucks 17/3802, 31), was bei den vom Kläger angesprochenen Altverfahren ersichtlich nicht der Fall ist.

Im Hinblick darauf, dass die Klage vor dem FG Hamburg 3 K 232/11 am 12. Dezember 2011 erhoben wurde und das Urteil am 9. Februar 2012 erging ist damit von einem Streitwert von drei Zwölfteln von 1.200 €, mithin also von 300 € auszugehen.

III.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 63 Abs. 1 Satz 2 GKG ).

Fundstellen
BFH/NV 2013, 953