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BVerwG - Entscheidung vom 11.12.2012

5 B 78.12

Normen:
AusglLeistG § 1 Abs. 4

BVerwG, Beschluss vom 11.12.2012 - Aktenzeichen 5 B 78.12

DRsp Nr. 2013/1401

Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit durch die Beschäftigung von Zwangsarbeitern aus der ehemaligen UdSSR

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass das Argument der "bloßen Befolgung" der Ostarbeitererlasse nicht zur Entlastung im Hinblick auf den Vorwurf der Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit dienen kann.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 1. August 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5 000 EUR festgesetzt.

Normenkette:

AusglLeistG § 1 Abs. 4;

Gründe

Die auf die Zulassungsgründe der Grundsatzbedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung angeführten Gesichtspunkte rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.

1.

Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO . Dies wäre nur dann zu bejahen, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erheblich wäre und deren höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. Beschluss vom 2. Juni 2008 - BVerwG 5 B 188.07 - [...] Rn. 2 m.w.N.).

Die von der Beschwerde im Zusammenhang mit der Anwendung von § 1 Abs. 4 AusglLeistG für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfragen

"Ist Unternehmen, welche die 'Allgemeinen Bestimmungen über Anwerbung und Einsatz von Arbeitskräften aus dem Osten' ('Ostarbeitererlasse') angewandt haben, allein wegen der bloßen Befolgung dieser Bestimmungen ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit i.S.d. § 1 Abs. 4 AusglLeistG vorzuwerfen?

Kann aus der in den vorgenannten Bestimmungen angeordneten getrennten Unterbringung von Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern aus der ehemaligen UdSSR (Fremdarbeiter und Kriegsgefangene) die Vermutungsregel abgeleitet werden, dass diese Personengruppen menschenunwürdig ernährt und untergebracht worden sind?"

führen nicht zur Zulassung der Revision. Sie sind größtenteils in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt und im Übrigen nicht entscheidungserheblich.

Das Bundesverwaltungsgericht ist in zwei Urteilen vom 28. Februar 2007 BVerwG 3 C 38.05 - (BVerwGE 128, 155 = Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 9) und BVerwG 3 C 13.06 - (ZOV 2007, 69) ausführlich auf die Frage eingegangen, inwieweit sich aus der Beschäftigung von Zwangsarbeitern eine Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit ergeben kann. Es hat auch mit Blick auf die Ostarbeitererlasse ausgeführt, dass ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass das Verhalten durch die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus geltenden Gesetze oder solche obrigkeitlichen Anordnungen oder Befehle, denen nach nationalsozialistischer Ideologie Gesetzesrang zuerkannt wurde, formal erlaubt oder von der Strafverfolgung ausgenommen war. Speziell eine Mitwirkung an der zwangsweisen Rekrutierung und Verschleppung ausländischer Arbeiter auf der Grundlage der Ostarbeitererlasse verletze regelmäßig die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit. Hingegen könne aus der bloßen Anforderung von Zwangsarbeitern zum Einsatz in Unternehmen und auch aus deren Beschäftigung in einem Rüstungsbetrieb noch kein Verstoß hergeleitet werden. Es gehöre jedoch zu den bei der richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigenden allgemeinkundigen historischen Erkenntnissen, dass die Mehrheit der ausländischen Zwangsarbeiter, insbesondere die sog. Ostarbeiter, bei der Beschäftigung in deutschen Unternehmen vielfach unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten mussten. Es sei im zeithistorischen Schrifttum anerkannt, dass die Unternehmen bei der Behandlung der ausländischen Zwangsarbeiter durchaus Handlungsspielräume gehabt hätten und dass jedenfalls ein Teil der Unternehmen diese Handlungsspielräume auch zugunsten der bei ihnen beschäftigten

Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter genutzt habe (vgl. Urteil vom 28. Februar 2007 a.a.O. Rn. 37, 43 f., 46 f., 57 f., 61).

Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Vielmehr muss es danach als geklärt gelten, dass das von der Klägerin mit ihrer ersten Grundsatzfrage angesprochene Argument der "bloßen Befolgung" der Ostarbeitererlasse nicht zur Entlastung im Hinblick auf den Vorwurf der Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit dienen kann. Auch ist nach dieser Rechtsprechung die Frage, ob die Zwangsarbeiter in einem konkreten Unternehmen menschenunwürdig behandelt worden sind, nicht allein anhand der Erlasslage zu beurteilen. Es bedarf vielmehr der tatrichterlichen Überprüfung, ob das Unternehmen die ihm zur Verfügung stehenden Spielräume zu einer menschenwürdigen Behandlung der ausländischen Zwangsarbeiter genutzt hat. Davon ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen.

Es hat seine tatrichterliche Überzeugung, dass die Ostarbeiter im hier im Streit stehenden Unternehmen keine menschenwürdige Behandlung erfahren haben, auch nicht allein auf den Umstand gestützt, dass die Ostarbeiter von sonstigen Kriegsgefangenen getrennt untergebracht worden sind. Das Verwaltungsgericht hat nicht im Sinne der zweiten Grundsatzfrage eine Vermutungsregel des Inhalts aufgestellt, dass eine separate Unterbringung stets auf eine menschenunwürdige Behandlung schließen lasse. Vielmehr hat es die separate Unterbringung im vorliegenden Fall lediglich als ein Indiz dafür gewertet, dass in dem Unternehmen eine im Sinne des Nationalsozialismus diskriminierende und menschenunwürdige Behandlung der Ostarbeiter erfolgt ist. Seine tatrichterliche Überzeugung hat es auch auf weitere Indizien, insbesondere auf die in den Enteignungsakten enthaltene Erklärung von ca. 40 Betriebsangehörigen vom 25. Mai 1946, gestützt, wonach mehrere ausländische Arbeiter auf Veranlassung des Betriebsleiters festgenommen und in Konzentrationslager überführt worden seien. Ferner hat es ausführlich dargelegt, dass das Verhalten des Betriebsleiters F. auch dem Unternehmen zuzurechnen sei. Daher ist die mit der zweiten Grundsatzfrage aufgeworfene Frage nach einer an die räumliche Trennung anknüpfende Vermutungsregelung nicht entscheidungserheblich.

2.

Die Revision ist auch nicht wegen der behaupteten Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat keinen entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der von einem entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2007 - BVerwG 3 C 38.05 - (a.a.O.) abweicht.

Es trifft zwar zu, dass das Bundesverwaltungsgericht den entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, es gebe im Rahmen des § 1 Abs. 4 AusglLeistG keine gesetzliche Vermutung für eine Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit bei der Beschäftigung von Ostarbeitern (Urteil vom 28. Februar 2007 a.a.O. Rn. 62). Hingegen lässt sich aus dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts kein davon abweichender Rechtssatz im Sinne einer der Klägerin nachteiligen gesetzlichen Beweislastregelung entnehmen. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr nach seinen Urteilsgründen (auf Seite 6 f.) die aus dem Urteil vom 28. Februar 2007 abzuleitende Verpflichtung zu einer differenzierenden Betrachtungsweise anerkannt und lediglich seine tatrichterliche Überzeugung, dass im vorliegenden Unternehmen eine menschenunwürdige Behandlung von Ostarbeitern stattgefunden hat, auch darauf gestützt, dass keine Indizien für eine von den Vorgaben des Erlasses und vom historischen Regelgeschehen abweichende bessere (nicht menschenverachtende) Behandlung der in dem Unternehmen beschäftigten Ostarbeiter vorliegen. Damit hat sich das Verwaltungsgericht nicht in Widerspruch zu dem in Rede stehenden Rechtssatz gesetzt (Beschluss vom 21. Juli 2009 - BVerwG 5 B 42.09 - [...] Rn. 2 bis 5).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: VG Dresden, vom 01.08.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 6 K 1565/10