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BFH - Entscheidung vom 06.02.2013

X B 108/12

Normen:
§ 76 Abs 1 FGO
§ 173 Abs 1 AO
§ 116 Abs 3 S 3 FGO
§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO
§ 115 Abs 2 Nr 2 FGO
§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 15 Abs. 1:
FGO § 76 Abs. 1

Fundstellen:
BFH/NV 2013, 710

BFH, Beschluss vom 06.02.2013 - Aktenzeichen X B 108/12

DRsp Nr. 2013/5262

Anforderungen an die Darlegung einer Aufklärungsrüge

1. NV: Es fehlt an dem --die Anwendbarkeit des § 173 Abs. 1 AO eröffnenden-- Merkmal "Tatsachen, die zu einer höheren Steuer führen", Wenn das FA auch im Falle seiner Kenntnis der maßgebenden Tatsachen im Zeitpunkt des Erlasses des vorangehenden Bescheids unter Berücksichtigung der damals bestehenden Verwaltungsanweisungen und Rechtsprechung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Steuerfestsetzung gekommen wäre. Offen bleich, ob es sich bei der Feststellung der damals bestehenden Verwaltungsanweisungen und Rechtsprechung um eine Tatsachen- oder um eine Rechtsfrage handelt. Wäre Ersteres der Fall, müsste der Beschwerdeführer zu Erhebung einer schlüssigen Sachaufklärungsrüge in der Beschwerdebegründung selbst den Stand der damaligen Rechtsprechung darlegen; würde es sich hingegen um einer Rechtsfrage handeln, könnte die Revision nur zugelassen werden, wenn insoweit materiell-rechtliche Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FGO geltend gemacht würden. 2. NV: Die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Nichterheben von Beweisen vom Amts wegen setzte Ausführungen dazu voraus, welche Beweise das FG vom Amts wegen hätte erheben bzw. welche Tatsachen es hätte aufklären müssen, aus welchen Gründen sich ihm di Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.

Wird eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht gerügt, so ist darzulegen, welche Beweise das Finanzgericht von Amts wegen hätte erheben bzw. welche Tatsachen es hätte aufklären müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des Finanzgerichts zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.

Normenkette:

AO § 173 Abs. 1 Nr. 1 ; EStG § 15 Abs. 1 :; FGO § 76 Abs. 1 ;

Gründe

I. Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang. Zwischen den Beteiligten ist nach Durchführung mehrerer Klage- und Revisionsverfahren in materiell-rechtlicher Hinsicht unstreitig geworden, dass der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) mit den folgenden Objekten einen gewerblichen Grundstückshandel betrieben hat:

Im Dezember 1993 erwarb der Kläger eine Eigentumswohnung mit einer Wohn- und Nutzfläche von insgesamt 540 qm. Er beantragte und erhielt die Baugenehmigung für den Umbau dieser Eigentumswohnung in sechs kleinere Einheiten, für die er die Abgeschlossenheitsbescheinigung beantragte. Nach Beginn der Umbauarbeiten brachte er die Eigentumswohnung im September 1994 in eine von ihm gegründete GmbH gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten und einer zusätzlichen Darlehensforderung ein. Die GmbH veräußerte die entstandenen sechs kleineren Wohnungen in den Jahren 1994 bis 1999 an verschiedene Erwerber. Der Senat hat hierzu mit Urteil vom 10. Dezember 2008 X R 14/05 (BFH/NV 2009, 1244 ) entschieden, dass der Kläger beim Erwerb dieser Eigentumswohnung mit unbedingter Veräußerungsabsicht handelte. Demgegenüber hatte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) einen gewerblichen Grundstückshandel zuvor mit der Zurechnung der von der GmbH getätigten Veräußerungen an den Kläger und dem daraus resultierenden Überschreiten der Drei-Objekt-Grenze begründet. 
Im Oktober 1994 erwarb der Kläger ein Einfamilienhaus. Im Oktober 1995 unterbreiteten die späteren Käufer dem Kläger ein notariell beurkundetes Kaufangebot, das der Kläger im Streitjahr 1996 annahm. Das Finanzgericht (FG) hat hierzu im zweiten Rechtsgang entschieden, dass dieses Objekt vom Kläger mit bedingter Veräußerungsabsicht erworben wurde und in den gewerblichen Grundstückshandel einzubeziehen ist. Diese Würdigung greift der Kläger im Beschwerdeverfahren nicht mehr an. 

In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat das FG mit einem anderweitigen, rechtskräftig gewordenen Urteil entschieden, dass der vom Kläger im Jahr 1994 realisierte Gewinn aus der Einbringung der Eigentumswohnung in die GmbH wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr der Einkommensteuer unterworfen werden kann.

Streitig ist nunmehr allein noch, ob das FA in verfahrensrechtlicher Hinsicht berechtigt war, den am 12. Juni 1998 ergangenen ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1996 (Erstbescheid) durch den angefochtenen, auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ( AO ) gestützten Änderungsbescheid vom 2. Januar 2001 dahingehend zu ändern, dass der gewerbliche Gewinn aus der Veräußerung des Einfamilienhauses erfasst wird.

Das FG hat die Änderungsbefugnis bejaht und hierzu festgestellt, der für die Einkommensteuer-Veranlagung des Klägers zuständigen Dienststelle des FA habe beim Erlass des Erstbescheids lediglich eine Veräußerungsmitteilung vorgelegen, aus der sich die Einbringung der Eigentumswohnung in die GmbH ergeben habe. Die weiteren Tatsachen, aus denen der Bundesfinanzhof (BFH) letztlich die unbedingte Veräußerungsabsicht des Klägers abgeleitet habe (Beantragung und Erhalt der Baugenehmigung, Beantragung der Abgeschlossenheitsbescheinigung, Beginn der Umbauarbeiten), seien der Veranlagungs-Dienststelle nicht bekannt gewesen und auch weder der Veräußerungsmitteilung noch den Einkommensteuerakten zu entnehmen. Soweit diese Tatsachen möglicherweise den Mitarbeitern der Körperschaftsteuerstelle des FA bekannt gewesen seien, sei deren Kenntnis nicht maßgebend.

Mit seiner Beschwerde rügt der Kläger als Verfahrensmangel, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO verletzt. Die Tatsachen, die der BFH in seinem im Jahr 2008 ergangenen Urteil zur Bejahung des gewerblichen Grundstückshandels herangezogen habe, seien bei Erlass des Erstbescheids im Jahr 1998 noch nicht rechtserheblich gewesen. Hierauf habe der Kläger das FG mehrfach hingewiesen. Nach dem damaligen Stand der Rechtsprechung, den das FG hätte ermitteln müssen, sei ein gewerblicher Grundstückshandel grundsätzlich anhand der Drei-Objekt-Grenze beurteilt worden. Das FA hätte damals auch bei Kenntnis aller Umstände, die der BFH im Jahr 2008 als entscheidungserheblich angeführt habe, keinen gewerblichen Grundstückshandel angenommen.

Ferner sei dem FA bereits bei der ursprünglichen Beurteilung des Sachverhalts für das Jahr 1994 (Einbringung der Eigentumswohnung in die GmbH) und erneut bei der Veranlagung für das Streitjahr 1996 ein Ermittlungsfehler unterlaufen, der die Anwendbarkeit des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ausschließe. Dem FA sei von Anfang an bekannt gewesen, dass der Kläger die Eigentumswohnung innerhalb von nur neun Monaten nach ihrem Erwerb mit erheblichem Gewinn in die GmbH eingebracht hatte. Es hätte sich daher die Frage aufgedrängt, ob der Kläger ein Spekulationsgeschäft (§ 23 des Einkommensteuergesetzes in der damals geltenden Fassung) getätigt hatte. Auch hätte das FA ermitteln können, ob eine verdeckte Gewinnausschüttung --für den Fall der Gewährung einer überhöhten Gegenleistung durch die GmbH-- gegeben war. Hätte das FA diese sich aufdrängenden Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt, hätte es "deutliche Hinweise" auf die letztlich vom BFH herangezogenen Umstände erhalten. Es hätte dann "weitere Ermittlungshandlungen" vornehmen und für das Streitjahr 1996 die Einbeziehung des Einfamilienhauses in den gewerblichen Grundstückshandel prüfen müssen.

Das FG hätte den Veranlagungsbeamten vernehmen müssen. Hätte es "die sich aus dem Verfahrensverlauf ergebenden Sachverhaltsaufklärungen" vorgenommen, hätte es entweder die Rechtserheblichkeit der letztlich zugrunde gelegten Tatsachen verneinen oder einen schwerwiegenden Ermittlungsfehler des FA bejahen müssen.

Das FA hält die Beschwerde für unzulässig.

II. Die Beschwerde ist unzulässig.

1. Der Kläger hat einen Verfahrensmangel nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) entsprechenden Weise dargelegt.

a) Der Kläger bringt selbst nicht vor, dass er im finanzgerichtlichen Verfahren einen Beweisantrag gestellt habe, den das FG übergangen habe. Er rügt eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO ) vielmehr nur unter dem Gesichtspunkt, das FG hätte auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den für die Anwendung der Korrekturvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO maßgebenden Sachverhalt weiter aufklären müssen.

In einem solchen Fall setzt die Darlegung einer entsprechenden Verfahrensrüge nach ständiger Rechtsprechung des BFH Ausführungen dazu voraus, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben bzw. welche Tatsachen es hätte aufklären müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (Senatsbeschlüsse vom 18. Mai 2011 X B 124/10, BFH/NV 2011, 1838 , unter II.2.d, und vom 22. August 2012 X B 155/11, BFH/NV 2012, 2015 , unter II.1.a).

War der Kläger --wie hier-- bereits vor dem FG sachkundig vertreten, hat er zusätzlich darzulegen, weshalb er nicht schon vor dem Tatsachengericht die Erhebung weiterer Beweise beantragt hat (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2005 XI R 64/04, BFHE 211, 475 , BStBl II 2006, 371 , unter II.1.).

b) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

aa) Als einziges konkretes Beweismittel, dessen sich das FG hätte bedienen müssen, benennt der Kläger "den Veranlagungsbeamten". Aus seinem Vorbringen wird aber nicht deutlich, welches Ergebnis er von der Vernehmung dieser Person erwartet hätte.

Soweit der Kläger rügt, das FG hätte den Inhalt der im Zeitpunkt des Erlasses des Erstbescheids geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zum gewerblichen Grundstückshandel aufklären müssen, kann der Senat offenlassen, ob es dabei um eine Rechts- oder eine Tatsachenfrage geht. Würde es sich bei dem zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichten Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung um eine Rechtsfrage handeln, könnten hiermit in Zusammenhang stehende Fehler des FG nicht mit der Sachaufklärungsrüge gerügt werden, weil diese sich auf Tatsachen beziehen muss. Läge demgegenüber eine --dem Beweise zugängliche-- Tatsachenfrage vor, hätte der Kläger zur Erhebung einer schlüssigen Sachaufklärungsrüge in der Beschwerdebegründung seinerseits den Stand der damaligen Rechtsprechung darlegen müssen. Dies ist nicht geschehen; die Beschwerdebegründung enthält keinen einzigen Rechtsprechungsnachweis.

Der Verweis des Klägers auf die "sich aus dem Verfahrensablauf ergebenden Sachverhaltsaufklärungen" ist zu unbestimmt, um damit konkrete Sachaufklärungspflichten des FG darlegen zu können.

bb) Ferner legt der Kläger nicht hinreichend dar, weshalb sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung auch ohne einen entsprechenden Antrag des Klägers hätte aufdrängen müssen. Er hat im Beschwerdeverfahren zwar drei Schriftsätze (vom 15. Juli 2003, 6. September 2005 und 9. Juni 2009) vorgelegt. Darin findet sich aber im hier interessierenden Zusammenhang jeweils nur das Stichwort "rechtserheblich", ohne dass der Kläger dies näher erläutert hätte. Erstmals in der Beschwerdebegründung hat der Kläger seine Auffassung zur fehlenden Rechtserheblichkeit der im Jahr 2008 vom BFH herangezogenen Tatsachen sowie zu einer angeblichen Verletzung der Ermittlungspflicht des FA näher begründet.

cc) Im Übrigen enthält die Beschwerdebegründung nichts dazu, weshalb der Kläger nicht schon vor dem FG die von ihm nunmehr vermissten Sachaufklärungsmaßnahmen beantragt hat.

2. Im Kern rügt der Kläger keinen Verfahrensmangel, sondern materiell-rechtliche Fehler des FG bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (Rechtserheblichkeit, Ermittlungsfehler des FA). Solche materiell-rechtlichen Fehler können aber nur zur Zulassung der Revision führen, wenn insoweit Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FGO dargelegt werden und vorliegen. Daran fehlt es hier.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .

4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

Vorinstanz: Finanzgericht Münster, vom 25.04.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 7 K 1521/09
Fundstellen
BFH/NV 2013, 710