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BVerwG - Entscheidung vom 29.02.2012

6 PB 22.11

Normen:
ZPO § 547 Nr. 1
BPersVG § 84 Abs. 2 S. 4
ArbGG § 20 Abs. 1 S. 1
ArbGG § 37 Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 29.02.2012 - Aktenzeichen 6 PB 22.11

DRsp Nr. 2012/7309

Vorschriftsmäßige Besetzung eines Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts für Bundespersonalvertretungssachen bei Erlass eines Beschlusses

Nach § 84 Abs. 2 S. 4 BPersVG i.V.m. § 20 Abs. 1 S. 1, § 37 Abs. 2 ArbGG werden die ehrenamtlichen Richter bei den Fachsenaten der Oberverwaltungsgerichte für Bundespersonalvertretungssachen von der zuständigen obersten Landesbehörde für die Dauer von 5 Jahren berufen. Demgemäß ist ein Fachsenat nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn an der Entscheidung ein ehrenamtlicher Richter mitwirkt, dessen Amtsperiode abgelaufen ist. Wirkt an einer gerichtlichen Entscheidung eine Person mit, die nicht Richter ist, so kann es nicht darauf ankommen, ob das Gericht willkürlich oder nur irrtümlich seine Besetzung für fehlerfrei gehalten hat. Ein Verfahrensirrtum ist hier begrifflich ausgeschlossen.

Tenor

Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. Juli 2011 wird aufgehoben.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Normenkette:

ZPO § 547 Nr. 1 ; BPersVG § 84 Abs. 2 S. 4; ArbGG § 20 Abs. 1 S. 1; ArbGG § 37 Abs. 2 ;

Gründe

Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat Erfolg. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zuzulassen. Der absolute Revisionsgrund nach § 547 Nr. 1 ZPO wird vom Beteiligten geltend gemacht und liegt vor.

1. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts für Bundespersonalvertretungssachen war bei Erlass des angefochtenen Beschlusses vom 21. Juli 2011 nicht vorschriftsmäßig besetzt.

a) Nicht vorschriftsmäßig besetzt im Sinne von § 547 Nr. 1 ZPO ist das beschließende Gericht bei einem Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Garantie des gesetzlichen Richters (vgl. BAG, Urteile vom 16. Mai 2002 - 8 AZR 412/01 - BAGE 101, 145 <150>, vom 20. Juni 2007 - 10 AZR 375/06 - AP Nr. 6 zu § 547 ZPO Rn. 16 und vom 26. September 2007 - 10 AZR 35/07 - AP Nr. 7 zu § 547 ZPO Rn. 11 sowie Beschlüsse vom 23. März 2010 - 9 AZN 1030/09 -AP Nr. 63 zu Art. 101 GG Rn. 10 und vom 9. Juni 2011 - 2 ABR 35/10 - [...] Rn. 16). Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Dies bedeutet, dass in jedem Einzelfall kein anderer als der Richter tätig werden und entscheiden soll, der in den allgemeinen Normen der Gesetze und der Geschäftsverteilungspläne der Gerichte dafür vorgesehen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Mai 1978 - 2 BvR 952/75 - BVerfGE 48, 246 <254>).

b) Die allgemeinen Normen, durch die der gesetzliche Richter im vorliegenden Fall bestimmt wird, sind § 84 Abs. 2 Satz 4 BPersVG i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1, § 37 Abs. 2 ArbGG . Danach werden die ehrenamtlichen Richter bei den Fachsenaten der Oberverwaltungsgerichte für Bundespersonalvertretungssachen von der zuständigen obersten Landesbehörde für die Dauer von 5 Jahren berufen. Demgemäß ist ein Fachsenat nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn an der Entscheidung ein ehrenamtlicher Richter mitwirkt, dessen Amtsperiode abgelaufen ist (vgl. BAG, Urteil vom 16. Mai 2002 a.a.O. S. 150 f.). Der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannte Grundsatz, dass ein Verfahrensirrtum Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzt, greift hier nicht ein. Wirkt an einer gerichtlichen Entscheidung eine Person mit, die nicht Richter ist, so kann es nicht darauf ankommen, ob das Gericht willkürlich oder nur irrtümlich seine Besetzung für fehlerfrei gehalten hat. Ein Verfahrensirrtum ist hier begrifflich ausgeschlossen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Juni 1971 - 2 BvR 114, 127/71 - BVerfGE 31, 181 <184>).

c) Ob bei der Entscheidung des Fachsenats ein ehrenamtlicher Richter mitgewirkt hat, dessen Amtsperiode abgelaufen war, hat das Rechtsbeschwerdegericht zu prüfen. §§ 65 , 93 Abs. 2 ArbGG stehen nicht entgegen. Danach prüft das Rechtsbeschwerdegericht nicht, ob bei der Berufung der ehrenamtlichen Richter Verfahrensmängel unterlaufen sind oder Umstände vorgelegen haben, die die Berufung eines ehrenamtlichen Richters zu seinem Amt ausschließen. Von diesem Prüfungsausschluss betroffen ist in der ersten Variante nur das Verfahren bis zur Berufung des ehrenamtlichen Richters durch die zuständige oberste Landesbehörde. Von der zweiten Variante erfasst sind die Berufungsvoraussetzungen der §§ 21 bis 23 ArbGG . Mit der Rechtsbeschwerde kann daher gerügt werden, dass die Amtsperiode des ehrenamtlichen Richters abgelaufen war (vgl. BAG, Urteil vom 16. Mai 2002 a.a.O. S. 151; Vossen, in: GK- ArbGG , § 65 Rn. 16 und 18; Germelmann, in: Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG , 7. Aufl. 2009, § 65 Rn. 10 und 12; Schwab, in: Schwab/Weth, ArbGG , 3. Aufl. 2011, § 65 Rn. 29 f.; Hauck/Biebl, in: Hauck/Helml/Biebl, ArbGG , 4. Aufl. 2011, § 65 Rn. 8; Koch, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 12. Aufl. 2012, 60 ArbGG , § 65 Rn. 4).

d) Zolloberamtsrat Reinhard M. ist durch das Sächsische Staatsministerium der Justiz - im Einklang mit § 20 Abs. 1 Satz 1, § 37 Abs. 2 ArbGG - mit Wirkung vom 1. Januar 2006 für die Dauer von 5 Jahren zum ehrenamtlichen Richter des Fachsenats für Bundespersonalvertretungssachen beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht berufen worden. Erneut für 5 Jahre berufen worden ist er mit Wirkung vom 10. Oktober 2011. In der Zeit vom 1. Januar bis 9. Oktober 2011 gehörte er demnach dem Fachsenat nicht an. Infolge seiner Mitwirkung am Beschluss vom 21. Juli 2011 war der Fachsenat daher nicht vorschriftsmäßig besetzt. Dass der Fachsenat irrtümlich von seiner ordnungsgemäßen Besetzung ausgegangen und dabei offenbar durch eine unzutreffende fernmündliche Auskunft des Ministeriums vor Sitzungsbeginn bestärkt worden ist, ist unerheblich.

2. Entgegen der Anregung des Beteiligten kann der Senat nicht schon im vorliegenden Verfahrensstadium der Nichtzulassungsbeschwerde den angefochtenen Beschluss aufheben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverweisen. Von dieser Möglichkeit kann nur im Falle der entscheidungserheblichen Verletzung rechtlichen Gehörs Gebrauch gemacht werden (§ 72a Abs. 7 , § 92a Satz 2 ArbGG ). Die analoge Anwendung dieser Bestimmungen in den Fällen der absoluten Revisionsgründe nach § 547 Nr. 1 bis 5 ZPO scheidet aus (vgl. BAG, Beschlüsse vom 13. Dezember 2006 - 10 AZN 742/06 - Rn. 8 und vom 18. Mai 2010 - 3 ABN 7/10 - Rn. 17).

3. Das Beschwerdeverfahren wird nunmehr als Rechtsbeschwerdeverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 6 P 2.12 fortgesetzt. Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist von zwei Monaten (§ 72a Abs. 6, § 74 Abs. 1 , § 92 Abs. 2 Satz 1, § 92a Satz 2 ArbGG ).

Vorinstanz: OVG Sachsen, vom 21.06.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 8 A 753/10