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BGH - Entscheidung vom 27.09.2012

IV ZR 182/10

Normen:
GG Art. 3 Abs. 1
VBLS § 35 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1

Fundstellen:
FamRZ 2013, 32

BGH, Beschluss vom 27.09.2012 - Aktenzeichen IV ZR 182/10

DRsp Nr. 2012/20383

Rechtmäßigkeit der Festschreibung der Rechengrößen für die Berechnung von Versorgungsanwartschaften in der Zusatzversorgung des Budes und der Länder auf den 31.12.2001.; Rechtsstellung Angehöriger der rentennahen Jahrgänge

1. Es verstößt es nicht gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit, dass § 78 Abs. 2 Satz 1 VBLS n.F. die am 31. Dezember 2001 maßgeblichen Rechengrößen, insbesondere die an diesem Stichtag geltende Steuerklasse, festschreibt (BGH 14. November 2007 IV ZR 74/06, BGHZ 174, 127 Rn. 78 m.w.N.). 2. Die Übergangsregelung für die rentennahen Versicherten ist auch mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden und ein etwaiger mit der Regelung verbundener Eingriff in die erdiente Dynamik im Ergebnis als gerechtfertigt anzuseheni. Im Übrigen werden die rentennahen Versicherten im Hinblick auf den zu berücksichtigenden erhöhten Vertrauensschutz im Vergleich zu den rentenfernen Versicherten dadurch begünstigt, dass ihnen mit der Startgutschrift im Grundsatz eine nach dem früheren Zusatzversorgungsrecht auf das vollendete 63. Lebensjahr hochgerechnete Versorgungsrentenanwartschaft erhalten bleibt (BGH 24. September 2008 IV ZR 134/07, BGHZ 178, 101 Rn. 50).

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 27. Juli 2010 gemäß § 552a ZPO auf Kosten der Klägerin zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen

eines Monats 

Stellung zu nehmen.

Normenkette:

GG Art. 3 Abs. 1 ; VBLS § 35 Abs. 1; ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ;

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt von der beklagten Versorgungsanstalt die Neuberechnung der ihr nach der Umstellung von dem Gesamtversorgungs- auf das Betriebsrentensystem erteilten S tartgutschrift unter Ansatz der Steuerklasse III/0.

Die am 1. Mai 1943 geborene Klägerin war als Beschäftigte im öffentlichen Dienst bei der Beklagten pflichtversichert und gehört zu den so genannten rentennahen Jahrgängen. Die erste Ehe der Klägerin wurde im Jahre 1983 geschieden; sie heiratete am 7. Juni 2002 wieder.

In der Rentenmitteilung vom 16. August 2003 errechnete die Beklagte die Rentenanwartschaft der Klägerin zum Umstellung sstichtag des 31. Dezember 2001 mit 375,48 € und erteilte ihr eine Startgutschrift von 93,87 Versorgungspunkten. Dabei legte die Beklagte die Steuerklasse I/0 zugrunde, die dem Familienstand der Klägerin am Stichtag entsprach.

Die in einem Vorprozess von der Klägerin erhobene Klage auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, den Bescheid vom 16. August 2003 zu ändern und unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 eine Neuberechnung der Startgutschrift vorzunehmen, wurde mit Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 3. August 2004 (2 C 44/04) abgewiesen.

Die Klägerin bezieht von der Deutschen Rentenversicherung seit dem 1. Februar 2004 eine gesetzliche Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von zunächst 1.202,14 € brutto/1.102,36 € netto, ab 1. Juni 2004 in Höhe von 1.099,36 € netto und von der Beklagten eine Betriebsrente in Höhe von anfänglich 402,88 € brutto/336 € netto, ab dem 1. Juli 2004 in Höhe von 339,36 € netto.

Die Klägerin hält es für unzulässig, die erdienten Versorgungsanwartschaften einer Ledigen per 31. Dezember 2001 unwiderruflich auf der Grundlage der Steuerklasse I/0 zu berechnen, auch wenn sie zuvor viele Jahre verheiratet gewesen oder jedenfalls bei seinem Ausscheiden verheiratet sei.

Die auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, den Bescheid vom 25. März 2004 zu ändern und die Versorgungsrente unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 neu zu berechnen, gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Stichtagsregelung, nach der unter anderem die steuerlichen Verhältnisse zum Umstellungsstichtag am 31. Dezember 2001 festgeschrieben werden, für die Versicherten rentennaher Jahrgänge nicht zu beanstanden. Eine Eheschli e-ßung des Versicherten nach dem Stichtag verschaffe ihm daher keinen Anspruch auf eine höhere Betriebsrente.

Ein die Korrektur dieses Ergebnisses rechtfertigender Härtefall liege nicht vor. Ungeachtet der grundsätzlichen Wirksamkeit der Übergangsregelungen für rentennahe Versicherte könne eine Berufung der Beklagten auf die Übergangsregelungen im Einzelfall treuwidrig sein. Dies sei dann anzunehmen, wenn die nach neuem Satzungsrecht ermittelte Rente erheblich hinter derjenigen zurückbleibe, mit der bei einem Systemverbleib in etwa hätte gerechnet werden können und besondere Umstände hinzukämen, die diese Einbuße als besondere Härte erscheinen ließen. Eine erhebliche Einbuße sei zu bejahen, wenn die Betriebsrente um mindestens 30% hinter demjenigen Betrag zurückbleibe, der sich unter Anwendung des früheren Satzungsrechts ergeben hätte. H inzukommen müssten besondere Umstände etwa aus Besonderheiten in der Erwerbs- oder Familienbiografie , die die Einbuße als unzumutbar erscheinen ließen. Einen besonderen Umstand könne es darstellen, wenn die Betriebsrente nach den am 31. Dezember 2001 geltenden steuerlichen Verhältnissen berechnet worden sei, obwohl diese nicht denjenigen Verhältnissen entsprächen, die die Biografie des Versicherten geprägt hätten. Derartige eine Korrektur rechtfertigende besondere Umstände seien bei einer über 30% hinau sgehenden Renteneinbuße anzunehmen, wenn der Versicherte lediglich in einem nicht über drei Jahre hinausgehenden Zeitraum unter Einschluss des Stichtages unverheiratet gewesen sei. Nach diesem Maßstab liege ein Härtefall hier nicht vor. Die seit 1983 geschiedene und erst ab Juli 2002 wieder verheiratete Klägerin sei nicht lediglich in einem über drei Jahre hinausgehenden Zeitraum unverheiratet gewesen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

II.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor; der Rechtssache kommt insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu. Das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

1.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 , 291). Dafür genügt es nicht, dass eine Entscheidung von der Auslegung einer Klausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen - wie den Satzungsbestimmungen der Beklagten - abhängt. Erforderlich ist vielmehr, dass deren Auslegung und/oder Wirksamkeit über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist (Senatsbeschlus s vom 20. April 2010 IV ZR 249/08, ZfS 2011, 31 unter II 1).

2.

Dass die am Umstellungsstichtag maßgebliche Steuerklasse bei Ermittlung der Startgutschrift im Rahmen der Systemumstellung zugrunde gelegt werden darf, hat der Senat bereits geklärt.

a)

Schon nach der Grundsatzentscheidung zu den Übergangsvorschriften für die so genannten rentenfernen Versicherten verstößt es nicht gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit, dass § 78 Abs. 2 Satz 1 VBLS n.F. die am 31. Dezember 2001 maßgeblichen Rechengrößen, insbesondere die an diesem Stichtag geltende Steuerklasse, festschreibt (Senatsurteil vom 14. November 2007 IV ZR 74/06, BGHZ 174, 127 Rn. 78 m.w.N.). In dem weiteren Grundsatzurteil zu den Übergangsvorschriften für die rentennahen Versicherten hat der Senat entschieden, dass nach den genannten Kriterien auch die Übergangsregelung für die rentennahen Versicherten auch mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden und ein etwaiger mit der Regelung verbundener Eingriff in die erdiente Dynamik im Ergebnis als gerechtfertigt anzusehen sei. Im Übrigen werden die rentennahen Versicherten im Hinblick auf den zu berücksichtigenden erhöhten Vertrauensschutz im Vergleich zu den ren tenfernen Versicherten dadurch begünstigt, dass ihnen mit der Startgutschrift im Grundsatz eine nach dem früheren Zusatzversorgungsrecht auf das vollendete 63. Lebensjahr hochgerechnete Versorgungsrentenanwartschaft erhalten bleibt (Senatsurteil vom 24. September 2008 IV ZR 134/07, BGHZ 178, 101 Rn. 50). Dieselben Erwägungen gelten, soweit nach den §§ 32 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1, 33 Abs. 2 Satz 1 ATV, 78 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1, 79 Abs. 2 Satz 1 VBLS die dort genannten weiteren Rechengrößen, insbesondere auch die Steuerklasse des Versicherten, festgeschrieben werden. Zudem kann sich die Festschreibung der Steuerklasse für die Versicherten je nach Lage des Einzelfalles sowohl vorteilhaft als auch nachteilig auswirken. Insoweit hat der Senat einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verneint (Senatsurteil vom 24. September 2008 aaO Rn. 51). Die Wirksamkeit der Übergangsregelungen für rentennahe Versicherte hat der Senat nochmals mit Urteil vom 16. Dezember 2009 ( IV ZR 17/06, NVw Z-RR 2010, 325) bestätigt. Schließlich hat der Senat in seinem Urteil vom 2. Dezember 2009 ( IV ZR 279/07, NVwZ-RR 2010, 487 Rn. 20) ausgeführt, ein vor dem Umstellungsstichtag gefasstes Vertrauen der Versicherten darauf, dass sich ihre Betriebsrente einst nach dem seinerzeit noch unbekannten, außerordentlich erhöhten gesamtversorgungsf ä-higen Entgelt der letzten drei Jahre vor Rentenbeginn errechnen werde, genieße nicht den besonderen Schutz eines erdienten Besitzstandes. Dieser Schutz sichert den Versicherten lediglich den nach der alten Satzung ermittelten Anwartschaftsbetrag, der ihnen selbst dann nicht hätte entzogen werden können, wenn sie zum Umstellungsstichtag, dem 31. Dezember 2001, aus ihrem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden wären. Geschütztes Vertrauen kann nur hinsichtlich der Berechnungsgrößen entstanden sein, die bis zur Systemumstellung sicher feststanden. Das gilt auch für Veränderungen, die infolge einer anderen Steuerklasse oder bei Gehaltsänderungen nach dem Stichtag eintreten.

b)

Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht es zu Recht abgelehnt, den durch die Eheschließung der Klägerin nach dem Umstellungsstichtag bedingten Wechsel in die günstigere Steuerklasse III/0 bei Berechnung der Startgutschrift zu berücksichtigen. Ohne Erfolg rügt die Klägerin eine nach ihrer Ansicht unzulässige Gleichbehandlung von langjährig verheirateten Versicherten, die jahrzehntelang höhere Umlagen als Ledige gezahlt hätten, mit Versicherten, die durch eine Eheschließung kurz vor dem Stichtag von der günstigeren Steuerklasse profitieren. Am Umstellungsstichtag war die Klägerin nicht verheiratet. Soweit für sie erst nach der Eheschließung höhere Umlagen gezahlt wurden, erwarb sie zusätzliche Versorgungspunkte. Auch der Vorwurf, die Beklagte reagiere nicht auf den durch die Eheschließung erhöhten Versorgungsbedarf, greift nicht durch. Dabei verkennt die Klägerin, dass sich die von der Beklagten zu leistende Rente seit der Systemänderung nicht mehr am Bedarf des Versicherten orientiert, sondern nur noch an dem zusatzversorgungspflichtigen Entgelt und den dadurch erworbenen Versorgungspunkten.

3.

Einen Härtefall hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint, ohne allerdings grundsätzlichen Klärungsbedarf aufzuzeigen.

Der Senat hat bereits entschieden, dass auch dann, wenn eine Übergangsregelung einer abstrakten Billigkeitskontrolle standhält, eine Korrektur aufgrund einer besonderen Härte geboten sein kann. Eine solche Härte kann aber nicht nur deshalb bejaht werden, weil ein Versicherter infolge der Übergangsregelung eine deutlich geringere Betriebsrente erhält als unter Anwendung des alten Satzungsrechts (Senatsbeschluss vom 10. März 2010 IV ZR 333/07, NVwZ-RR 2010, 572 Rn. 16). Hinzukommen müssen -wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat -besondere Umstände, die die Einbuße als besondere Härte erscheinen lassen. Solche Umstände - etwa aus Besonderheiten in der Erwerbsbiografie des Versicherten - festzustellen, obliegt dem Tatrichter im jeweiligen Einzelfall. Dies gilt auch bei durch eine Familienstandsänderung bedingten erheblichen Renteneinbußen. Allgemeingültige Maßstäbe lassen sich insoweit - wie auch sonst für die Ausfüllung des Grundsatzes von Treu und Glauben - nur begrenzt aufstellen.

Mit Blick darauf erscheint es fraglich, ob stets - wie das Berufungsgericht meint - besondere, eine Korrektur rechtfertigende Umstände bei einer über 30% hinausgehenden Renteneinbuße anzunehmen sind, wenn der Versicherte lediglich in einem nicht über drei Jahre hinausgehenden Zeitraum unter Einschluss des Stichtages unverheiratet war. Diese Frage bedarf aber hier deshalb keiner Klärung, weil sie nicht entscheidungserheblich ist. Denn die Klägerin erfüllt die vom Berufungsgericht genannten Voraussetzungen nicht. Da sie von 1983 bis 2002 unverheiratet war, ist ihre vorherige Erwerbsbiografie nicht wesentlich durch die Ehe geprägt gewesen.

III.

Im Übrigen dürfte die Klage - worauf die Revisionserwiderung zutreffend hinweist - schon deshalb unbegründet sein, weil bereits durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe entschieden ist, dass die Startgutschrift der Klägerin nicht unter Berücksichti gung der Steuerklasse III/0 zu berechnen ist. Zwar sagt die Startgutschrift nichts darüber aus, in welcher Weise sich die Anwartschaft zwischen dem Umstellungsstichtag und dem Renteneintritt weiter entwickelt. Sie ist aber präjudiziell für die Berechnung der Betriebsrente, die auf den von dem Versicherten erworbenen Versorgungspunkten beruht (§ 35 Abs. 1 VBLS), in die auch die aus der Startgutschrift resultierenden Versorgungspunkte einfließen (§ 78 Abs. 1 Satz 2 VBLS). Die Berechnung der Startgutschrift und der Streitpunkt, ob ihr die Steuerklasse III/0 zugrunde zu legen ist, können im vorliegenden Rechtsstreit nicht anders beurteilt werden als im Vorprozess. Da die rechtskräftige Entscheidung des Amtsgerichts nur eine Vorfrage dieses Verfahrens betrifft, i st die Klage nicht unzulässig, aber unbegründet (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05, NJW 2008, 1227 Rn. 22 f. m.w.N.).

Vorinstanz: LG Karlsruhe, vom 29.09.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 6 O 184/04
Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 27.07.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 12 U 202/09
Fundstellen
FamRZ 2013, 32