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BVerwG - Entscheidung vom 27.12.2012

3 B 16.12

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1

BVerwG, Beschluss vom 27.12.2012 - Aktenzeichen 3 B 16.12

DRsp Nr. 2013/2714

Klärungsbedürftigkeit von Rechtsfragen im Zusammenhang mit einem Streit über die Zuteilung und Bewilligung von Mutterkuhprämienansprüchen

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 49 251,62 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über Mutterkuhprämien, die für die Wirtschaftsjahre 1994/95 bis 1998/99 und das Kalenderjahr 1999 ausgezahlt wurden, sowie über im Jahr 2000 neu zugeteilte Mutterkuhprämienansprüche.

Der Klägerin, einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, wurden in genanntem Zeitraum Mutterkuhprämien in Höhe von 43 359,17 € bewilligt. Mit Bescheid vom 9. April 2003 hob die Beklagte die Bewilligungsbescheide auf und forderte den Betrag nebst Zinsen zurück. Zugleich nahm sie ihren Bescheid vom 8. Mai 2000 zurück, mit dem der Klägerin 48,2 Mutterkuhprämienansprüchen neu zugeteilt wurden. Zur Begründung führte sie aus, bei Vor-Ort-Kontrollen sei festgestellt worden, dass der Betrieb der Klägerin mit dem Betrieb des Sohnes ihrer Gesellschafter eine organisatorische und wirtschaftliche Einheit bilde. Die Milchreferenzmenge, über die der Sohn und damit der Gesamtbetrieb verfügt habe, schließe die Gewährung von Mutterkuhprämien aus.

Die hiergegen erhobene Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht führte aus, die Bewilligungsbescheide seien bereits deshalb rechtswidrig, weil der Klägerin keine Mutterkuhprämienansprüche zugeteilt gewesen sein. Der Bescheid über die Zuteilung von Mutterkuhprämien vom 12. August 1993 sei nicht an die Klägerin, sondern an deren Gesellschafter Carsten A. gerichtet gewesen. Entsprechend erweise sich der Neuzuteilungsbescheid vom 8. Mai 2000 als rechtswidrig, denn die Klägerin habe über keine Prämienansprüche verfügt.

II

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) und eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) liegen nicht vor.

1. Das Berufungsgericht hat den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ) nicht verletzt.

Ein Gericht verstößt gegen das Gebot, seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen, wenn es gewichtige, in das Verfahren eingeführte Tatsachen nicht in Betracht zieht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. Allerdings erlaubt nicht schon der Umstand, dass sich ein Gericht in seinem Urteil nicht mit allen Einzelheiten des Sachverhalts auseinandersetzt, den Schluss, dass es den ihm unterbreiteten Prozessstoff nicht umfassend in Erwägung gezogen hat (Urteile vom 15. Juni 1992 - BVerwG 3 C 16.90 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 68 und vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.>). Hieran gemessen ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin kein Verfahrensmangel.

Die Klägerin rügt, das Berufungsgericht habe bei der Prüfung der Frage, wer Adressat des Zuteilungsbescheids vom 12. August 1993 gewesen sei, unberücksichtigt gelassen, dass ihr Gesellschafter im Juni 1993 eine tierärztliche Bescheinigung vorgelegt habe, die sich ausdrücklich auf den Tierbestand der Klägerin beziehe; es seien daher nicht nur Unterlagen vorgelegt worden, die ausschließlich den Gesellschafter als Betriebsinhaber auswiesen. Abgesehen davon, dass das Urteil auf eine Reihe von Unterlagen abstellt, die sich auf den Gesellschafter bezogen, aber nicht etwa unzutreffend davon spricht, dass alle Unterlagen auf diesen bezogen waren (UA S. 13), ist nicht ersichtlich, dass es sich insoweit um eine Tatsache handelt, die sich für die Beantwortung der genannten Frage als so bedeutsam aufdrängen musste, dass sie das Ergebnis in Frage stellen konnte. Hinzu kommt, dass das Berufungsgericht die tierärztliche Bescheinigung durchaus im Blick hatte. In dem gleichzeitig verhandelten und entschiedenen Parallelverfahren 10 LC 188/07, das unter anderem die Aufhebung des Zuteilungsbescheids vom 12. August 1993 betraf, hat es diesen Umstand erwähnt und als unerheblich gewürdigt (UA S. 12).

Weiter rügt die Klägerin, es sei nicht berücksichtigt worden, dass "sowohl der Antrag auf Zuteilung der Mutterkuhprämienansprüche als auch der Antrag auf Bewilligung der Mutterkuhprämie" unter derselben Betriebsnummer gestellt worden seien wie die von ihr selbst 1993 gestellten Anträge auf Flächenprämien und die Mutterkuhprämienanträge von 1994 bis 1998. Diese Rüge beruht auf einer unzutreffenden tatsächlichen Grundlage. Der vom Gesellschafter der Klägerin gestellte Antrag auf Bewilligung einer Mutterkuhprämie vom 26. September 1992 (Beiakte A zu 10 LC 188/07, Bl. 1) enthält keine Betriebsnummer. Die Zuteilung der Mutterkuhprämienansprüche bedurfte keines gesonderten Antrags (Art. 27 VO <EWG> Nr. 3886/1992 der Kommission vom 23. Dezember 1992 <ABl EG Nr. L 391, S. 20>, § 8 Rinder- und Schafprämien-Verordnung vom 5. Februar 1993 <BGBl I S. 200>). Entsprechend lässt sich den Beiakten ein mit einer Betriebsnummer versehener Zuteilungsantrag auch nicht entnehmen. Erst der spätere Mutterkuhprämienantrag vom 20. September 1993 (Beiakte A zu 10 LC 188/07, Bl. 35) und die nachfolgenden Anträge tragen die Betriebsnummer. Ungeachtet dessen hat sich das Gericht in dem gleichzeitig verhandelten und entschiedenen Parallelverfahren 10 LC 188/07 auch mit der Bedeutung der Betriebsnummer auseinander gesetzt (UA S. 12). Danach ist nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht die von der Klägerin gerügten Umstände verfahrensfehlerhaft übergangen hat.

Im Zuge ihrer Ausführungen zu der Frage, ob die angefochtene Entscheidung auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruhen kann, hat die Klägerin ferner vorgetragen, dass nur eine Betriebsnummer existiert habe. Hieraus sei zu schließen, dass auch die Beklagte nur von der Existenz eines Betriebs der Klägerin ausgegangen sei, dem das Handeln des Gesellschafters zuzurechnen sei. Entsprechend sei auch der Zuteilungsbescheid zugeordnet worden. Dieser Vortrag bezieht sich auf die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts, die die Klägerin für fehlerhaft hält. Ein Fehler hierbei ist revisionsrechtlich jedoch grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen. Ausnahmsweise kann ein Verfahrensmangel bei einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung gegeben sein (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 13. Februar 2012 - BVerwG 9 B 77.11 - NJW 2012, 1672 , vom 29. Juni 2011 - BVerwG 6 B 7.11 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 410 und vom 8. April 2008 - BVerwG 9 B 13.08 - Buchholz 451.29 Schornsteinfeger Nr. 44 m.w.N.). Für die Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts durch die Klägerin sprechen zwar gute Gründe, zumal die Beteiligten in der Folgezeit wie selbstverständlich von nur einem Betrieb ausgegangen waren. Deshalb ist die Würdigung des Berufungsgerichts aber noch nicht als willkürlich anzusehen.

2. Auch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ).

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn für die Entscheidung des vorinstanzlichen Gerichts eine konkrete fallübergreifende Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO ) von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint (stRspr; Beschluss vom 3. Juni 2008 - BVerwG 9 BN 3.08 - [...] m.w.N). Die Beschwerdebegründung muss erläutern, dass und inwiefern diese Voraussetzungen gegeben sind (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ; Beschluss vom 2. September 1997 - BVerwG 3 C 32.97 - Buchholz 310 § 132 Abs. 1 VwGO Nr. 2 ).

Die Klägerin hält die Frage für klärungsbedürftig:

Gilt im Recht der Europäischen Union im Rahmen des Rechts der Prämienzahlungen an Landwirte für die jeweils handelnde Behörde der Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens?

Die Frage bezieht sich auf das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit der Bewilligung von Mutterkuhprämien 1994 und in den Folgejahren. Dieses habe berechtigtes Vertrauen darauf begründet, dass ihr mit dem Zuteilungsbescheid vom 12. August 1993 Mutterkuhprämienansprüche zugewiesen worden seien. Falls die Frage zu bejahen sei, könne sich die Klägerin - so, wie es nach nationalem Recht der Fall sei - unionsrechtlich auf Verwirkung berufen.

Hinsichtlich der Rücknahme des Bescheids vom 8. Mai 2000 über die Neuzuteilung von Mutterkuhprämienansprüchen ist der geltend gemachte Klärungsbedarf nicht erkennbar. Denn nach den Ausführungen des Berufungsgerichts (UA S. 15 f.) bestimmt sich der Vertrauensschutz insoweit nach § 48 Abs. 2 VwVfG unter Beachtung unionsrechtlicher Grenzen. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist jedoch geklärt, dass die Grundsätze des Vertrauensschutzes Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und daher Unionsrecht grundsätzlich nationalen Regelungen nicht entgegensteht, die berechtigtes Vertrauen schützen (EuGH, Urteil vom 21. September 1983 - Rs. C-205/82, Deutsche Milchkontor u.a. - Slg. 1983, 2633 <Rn. 30 ff.>). Damit setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander und formuliert daher auch keine konkret klärungsbedürftige Frage.

Auch hinsichtlich des Vertrauensschutzes, der mit Blick auf die zurückgeforderten Beihilfen unionsrechtlich geboten ist, wird eine Rechtsfrage, die für das Berufungsgericht entscheidungserheblich gewesen ist und damit in einem Revisionsverfahren klärungsfähig wäre (vgl. Beschluss vom 22. Mai 2008 - BVerwG 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr 65), nicht aufgeworfen.

Das Berufungsgericht hat die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligungsbescheide am Maßstab der abschließenden Vertrauensschutzregelung des Art. 14 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3887/1992 (ABl Nr. L 391 S. 36) in der Fassung des Art. 1 Nr. 7 VO (EG) Nr. 1678/1998 (ABl Nr. L 212 S. 2) gemessen (UA S. 17 ff.). Der unionsrechtliche Vertrauensschutz im Anwendungsbereich des integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems war durch Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 3 VO (EWG) Nr. 3887/1992 in seiner ursprünglichen Fassung zunächst nur bruchstückhaft geregelt. Durch Art. 1 Nr. 7 der Änderungsverordnung VO (EG) Nr. 1678/1998 wurde die Vorschrift insgesamt neu gefasst und mit dem Ziel vervollständigt, eine einheitliche Handhabung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes bei der Wiedereinziehung von zu Unrecht gezahlten Beihilfen zu gewährleisten. Sie ist am 6. August 1998 in Kraft getreten und ist in ihrer Geltung nicht auf Beihilfeanträge ab 1999 beschränkt (Art. 2 VO <EG> Nr. 1678/1998). Nach dieser Regelung besteht keine Verpflichtung zur Rückzahlung von zu Unrecht gezahlten Beträgen, wenn die Zahlung auf einen Irrtum der zuständigen Behörde zurückzuführen ist, der von dem Betriebsinhaber, der seinerseits in gutem Glauben gehandelt und alle Bestimmungen eingehalten hat, billigerweise nicht erkannt werden konnte (Art. 14 Abs. 4 Unterabs. 1 VO <EWG> Nr. 3887/1992). Hierauf kann sich der Betriebsinhaber bei einem Sachverhaltsirrtum allerdings dann nicht berufen, wenn der Rückforderungsbescheid innerhalb von zwölf Monaten nach der Zahlung übermittelt worden ist (Art. 14 Abs. 4 Unterabs. 2 VO <EWG> Nr. 3887/1992). Darüber hinaus scheidet Vertrauensschutz in den in Art. 14 Abs. 5 VO (EWG) Nr. 3887/1992 genannten Fällen aus. Entsprechend dem Zweck der Regelung hat die Kommission mit diesen Vorschriften den Grundsatz des Vertrauensschutzes abschließend geregelt (Beschluss vom 29. März 2005 - BVerwG 3 B 117.04 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 112), worauf das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich Bezug nimmt. Hingegen stützt sich die Entscheidung nicht - auch nicht auf S. 15 - darauf, dass widersprüchliches Verhalten einer Behörde von vornherein unionsrechtlich keine Berücksichtigung finden könnte.

Dazu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht und zeigt daher auch nicht auf, weshalb die formulierte Frage gleichwohl entscheidungserheblich und damit in einem Revisionsverfahren klärungsfähig - sowie mit Blick auf die bestehende Rechtsprechung auch klärungsbedürftig - sein soll. Sie untermauert die ihrer Rechtsfrage innewohnende Rechtsbehauptung zwar mit Art. 49 Abs. 4 VO (EG) Nr. 2419/2001, der die Vertrauensschutzregelung des Art. 14 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3887/1992 für Bewilligungszeiträume ab Januar 2002 im Kern inhaltsgleich fortschreibt. Auf die danach naheliegende und der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde liegende Annahme, dass darüber hinaus rechtlich geschütztes Vertrauen nicht besteht, geht die Beschwerdebegründung indes nicht ein.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO . Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3 i.V.m. § 39 Abs. 1 , § 52 Abs. 1 und Abs. 3 GKG .

Vorinstanz: OVG Niedersachsen, vom 20.12.2011 - Vorinstanzaktenzeichen OVG 10 LC 190/07