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BFH - Entscheidung vom 11.03.2013

I B 95/12

Normen:
§ 76 Abs 2 FGO
§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO
§ 116 Abs 3 S 3 FGO
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 96 Abs. 2

BFH, Beschluss vom 11.03.2013 - Aktenzeichen I B 95/12

DRsp Nr. 2013/17338

Anforderungen an die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Verletzung der Sachaufklärungspflicht

1. NV: Die Prozessfürsorgepflicht des § 76 Abs. 2 FGO , die in erster Linie der Gewährleistung eines fairen Verfahrens, der Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen dient, begründet auch bei Rechtsunkundigen keine umfassende Hinweisplicht des Gerichts. 2. NV: Der Beschwerdeführer hat --selbst bei Vorliegen eines Verstoßes gegen die aus § 76 Abs. 2 FGO einzelfallbezogen abzuleitenden Pflichten-- die Entscheidungserheblichkeit des gerügten Verfahrensmangels für das vorinstanzliche Urteil darzulegen.

Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Verletzung der Sachaufklärungspflicht erfordern substantiierte Ausführungen dazu, dass die vermisste Tatsachenwürdigung oder die fehlende Sachaufklärung aus der materiell-rechtlichen Sicht der Vorinstanz entscheidungserheblich war. Die Benennung einer Vielzahl von Umständen, die gegen die Richtigkeit einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sprechen, reicht dafür nicht aus.

Normenkette:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3 ; FGO § 96 Abs. 2 ;

Gründe

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hat gegenüber der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer GmbH in Liquidation, mit Schätzungsbescheiden vom 5. Juli 2010 die Umsatzsteuer 2007 und 2008 sowie Körperschaftsteuer 2008 festgesetzt sowie den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2008 festgestellt. Der --von der Klägerin nicht begründete-- Einspruch wurde vom FA zurückgewiesen. Die daraufhin erhobene Klage blieb gleichfalls ohne Erfolg (Finanzgericht --FG-- Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. Mai 2012 8 K 8400/10). Die Revision wurde vom FG nicht zugelassen. Die Klägerin hat hiergegen mit Schriftsatz vom 25. Juni 2012 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben; eine streitgegenständliche Beschränkung ist der Beschwerdeschrift nicht zu entnehmen. Mit weiterem Schriftsatz vom 27. August 2012 hat die Klägerin die Klage bezüglich der Festsetzung der Umsatzsteuer 2007 zurückgenommen und im Übrigen (betreffend das Streitjahr 2008) die Nichtzulassungsbeschwerde begründet. Das FA hat in die Klagerücknahme eingewilligt (Schreiben vom 20. Februar 2013).

II. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist, soweit sie gegen die Entscheidung der Vorinstanz über die Festsetzung der Körperschaftsteuer 2008 sowie die Umsatzsteuer 2008 und gegen die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verbleibenden Verlustvortrags zum 31. Dezember 2008 erhoben worden ist, zu verwerfen. Sie genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung der in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) genannten Zulassungsgründe (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO ).

1. Soweit die Klägerin rügt, das finanzgerichtliche Urteil beruhe deshalb auf einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ), weil das FG den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt habe (§ 96 Abs. 2 FGO ), ist der Vortrag unschlüssig. Beide Rügen erfordern u.a. substantiierte Ausführungen dazu, dass die vermisste Tatsachenwürdigung oder die fehlende Sachaufklärung aus der materiell-rechtlichen Sicht der Vorinstanz entscheidungserheblich war (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung , 7. Aufl., § 116 Rz 50, § 120 Rz 68, § 119 Rz 14). Dem entspricht die Beschwerdeschrift nicht. Diese benennt zwar eine Vielzahl von Umständen, die nach Ansicht der Klägerin gegen die Richtigkeit der vom FG bestätigten Schätzung des FA sprechen und vom FG hätten berücksichtigt oder (weiter) aufgeklärt werden sollen. Aus dem Vortrag wird jedoch nicht --jedenfalls nicht hinreichend-- deutlich, dass diesen Umständen --ausgehend von der materiellen Sicht des FG-- eine entscheidungserhebliche Bedeutung zukommt. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, dass die Klägerin sich konkret mit sämtlichen tragenden Erwägungen des vorinstanzlichen Urteils auseinandergesetzt hätte. Letzteres gilt insbesondere auch für den Einwand, der vom Geschäftsführer der Klägerin auf den 27. Juni 2008 erstellte Vermögensstatus habe der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (betreffend das Streitjahr 2008) nicht zugrunde gelegt werden dürfen, weil das FG den erstinstanzlichen Vortrag der Klägerin zur Minderung des aus dem Vermögensstatus abgeleiteten Überschusses in Höhe von 19.499 € übergangen und somit seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt habe (vgl. dazu auch Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 72). Hinzu kommt, dass dieser Vortrag auch deshalb nicht hinreichend substantiiert ist, weil die Klägerin zugleich vorträgt, dass die genannte Ertragsminderung "ab Mai 2009 ... ausgebucht" worden sei; demgemäß ist --jedenfalls ohne eine detaillierte Schilderung der betroffenen Vorgänge-- auch nicht nachvollziehbar, dass die von der Klägerin geltend gemachte Überschussminderung bereits Eingang in die für das Streitjahr 2008 geschätzten Besteuerungsgrundlagen hätte finden können.

2. Nicht durchzugreifen vermag ferner die Rüge, die Vorinstanz habe deshalb die Grundsätze des fairen Verfahrens verletzt, weil es den Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht darauf hingewiesen habe, dass eine weitere Verhandlung nicht stattfinden und eine endgültige Entscheidung getroffen werde. Der Vortrag lässt nicht nur außer Acht, dass die Prozessfürsorgepflicht des § 76 Abs. 2 FGO , die in erster Linie der Gewährleistung eines fairen Verfahrens, der Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen dient (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. November 2007 VIII B 25/07, BFH/NV 2008, 241 ), auch bei Rechtsunkundigen keine umfassende Hinweispflicht begründet (z.B. BFH-Beschluss vom 20. Juli 2011 X B 36/11, BFH/NV 2011, 2079 ; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 76 Rz 54, m.w.N.) und der Beschwerdeführer --selbst bei Vorliegen eines Verstoßes gegen die aus § 76 Abs. 2 FGO einzelfallbezogen abzuleitenden Pflichten (vgl. zur Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung z.B. BFH-Beschluss vom 25. August 2000 VII B 30/00, BFH/NV 2001, 294 )-- die Entscheidungserheblichkeit des gerügten Verfahrensmangels für das vorinstanzliche Urteil darzulegen hat (BFH-Beschlüsse vom 1. April 2008 X B 224/07, BFH/NV 2008, 1187 ; vom 1. April 2008 X B 135/07, [...]). Hinzu kommt, dass die Rüge der Klägerin auch deshalb unschlüssig ist, weil nach der über die mündliche Verhandlung gefertigten Niederschrift "in öffentlicher Sitzung ... (der) Beschluss verkündet" (wurde), dass "eine Entscheidung heute im Anschluss an die Sitzung" ergehe. Demgemäß wäre es zumindest erforderlich gewesen, dass die Klägerin substantiiert darlegt, weshalb ihr Geschäftsführer gleichwohl zu der Ansicht gelangen konnte, dass ein Termin zu einer weiteren mündlichen Verhandlung anberaumt werde.

3. Im Übrigen sieht der Senat von einer Begründung dieses Beschlusses ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ).

III.

Aufgrund der Klagerücknahme (betreffend Umsatzsteuer 2007) hat der Senat nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung (vgl. Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 143 Rz 7) über die Kosten des gesamten Verfahrens (Klageverfahren und Beschwerdeverfahren) zu entscheiden (§ 143 FGO ; BFH-Beschlüsse vom 10. Juni 2005 V B 103/04, [...]; BFH-Beschluss vom 14. Oktober 1992 IV R 123/92, BFH/NV 1993, 488 ). Diese hat die Klägerin zu tragen. Letzteres ergibt sich --soweit sie unterlegen ist-- aus § 135 Abs. 1 FGO , im Hinblick auf die Klagerücknahme aus § 136 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg, vom 08.05.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 8 K 8400/10