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BGH - Entscheidung vom 29.03.2012

V ZB 176/11

Normen:
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1

BGH, Beschluss vom 29.03.2012 - Aktenzeichen V ZB 176/11

DRsp Nr. 2012/9473

Umfang der Pflicht zur Erörterung des Umfangs des Angriffs einer Berufung in der Berufungsbegründungsschrift

Eine Berufungsbegründung, die keine Anträge enthält, ist dennoch hinreichend begründet, wenn sich aus ihr erkennen lässt, dass das amtsgerichtliche Urteil in vollem Umfang angegriffen wird.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 5. Mai 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung der Beklagten an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 15.617,25 €.

Normenkette:

ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I.

Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. In der Eigentümerversammlung beschlossen die Wohnungseigentümer die Genehmigung der Gesamt- und Einzelabrechnungen für das Wirtschaftsjahr 2009 (TOP 1), die Entlastung von Beirat, Rechnungsprüfer und Verwaltung (TOP 2) sowie die Gesamt- und Einzelwirtschaftspläne für 2011 (TOP 3). Das Amtsgericht hat die Beschlüsse auf Antrag der Klägerin für unwirksam erklärt. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Dagegen wenden sie sich mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Das Berufungsgericht meint, es liege keine den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO genügende Berufungsbegründungsschrift vor. Im Hinblick auf die Erklärung der Beklagten, das Urteil werde zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt, soweit sie hierdurch noch belastet seien, könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass das Urteil des Amtsgerichts insgesamt angegriffen werden solle. Klarheit habe auch nicht durch die Berufungsgründe gewonnen werden können.

III.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Sie ist statthaft und zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ). Das Berufungsgericht hat den Zugang der Beklagten zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert, indem es die Berufung als nicht hinreichend begründet angesehen hat. Dies verletzt ihren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275 , 284) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. nur Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367 , 368 mwN).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO muss die Berufungsbegründung die Erklärung enthalten, inwieweit das erstinstanzliche Urteil angefochten wird und welche Abänderungen beantragt werden. Für diese Erklärung bedarf es keiner ausdrücklichen Stellung eines Sachantrags; es reicht aus, wenn die Begründung den Schluss auf die Weiterverfolgung des erstinstanzlichen Begehrens zulässt (vgl. nur BGH, Urteil vom 22. März 2006 - VIII ZR 212/04, NJW 2006, 2705 Rn. 8 mwN). Bei der Beurteilung ist im Grundsatz davon auszugehen, dass ein Rechtsmittel im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung gerichtet ist, diese also insoweit angreift, als der Rechtsmittelführer durch sie beschwert ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 9. September 2008 - VI ZB 53/07, NJW-RR 2009, 208 f. mwN).

b) Danach hält die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Umfang der Anfechtung nicht erkennbar sei, der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Zwar enthält die Berufungsbegründung keine Anträge. Aus ihr lässt sich aber erkennen, dass die Beklagten das amtsgerichtliche Urteil in vollem Umfang angreifen. Sie setzen sich mit allen Punkten auseinander, die nach der Entscheidung des Amtsgerichts die Ungültigerklärung der Beschlüsse tragen, und verbinden dies mit der Feststellung, dass der Klage zu Unrecht stattgegeben worden sei. Der Annahme einer unbeschränkten Berufung steht nicht entgegen, dass die Beklagten in der Berufungsbegründung erklärt haben, sie stellten das Urteil insoweit zur Überprüfung, als sie hierdurch noch belastet sind. Diese Formulierung ist ersichtlich allein dem Umstand geschuldet, dass sich die Klägerin mit einigen gegen die Wirksamkeit der Beschlüsse vorgebrachten Argumenten bei dem Amtsgericht nicht hat durchsetzen können; dies ändert aber nichts daran, dass sich die Beklagten mit der Berufung erkennbar in vollem Umfang gegen die Ungültigerklärung der Beschlüsse durch das Amtsgericht wenden.

Vorinstanz: AG Ludwigshafen, vom 20.01.2011 - Vorinstanzaktenzeichen C 37/10
Vorinstanz: LG Landau in der Pfalz in der Pfalz, vom 05.05.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 1 S 24/11