Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 27.09.2012

2 B 107.11

Normen:
VwGO § 124a Abs. 6 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 27.09.2012 - Aktenzeichen 2 B 107.11

DRsp Nr. 2012/20822

Anforderungen an die Begründung einer Divergenzrüge im Zusammenhang mit einem Streit über die Nichtzulassung der Revision in der Verwaltungsgerichtsbarkeit

Die Organisationsfreiheit eines Rechtsanwalts führt nicht dazu, dass er über die ihn treffenden Sorgfaltsanforderungen disponieren könnte.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 124a Abs. 6 S. 1;

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers kann keinen Erfolg haben. Die Beschwerdebegründung zeigt das Vorliegen der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nicht in einer den Anforderungen aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise auf.

1. Der Kläger, der als Stadtbauamtsrat im Dienst der Beklagten steht, wendet sich gegen eine dienstliche Beurteilung. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Berufung als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbegründung erst nach Ablauf der Monatsfrist aus § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO eingegangen sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Fristversäumnis verschuldet habe und dies dem Kläger zuzurechnen sei.

2. Die Revision kann nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) zugelassen werden.

Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder das Bundesverfassungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Das bloße Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen dagegen genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (vgl. Beschluss vom 17. Januar 1995 - BVerwG 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55). Diesen Anforderungen entspricht das Vorbringen des Klägers nicht.

a) Soweit die Beschwerde eine Abweichung von dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. Mai 1993 - XII ZR 44/92 - (NJW-RR 1993, 1213 ) rügt, ist damit bereits keine Entscheidung eines in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO benannten Gerichts bezeichnet. Das Urteil ist - ebenso wie die anderen beiläufig erwähnten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs - auch nicht zu § 60 Abs. 1 oder § 124a Abs. 6 VwGO ergangen.

Im Übrigen hat die Beschwerde auch keinen prinzipiellen Auffassungsunterschied zwischen den Gerichten aufgezeigt. Der Kläger entnimmt der Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Rechtssätze, dass dem Rechtsanwalt keine bestimmte Büroorganisation vorgeschrieben ist, dass der Prozessbevollmächtigte nicht verpflichtet ist, ein Empfangsbekenntnis erst dann zu unterzeichnen, wenn die entsprechenden Fristen im Kalender notiert sind und dass eine Wiedereinsetzung gerechtfertigt sein kann, wenn dem Prozessbevollmächtigten ein für die Fristwahrung erforderliches Schriftstück ohne Verschulden abhanden gekommen ist. Hiervon abweichende Rechtssätze hat das Oberverwaltungsgericht nicht aufgestellt. Auch die beschriebene Organisationsfreiheit führt aber nicht dazu, dass der Rechtsanwalt über die ihn treffenden Sorgfaltsanforderungen disponieren könnte (Beschluss vom 21. Februar 2008 - BVerwG 2 B 6.08 - [...]). Vielmehr hat er geeignete Vorkehrungen dafür zu treffen, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hergestellt werden und vor Fristablauf beim zuständigen Gericht eingehen (vgl. hierzu auch den mit der Beschwerde selbst bezeichneten Beschluss des BGH vom 25. März 1992 - XII ZR 268/91 - FamRZ 1992, 1058 ). Soweit die Beschwerde auf Passagen zum Abhandenkommen eines Schreibens ohne rechtsanwaltliches Verschulden verwiesen hat, ist das Oberverwaltungsgericht hiervon in den nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht ausgegangen.

b) Die Bezugnahme auf den - divergenzfähigen - Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Dezember 2002 - BVerwG 1 B 429.02 - (Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 24) benennt bereits keinen allgemeinen Rechtssatz. Unabhängig hiervon zitiert die Beschwerde die Entscheidung auch unzutreffend. In dem benannten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts heißt es nicht, dass die in den Handakten vermerkte Notierung im Fristenkalender den organisatorischen Anforderungen "genügt"; vielmehr wird allein ausgeführt, dass diese Maßnahmen zu den erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen "gehört" (Beschluss vom 3. Dezember 2002 a.a.O. S. 27). Demgemäß enthält der Beschluss auch nicht die von der Beschwerde hieraus abgeleitete Aussage, dass bereits hiermit alle den Rechtsanwalt treffenden Sorgfaltsanforderungen erfüllt wären.

c) Die Beschwerde hat auch keine Divergenz zu dem Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2004 - 1 BvR 1892/03 -(BVerfGE 110, 339 ) aufgezeigt.

Dies folgt bereits daraus, dass die Entscheidungen nicht dieselbe Rechtsvorschrift betreffen. Während der Beschluss des Bundesverfassungsgericht die Begründungsfrist für einen Berufungszulassungsantrag nach § 124a Abs. 4 VwGO in der zwischenzeitlich geänderten Fassung vor Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) betraf, ist Gegenstand der angegriffenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts die Frist zur Begründung einer vom Oberverwaltungsgericht bereits zugelassenen Berufung nach § 124a Abs. 6 VwGO . Dieser Unterschied ist auch inhaltlich bedeutsam, weil Anknüpfungspunkt der Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts gerade die in § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO a.F. noch vorgesehene Verpflichtung war, die Begründung beim Verwaltungsgericht einzureichen. Diese Anforderung enthält § 124a Abs. 6 Satz 2 VwGO - ebenso wie der zwischenzeitlich geänderte § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO - gerade nicht. Die Vorschriften sind daher auch materiell auf unterschiedliche Konstellationen gerichtet. Gerade auf diese besondere Lage waren die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts aber gerichtet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2004 a.a.O. S. 345: "Unter diesen besonderen Umständen kann ihnen auch ausnahmsweise aus der Nichtbeachtung des Wortlauts von Gesetz und Rechtsmittelbelehrung kein Vorwurf gemacht werden").

Schließlich steht die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts aber auch inhaltlich in Einklang mit den vom Bundesverfassungsgericht in der vom Kläger zitierten Entscheidung aufgestellten Rechtsgrundsätzen, wonach bei einer Fristversäumnis, die auf Fehlern des Gerichts beruht, die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung mit besonderer Fairness zu handhaben sind (BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2004 a.a.O. S. 342). Denn eine Konstellation, in der die Fristversäumnis "aus der Sphäre des Gerichts stammt", liegt der Entscheidung nicht zugrunde. Nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts beruht die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist vielmehr auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers.

Diese Einschätzung ist vom Oberverwaltungsgericht auch plausibel begründet. Die Tatsache, dass ein Gericht bei der Zustellung des Zulassungsbeschlusses (und der Übersendung anderer Schriftsätze) zwar das korrekte Gerichtsaktenzeichen, aber ein unzutreffendes anwaltliches Aktenzeichen angibt, stellt jedenfalls dann keinen ausreichend "besonderen Umstand" im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht in der von der Beschwerde zitierten Rechtsprechung dar, der zum Wegfall des Verschuldens nach § 60 Abs. 1 VwGO führt, wenn dieses anwaltliche Aktenzeichen zuvor vom Prozessbevollmächtigten selbst in dem Verfahren verwendet worden ist.

3. Die Beschwerde legt auch keine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dar. Weder ist eine konkrete Fragestellung bezeichnet noch sind Ausführungen zu diesem Revisionszulassungsgrund erfolgt.

Unabhängig hiervon stellt es keinen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dar, dass das Oberverwaltungsgericht die Wiedereinsetzung abgelehnt hat. Es hat zutreffend abgestellt, dass ein Rechtsanwalt Vorkehrungen zur zuverlässigen Fristenüberwachung treffen muss, mit denen u.a. auch sicherzustellen ist, dass ihm die Handakten rechtzeitig vorgelegt werden (vgl. Beschluss vom 21. Februar 2008 - BVerwG 2 B 6.08 - [...] m.w.N.). Die Beschwerde zielt insoweit nicht auf eine verallgemeinerungsfähig zu beantwortende rechtsgrundsätzliche Frage, sondern betrifft die Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Organisationsverschulden eines Rechtsanwalts auf einen Einzelfall (vgl. Beschluss vom 3. Dezember 2002 a.a.O.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 1 und 2 GKG .

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 24.06.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 1 A 1756/09