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BVerwG - Entscheidung vom 25.10.2012

7 C 17.11

Normen:
17. BImSchV § 1 Abs. 1
17. BImSchV § 2 Nr. 6 und 7
RL 2000/76/EG Art. 3 Nr. 4 und 5
17. BImSchV § 2 Nr. 6

Fundstellen:
DÖV 2013, 202
NVwZ 2013, 437
NVwZ 2013, 9
ZUR 2013, 229

BVerwG, Urteil vom 25.10.2012 - Aktenzeichen 7 C 17.11

DRsp Nr. 2012/23288

Rechtmäßigkeit der Qualifizierung einer Anlage zur Reaktivierung schadstoffbeladener Aktivkohle im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren als Verbrennungsanlage i.S.d. 17. BImSchV

Verbrennungsanlagen im Sinne des § 2 Nr. 6 17. BImSchV sind nur solche Anlagen, deren Hauptzweck darin besteht, die Substanz des Einsatzstoffes gemäß § 1 Abs. 1 bzw. dessen brennbare Bestandteile mittels Verbrennung durch Oxidation oder einer Kombination aus anderen thermischen Verfahren und anschließender Verbrennung möglichst vollständig zu zerstören.

Tenor

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. Januar 2011 wird geändert. Der Beklagte wird unter entsprechender teilweiser Aufhebung seines Genehmigungsbescheides vom 28. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2009 verpflichtet, die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ohne Anwendung der 17. BImSchV nach Maßgabe der TA Luft zu erteilen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Normenkette:

17. BImSchV § 2 Nr. 6 ;

Gründe

I

Die Klägerin betreibt eine Anlage zur Reaktivierung schadstoffbeladener Aktivkohle (fortan AKRA). Sie wendet sich dagegen, dass diese Anlage im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren als Verbrennungsanlage im Sinne der 17. BImSchV qualifiziert worden ist und ihr in der Anlagengenehmigung als Konsequenz dieser Einstufung eine Reihe belastender Nebenbestimmungen auferlegt worden sind.

Die AKRA besteht im Wesentlichen aus einem Drehrohrofen und einer thermischen Nachverbrennung. Die beladene Aktivkohle durchläuft im Drehrohrofen verschiedene Phasen. In Phase 1 wird sie bei etwa 100 bis 200 C getrocknet. In Phase 2 wird bei 300 bis 600 C ein Teil der anhaftenden Schadstoffe desorbiert. In Phase 3 (Hochtemperaturzone) laufen bei 700 bis 950 C verschiedene Prozesse ab. Ein Teil der freigesetzten Beladungsstoffe wird mittels Wasserdampf verbrannt, die bis dahin nicht abgelöste "Restbeladung" der Aktivkohle wird pyrolisiert, anschließend wird die Oberfläche der Aktivkohle durch Vergasung neu gebildet. Die bei den Pyrolyse- und Vergasungsreaktionen im Drehrohrofen frei werdenden brennbaren Gase werden im Drehrohrofen und in der thermischen Nachverbrennungsanlage verbrannt.

In der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 28. August 2009 wurde die Anlage der Nr. 8.1 Buchst. a) Spalte 1 i.V.m. Nr. 8.12 Spalte 1 des Anhangs zur 4. BImSchV zugeordnet und als Verbrennungsanlage im Sinne von § 2 Nr. 6 17. BImSchV qualifiziert. Zudem wurde in den Nebenbestimmungen 5.7, 5.9 bis 5.11, 5.12 bis 5.29 und 5.33 bis 5.36 die Einhaltung verschiedener Regelungen der 17. BImSchV verfügt.

Die Klägerin hat u.a. gegen die Nebenbestimmungen, die an die Einstufung der AKRA als Verbrennungsanlage anknüpfen, nach insoweit erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren Klage erhoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen:

Bei der AKRA handele es sich um eine Verbrennungsanlage im Sinne von § 2 Nr. 6 17. BImSchV . Die Anlage sei dazu bestimmt, Abfälle thermisch zu behandeln, denn die Herstellung reaktivierter Aktivkohle sei ohne den Einsatz der beladenen Aktivkohle, die Separierung der Schadstoffe im Drehrohrofen und deren Beseitigung durch Verbrennung nicht möglich. Auf die wirtschaftliche Zweckbestimmung komme es ebenso wenig an wie auf die Unterscheidung zwischen Abfallverwertung und Abfallbeseitigung. Die beladene Aktivkohle werde in der Anlage einer thermischen Behandlung mittels Pyrolyse und Vergasung unterzogen. Die dabei entstehenden Gase würden im Drehrohrofen und in der thermischen Nachverbrennung verbrannt; der Gewichtsverlust an Aktivkohle betrage 3 bis 5 Gew.-% (so die Klägerin) bzw. 5 bis 15 Gew.-% (so der Beklagte).

Der Qualifizierung der AKRA als Verbrennungsanlage stehe nicht entgegen, dass nicht die beladene Aktivkohle als solche, sondern nur Teile der bei der thermischen Behandlung entstehenden Stoffe verbrannt würden. Der Wortlaut des § 2 Nr. 6 Satz 2 17. BImSchV sei zwar nicht eindeutig. Für ein weites Verständnis des Begriffs "soweit" sprächen aber Sinn und Zweck des Art. 1 der EG-Abfallverbrennungs-Richtlinie, Umweltbelastungen infolge der Verbrennung und Mitverbrennung von Abfällen zu vermeiden oder zu begrenzen. Dass die in der Anlage verbrannten Schadstoffe und das bei den Pyrolyse- und Vergasungsprozessen entstehende Prozessgas nur einen vergleichsweise kleinen Teil der bei der thermischen Behandlung entstehenden Stoffe darstellten, sei unerheblich. Der geringen Emissionsrelevanz der Anlage könne etwa durch Ausnahmen nach § 4 Abs. 3 und 7, § 11 Abs. 2 und 6 der 17. BImSchV Rechnung getragen werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht insoweit zugelassene Revision der Klägerin. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor:

Verbrennungsanlagen im Sinne von § 2 Nr. 6 17. BImSchV seien nur solche Anlagen, bei denen durch thermische Verfahren eine möglichst vollständige Zerstörung brennbarer Stoffe erzielt werde. Insoweit stimmten der Anwendungsbereich der 17. BImSchV und der Nr. 8.1 des Anhangs zur 4. BImSchV überein. Die für die Zuordnung zu einem Anlagentyp des Anhangs zur 4. BImSchV maßgebliche objektive wirtschaftliche Zweckbestimmung der Anlage bestehe in der im Drehrohrofen als der eigentlichen Hauptanlage stattfindenden Wiedergewinnung adsorptionsfähiger Aktivkohle und nicht in deren Beseitigung. Abweichendes folge auch nicht daraus, dass die im Drehrohrofen durch Desorption in einen gasförmigen Aggregatzustand überführten Schadstoffe in der thermischen Nachverbrennungsanlage verbrannt würden. Thermische Nachverbrennungsanlagen unterfielen dem Anwendungsbereich der 17. BImSchV nicht.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. Januar 2011 zu ändern und den Beklagten unter entsprechender teilweiser Aufhebung seines Genehmigungsbescheides vom 28. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2009 zu verpflichten, die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ohne Anwendung der 17. BImSchV nach Maßgabe der TA Luft zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt die angegriffene Entscheidung. Die Umweltbelastungen und Gesundheitsgefahren, die mithilfe der 17. BImSchV verhindert bzw. begrenzt werden sollten, gingen nicht nur von einer vollständigen Verbrennung der Abfälle oder der bei der thermischen Behandlung entstehenden Stoffe, sondern auch von einer Verbrennung der mittels thermischer Behandlung abgetrennten Schadstofffraktionen aus, die die Einstufung der beladenen Aktivkohle als gefährlicher Abfall begründeten und unter Umweltgesichtspunkten besonders problematisch seien.

Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und trägt vor:

Eine Anlage, in der - wie hier - nur ein kleiner Teil der aus dem angewandten thermischen Verfahren entstehenden Stoffe verbrannt, ein anderer Teil dagegen als Ergebnis der Behandlung wiederverwertet werde, sei dann nicht als Verbrennungsanlage im Sinne von § 2 Nr. 6 17. BImSchV einzustufen, wenn ihr Hauptzweck auf die Erzeugung von Stoffen aus Abfällen gerichtet sei. Dem Begriff "thermische Behandlung von Abfällen" liege die Vorstellung zugrunde, dass nach dem Verbrennen der Abfälle allenfalls nutzbare Wärme verbleibe, der Abfall mithin in seiner Substanz zerstört sei. Thermische Prozesse, die nicht auf die Zerstörung der materiellen Existenz der behandelten Abfälle gerichtet seien, unterfielen dem Anwendungsbereich der 17. BImSchV daher nicht.

II

Die Revision ist zulässig und begründet.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Seine entscheidungstragende Annahme, bei der AKRA handele es sich um eine Verbrennungsanlage im Sinne von § 2 Nr. 6 17. BImSchV , verstößt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ; 1.). Das Urteil stellt sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO ), denn die AKRA kann auch nicht als Mitverbrennungsanlage im Sinne von § 2 Nr. 7 17. BImSchV qualifiziert werden (2.). Das angefochtene Urteil ist daher - soweit Gegenstand des Revisionsverfahrens - zu ändern und der Klage stattzugeben (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO ; 3.).

1.

Nach der Legaldefinition in § 2 Nr. 6 17. BImSchV sind Verbrennungsanlagen solche Anlagen, die dazu bestimmt sind, thermische Verfahren zur Behandlung von Abfällen oder Stoffen gemäß § 1 Abs. 1 zu verwenden (Satz 1). Diese Verfahren umfassen die Verbrennung durch Oxidation der oben genannten Stoffe und andere vergleichbare thermische Verfahren wie Pyrolyse, Vergasung oder Plasmaverfahren, soweit die bei den vorgenannten thermischen Verfahren aus Abfällen entstehenden festen, flüssigen oder gasförmigen Stoffe verbrannt werden (Satz 2).

Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts erfüllt die AKRA diese Voraussetzungen nicht. Verbrennungsanlagen im Sinne des § 2 Nr. 6 17. BImSchV sind nur solche Anlagen, deren Hauptzweck darin besteht, die Substanz des Einsatzstoffes gemäß § 1 Abs. 1 bzw. dessen brennbare Bestandteile mittels Verbrennung durch Oxidation oder einer Kombination aus thermischen Verfahren und anschließender Verbrennung möglichst vollständig zu zerstören. Das ist bei der streitgegenständlichen Anlage nicht der Fall. Die beladene Aktivkohle wird in der AKRA weder energetisch verwertet noch beseitigt, sondern unter weitgehender Erhaltung ihrer Substanz einem thermischen Verfahren zur Ablösung der Schadstoffbeladung und Rückgewinnung unbelasteter Aktivkohle unterzogen.

a)

Schon der Wortlaut der Legaldefinition des § 2 Nr. 6 17. BImSchV weist deutlich darauf hin, dass es für die Annahme einer Verbrennungsanlage nicht ausreicht, wenn Abfälle oder Stoffe nach § 1 Abs. 1 mittels eines anderen thermischen Verfahrens als der Verbrennung durch Oxidation behandelt werden und es daneben auch zu Verbrennungsvorgängen kommt, sondern dass das den Anlagenbetrieb bestimmende technische Verfahren gerade darauf zielen muss, den Einsatzstoff möglichst vollständig zu zerstören. Zwar hebt Satz 1 der Vorschrift nur darauf ab, dass die betreffende Anlage dazu bestimmt sein muss, thermische Verfahren zur Behandlung von Abfällen oder Stoffen gemäß § 1 Abs. 1 zu verwenden. Diese allgemein gehaltene Zweckbestimmung wird aber durch Satz 2 näher konkretisiert, der zusätzlich voraussetzt, dass, sofern die Einsatzstoffe nicht unmittelbar durch Oxidation verbrannt werden, "andere vergleichbare" thermische Verfahren zum Einsatz kommen und "die" bei diesen Verfahren entstehenden festen, flüssigen oder gasförmigen Stoffe (sodann) verbrannt werden. Dabei bezieht sich der Begriff "vergleichbare" wegen der offenkundigen Unterschiede zwischen einer Verbrennung durch Oxidation und den sonstigen in Satz 2 genannten thermischen Verfahren der Sache nach auf das Ergebnis und nicht das thermische Verfahren als solches. Zu einem mit der Verbrennung durch Oxidation vergleichbaren Ergebnis führen die sonstigen thermischen Verfahren aber nur dann, wenn die dabei entstehenden brennbaren Stoffe anschließend insgesamt verbrannt werden, die Verfahren also ebenfalls auf eine möglichst vollständige Zerstörung des Einsatzstoffes zielen. Die "anderen" thermischen Verfahren unterscheiden sich von der "klassischen" Verbrennung durch Oxidation mithin nur dadurch, dass die Zerstörung des Einsatzstoffes bzw. dessen brennbarer Bestandteile in einem gestuften Verfahren aus thermischer Behandlung und anschließender Verbrennung erfolgt.

Der europäische Richtliniengeber hat die Definitionen für Abfallverbrennungsanlagen und Abfallmitverbrennungsanlagen in Art. 3 Nr. 40 und 41 der noch umzusetzenden Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (ABl EU Nr. L 334 S. 17) inzwischen in diesem Sinne präzisiert und den Begriff "soweit" durch "wenn" ersetzt. Das entspricht im Übrigen auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Einheit, in der Abfälle thermisch behandelt werden, nur dann als "Verbrennungsanlage" eingestuft werden kann, wenn die beim Einsatz dieses thermischen Verfahrens entstehenden Stoffe anschließend verbrannt werden (EuGH, Urteil vom 4. Dezember 2008 - Rs. C-317/07, Lahti Energia Oy - Slg. 2008, I-9077 Rn. 20).

b)

Die Entstehungsgeschichte des § 2 Nr. 6 17. BImSchV und der Regelungszusammenhang mit der Definition der Mitverbrennungsanlage in § 2 Nr. 7 sprechen ebenfalls für dieses Normverständnis. Die Legaldefinitionen in § 2 Nr. 6 und 7 17. BImSchV dienen der Umsetzung von Art. 3 Nr. 4 und 5 der Richtlinie 2000/76/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2000 über die Verbrennung von Abfällen (ABl EG Nr. L 332 S. 91) und sind Grundlage für die Abgrenzung zu Anlagen mit anderen Verbrennungsprozessen außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung, z.B. den Abluftreinigungsanlagen (BRDrucks 5/03 S. 22). Der Entwurf der Verordnung zur Änderung der 17. BImSchV enthielt in § 2 Nr. 6 Satz 2 ursprünglich die Formulierung: "Diese Verfahren umfassen die Verbrennung durch Oxidation ...und andere vergleichbare thermische Verfahren wie Pyrolyse, ...sowie die ausschließliche Verbrennung der bei den vorgenannten Verfahren aus Abfällen entstehenden...Stoffe" (BRDrucks 5/03 S. 2). Diese Formulierung wurde auf Vorschlag des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und des Wirtschaftsausschusses in die geltende Fassung geändert, weil eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Verordnung auf generell alle thermischen Verfahren wegen der geringen Emissionsrelevanz dieser Anlagen als nicht sachgerecht angesehen wurde. Vielmehr sollten nur solche Anlagen erfasst werden, in denen die bei den thermischen Verfahren entstehenden Stoffe verbrannt werden (BRDrucks 5/03 S. 5).

Würde man es für die Qualifizierung einer Anlage als Verbrennungsanlage dagegen ausreichen lassen, dass es im Anschluss an die thermische Behandlung zu untergeordneten Verbrennungsvorgängen kommt, wäre die Regelung zu den Mitverbrennungsanlagen in § 2 Nr. 7 17. BImSchV weitgehend obsolet. Zudem wäre eine - angesichts der teilweise unterschiedlichen Anforderungen der 17. BImSchV an Verbrennungs- und Mitverbrennungsanlagen erforderliche - Abgrenzung der beiden Anlagentypen kaum mehr möglich.

c)

Sinn und Zweck der Regelung gebieten keine abweichende Auslegung. Die 17. BImSchV und die Richtlinie 2000/76/EG zielen zwar darauf ab, Umweltbelastungen und Gesundheitsgefahren durch die Verbrennung und Mitverbrennung von Abfällen zu vermeiden oder - soweit praktikabel - zu begrenzen, und legen zu diesem Zweck strenge Betriebsbedingungen, technische Anforderungen und Emissionsgrenzwerte fest, um das besondere Gefahrenpotential bei der Verbrennung von Abfällen zu bewältigen (vgl. Art. 1 RL 2000/76/EG ). Ein besonderes, mit dem Regelwerk und dem Instrumentarium der TA Luft nicht ausreichend beherrschbares Gefahrenpotential in diesem Sinne hat der Verordnungsgeber aber im Wege typisierender Betrachtung nur bei solchen Anlagen angenommen, in denen Abfälle oder Stoffe gemäß § 1 Abs. 1 17. BImSchV entweder mittels Verbrennung durch Oxidation beseitigt oder energetisch verwertet werden oder einem Verfahren unterzogen werden, das mit einem vergleichbaren Gefahrenpotential für Umwelt und Gesundheit verbunden ist. Die Emissionsrelevanz der thermischen Verfahren Pyrolyse, Vergasung und Plasmaverfahren hat der Verordnungsgeber dagegen - wie sich aus den vorstehend unter b) zitierten Materialien ergibt - als zu gering erachtet, um solche Anlagen ebenfalls dem Anwendungsbereich der 17. BImSchV zu unterwerfen.

Ob der Verordnungsgeber dabei Fallgestaltungen wie die vorliegende in seine Überlegungen mit einbezogen hat, erscheint zweifelhaft; das Gefahrenpotential der AKRA mag im Hinblick darauf, dass durch die Pyrolyse und die Vergasung gerade die (agglomerierten) Schadstoffe abgelöst und verbrannt werden, die die Eigenschaft der beladenen Aktivkohle als (gefährlicher) Abfall begründen, nicht wesentlich geringer sein, als dies bei einer vollständigen Verbrennung der Fall wäre. Der Verordnungsgeber muss aber nicht jedem Einzelfall Rechnung tragen, sondern darf einen typischen Fall als Leitbild wählen und von untypischen Ausnahmefällen absehen (Urteil vom 23. Oktober 2008 - BVerwG 7 C 48.07 - BVerwGE 132, 224 Rn. 41; vgl. auch Beschluss vom 28. August 2007 -BVerwG 2 BN 3.07 - [...] Rn. 10). Der Schutz vor den Gefahren, die von solchen, dem Leitbild des Verordnungsgebers nicht entsprechenden Anlagen für die Umwelt und die Gesundheit ausgehen, wird durch die TA Luft , deren Anforderungsprofil sich hinsichtlich der Emissionsbegrenzung von demjenigen der 17. BImSchV nur teilweise unterscheidet, ausreichend gewährleistet.

d)

Gestützt wird dieses Normverständnis auch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Danach ist die Einstufung einer Anlage als "Verbrennungsanlage" oder als "Mitverbrennungsanlage" im Sinne von Art. 3 Nr. 4 und 5 der Richtlinie 2000/76/EG nach ihrem Hauptzweck vorzunehmen. Der Hauptzweck ist von den zuständigen Behörden aufgrund einer Beurteilung der zum maßgeblichen Zeitpunkt vorliegenden tatsächlichen Umstände festzustellen. Dabei sind insbesondere die Menge der von der betreffenden Anlage erzeugten Energie oder produzierten stofflichen Erzeugnisse im Vergleich zur Menge der in dieser Anlage verbrannten Abfälle sowie die Gesichtspunkte der Stabilität oder der Kontinuität dieser Produktion zu berücksichtigen (EuGH, Urteil vom 11. September 2008 - Rs. C-251/07, Gävle Kraftvärme AB - Slg. 2008 I-7047 Rn. 46). Legt man diese Abgrenzungskriterien zugrunde, handelt es sich bei der AKRA angesichts der im Vergleich zur Menge der reaktivierten Aktivkohle geringen Menge an verbrannter Aktivkohle von 3 bis 5 Gew.-% (so die Klägerin) bzw. 5 bis 15 Gew.-% (so der Beklagte) offensichtlich nicht um eine Anlage, deren Hauptzweck darin besteht, Abfälle und Stoffe nach § 1 Abs. 1 17. BImSchV zu verbrennen.

2.

Die AKRA unterfällt dem Anwendungsbereich der 17. BImSchV auch nicht als Mitverbrennungsanlage im Sinne von § 2 Nr. 7 17. BImSchV . Nach dieser Vorschrift sind Mitverbrennungsanlagen solche Anlagen, deren Hauptzweck in der Energiebereitstellung oder der Produktion stofflicher Erzeugnisse besteht und

- in denen Abfälle und Stoffe gemäß § 1 Abs. 1 als regelmäßiger oder zusätzlicher Brennstoff verwendet werden oder

- in denen Abfälle und Stoffe gemäß § 1 Abs. 1 mit dem Ziel der Beseitigung thermisch behandelt werden.

Diese Voraussetzungen sind ebenfalls nicht erfüllt. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der AKRA um eine Anlage handelt, deren Hauptzweck in der Produktion stofflicher Erzeugnisse aus Abfällen besteht, oder ob diese Alternative -wie der Vertreter des Bundesinteresses in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat - für solche Fälle, in denen der Einsatzstoff lediglich "regeneriert" wird, von vornherein nicht einschlägig ist. Denn in der Anlage werden jedenfalls keine Abfälle und Stoffe gemäß § 1 Abs. 1 17. BImSchV - was allein näher in Betracht kommt - mit dem Ziel der Beseitigung thermisch behandelt. Maßgeblicher Ansatzpunkt für die Betrachtung muss auch hier der Einsatzstoff, vorliegend also die beladene Aktivkohle sein. Das folgt schon daraus, dass Mitverbrennungsanlagen eine besondere Form der Verbrennungsanlage sind (EuGH, Urteil vom 11. September 2008 a.a.O. Rn. 37) und eine Aufspaltung des Verfahrens in die Behandlung der beladenen Aktivkohle einerseits und die Behandlung der abgelösten Schadstoffe andererseits daher ausscheidet. Die beladene Aktivkohle wird in der AKRA aber nicht im Hinblick auf ihre Beseitigung thermisch behandelt.

3.

Unterfällt die AKRA mithin nicht dem Anwendungsbereich der 17. BImSchV , ist der Klage auf Verpflichtung des Beklagten, die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ohne Anwendung der 17. BImSchV nach Maßgabe der TA Luft zu erteilen, stattzugeben. Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Klagebegehren in entsprechender Anwendung der Rechtsprechung zum "steckengebliebenen Genehmigungsverfahren" (vgl. Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 52.87 - Buchholz 406.11 § 9 BBauG/BauGB Nr. 36 S. 32 <36>) zu Recht als zulässig erachtet, weil eine isolierte Aufhebung der auf der Grundlage der 17. BImSchV erteilten Nebenbestimmungen ausscheidet (vgl. Urteil vom 22. November 2000 - BVerwG 11 C 2.00 - BVerwGE 112, 221 <224> = Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 55 S. 15 <17>). Einer weiteren Präzisierung des Klageantrags dahingehend, welche Nebenbestimmungen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach Maßgabe der TA Luft im Einzelnen beizufügen wären, bedurfte es daher nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO . Die Klägerin hat mit ihrer Revision voll obsiegt und ist auch vor dem Oberverwaltungsgericht nur zu einem geringen Teil unterlegen. Ihre Anfechtungsklage gegen die in der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung auferlegte Sicherheitsleistung und die damit verbundene Anordnung, die Sicherheitsleistung vorzugsweise als unbefristete selbstschuldnerische Bankbürgschaft zu erbringen, war in der Vorinstanz erfolglos. Dieser Teil des Streitgegenstandes, den das Oberverwaltungsgericht bei der Festsetzung des Streitwerts auf insgesamt 2 007 820 € mit einem Teilbetrag von 7 820 € bemessen hat, war nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens. Er fällt im Vergleich zu dem Interesse der Klägerin, die AKRA nach Maßgabe der TA Luft betreiben zu dürfen, dessen Wert der Senat wie das Oberverwaltungsgericht mit 2 000 000 € bemisst, nicht ins Gewicht.

Verkündet am 25. Oktober 2012

Vorinstanz: OVG Berlin-Brandenburg, vom 26.01.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 11 A 3.09
Fundstellen
DÖV 2013, 202
NVwZ 2013, 437
NVwZ 2013, 9
ZUR 2013, 229