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BVerwG - Entscheidung vom 22.03.2012

4 BN 17.12

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3
BauGB § 10 Abs. 3 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 22.03.2012 - Aktenzeichen 4 BN 17.12

DRsp Nr. 2012/7299

Ausreichen der Begründung einer Verfahrensrüge mit einer angeblich fehlerhaften tatrichterlichen Würdigung

Ein Aufklärungsmängel im Zusammenhang mit der Akteneinsicht durch den Verfahrensbevollmächtigten liegt nicht vor, wenn der Verfahrensbevollmächtigte durch die Akteneinsicht die Möglichkeit erhält, auch die Schriftstücke in einer Beiakte einzusehen.

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. November 2011 in der Fassung des Beschlusses vom 21. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30.000 EUR festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3 ; BauGB § 10 Abs. 3 S. 1;

Gründe

I

Die Antragsteller wenden sich gegen die Ablehnung ihres Restitutionsantrags, mit dem sie die Wiederaufnahme des Verfahrens 1 KN 16/07 begehren, das mit Ablehnung ihres Normenkontrollantrags mit Urteil vom 25. August 2008 endete. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss vom 12. Mai 2009 - BVerwG 4 BN 24.08 - zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Anhörungsrüge blieb erfolglos (Beschluss vom 2. September 2009 - BVerwG 4 BN 23.09 -). Mit ihrer "Wiederaufnahmeklage" machen die Antragsteller geltend, es sei eine Urkunde aufgefunden worden, die eine ihnen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, wenn sie im vorangegangenen Verfahren bekannt gewesen wäre. Das Oberverwaltungsgericht hat den Restitutionsantrag als unzulässig abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Die Antragsteller seien nicht (erst nachträglich) in den Stand versetzt worden, eine andere Urkunde zu benutzen, die eine ihnen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, denn die - insoweit maßgebliche - Ergänzung der Planbegründung habe auch schon im Verfahren 1 KN 16/07 vorgelegen; unabhängig davon seien die Antragsteller seinerzeit auch schon in der Lage gewesen, von dieser Urkunde Gebrauch zu machen. Selbst wenn unterstellt werde, dass die "Anlage RK 1" dem Gericht nicht vorgelegen habe und angenommen werde, dass § 153 VwGO i.V.m. § 582 ZPO einer Restitution nicht entgegenstehe, hätte die - unterstellt "aufgefundene" - Urkunde aus materiellen Gründen keine den Antragstellern günstigere Entscheidung herbeiführen können.

II

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO gestützte Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg.

1.

Die Verfahrensrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO , mit der die Antragsteller als Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz drei Verfahrensmängel geltend machen, bleibt erfolglos.

1.1

Soweit die Antragsteller dem Oberverwaltungsgericht vorwerfen, es habe keine weitergehende Sachverhaltserforschung betrieben, obwohl die öffentliche Bekanntmachung der "Anlage RK 1" offensichtlich unterblieben sei (Beschwerdebegründung S. 4 - 5), zeigen sie nicht auf, dass dieser Gesichtspunkt entscheidungserheblich ist und scheinen im Übrigen auszublenden, dass gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB nur der Beschluss des Bebauungsplans ortsüblich bekannt zu machen ist. Entscheidend für den Restitutionsantrag war allein die Frage, ob die Ergänzung der Planbegründung schon im Verfahren 1 KN 16/07 vorgelegen hat. Nach den für die revisionsgerichtliche Beurteilung bindenden tatsächlichen Feststellungen ist die nicht paginierte "Anlage RK 1" zu den Verwaltungsvorgängen gelangt, die die Vorkaufsrechtsausübung betrafen und die dem Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit den diesbezüglichen Klageverfahren vorgelegen haben. Das hat das Oberverwaltungsgericht auf Seite 6 unter Rn. 18 des angefochtenen Urteils im Einzelnen dargelegt. Auf die Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Es kann danach keine Rede davon sein, dass das Oberverwaltungsgericht ohne Erforschung des Sachverhalts unterstellt hätte, dass sich die "Anlage RK 1" bei den Verwaltungsvorgängen befunden habe. Verfahrensfehler, die die bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts erschüttern könnten, haben die Antragsteller nicht vorgetragen.

1.2

Soweit die Antragsteller des Weiteren einwenden, ihr vorbevollmächtigter Rechtsanwalt habe aufgrund der Akteneinsicht keine Kenntnis von der "Anlage RK 1" haben müssen, und geltend machen, der Rechtsanwalt habe daher vernommen werden müssen (Beschwerdebegründung S. 5 - 6), zeigen sie ebenfalls keinen Aufklärungsmangel auf.

Dass der (frühere) Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller Akteneinsicht und zwar - wie sie selbst ausführen - in den vom Oberverwaltungsgericht genannten Vorkaufsrechtsausübungsvorgang genommen hat, bestreiten die Antragsteller nicht (Beschwerdebegründung S. 5). Sie tragen selbst vor, der Rechtsanwalt habe die Beiakten A - D eingesehen, und machen lediglich - wie auch im Rahmen ihres Tatbestandsberichtigungsantrags, über den das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 21. Februar 2012 entschieden hat - geltend, er habe die Urkunde dem Aktenvorgang nicht entnehmen können, weil sie sich in der Beiakte E befunden haben solle. Nach der für die Beurteilung eines Verfahrensfehlers maßgeblichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts kam es unter dem Blickwinkel des Verschuldens jedoch nicht auf Kenntnis der Urkunde, sondern nur darauf an, dass der Rechtsanwalt aufgrund der Akteneinsicht in der Lage gewesen wäre, die "Anlage RK 1" auch im seinerzeit anhängigen Normenkontrollverfahren zu benutzen. Insofern zeigen die Antragsteller nicht auf, dass es einer Vernehmung des Rechtsanwalts bedurft hätte. Entgegen der Behauptung der Antragsteller (Beschwerdebegründung S. 5) ist das Oberverwaltungsgericht auch nicht etwa "irrtümlich" davon ausgegangen, dass unstreitig sei, dass die "Anlage RK 1" Gegenstand des Akteneinsichtsgesuchs gewesen sei. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht angenommen, der Rechtsanwalt habe die "Anlage RK 1" zur Kenntnis genommen, sondern auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme abgestellt.

1.3

Die Aufklärungsrüge zur Frage, ob die Urkunde "neu" war (Beschwerdebegründung S. 6 - 7), beschränkt sich auf den Einwand, der Sinngehalt der "Anlage RK 1" sei ein völlig anderer als die Aussage in dem Beschluss der Stadtvertretung vom 12. Juni 2007. Ein Verfahrensfehler wird damit nicht aufgezeigt, sondern lediglich im Gewande der Aufklärungsrüge die tatrichterliche Würdigung als verfehlt angegriffen (Beschwerdebegründung S. 8 - 9).

2.

Die Divergenzrüge, mit der die Antragsteller eine Abweichung von dem im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ergangenen Beschluss des Senats vom 12. Mai 2009 - BVerwG 4 BN 24.08 - geltend machen (Beschwerdebegründung S. 9 - 12), bleibt ebenfalls erfolglos.

Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328 ). Unabhängig davon zeigen die Antragsteller keinen Rechtssatzwiderspruch auf, sondern behaupten lediglich, dass durch die in der "Anlage RK 1" enthaltene Ergänzung der Bebauungsplanbegründung der Inhalt der Satzung geändert worden sei und daher die Gemeinde in eine neue Abwägungsentscheidung habe eintreten müssen. Mit der Behauptung einer fehlerhaften Rechtsanwendung lässt sich eine Abweichung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Schleswig-Holstein, vom 21.02.2012 - Vorinstanzaktenzeichen OVG 1 KN 9/11