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BGH - Entscheidung vom 19.04.2012

IX ZB 225/10

BGH, Beschluss vom 19.04.2012 - Aktenzeichen IX ZB 225/10

DRsp Nr. 2012/9307

Pflicht eines Massegläubigers zur Mitteilung des aktuellen Wohnsitzes an das Insolvenzgericht

1. Eine Rechtsbeschwerde ist unzulässig, wenn sie keinen Zulässigkeitsgrund aufzeigt, der eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern würde. Dabei prüft das Rechtsbeschwerdegericht nur die Zulässigkeitsgründe, welche die Rechtsmittelbegründung schlüssig und substantiiert dargelegt hat 2. Die Fortbildung des Rechts oder die Einheitlichkeitssicherung erfordern nicht die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts unter dem Gesichtspunkt, dass das Beschwerdegericht angenommen habe, die Voraussetzungen der Einstellung nach § 207 InsO nicht selbst prüfen zu müssen, wenn das Beschwerdegericht den Umfang seiner Prüfungs- und Ermittlungspflicht nicht verkannt und die Voraussetzungen des § 207 InsO eigenständig geprüft und seiner Entscheidungsfindung die Feststellungen im Schlussbericht des Verwalters zugrunde gelegt hat. 3. Eine Gehörsverletzung durch das Insolvenzgerichts muss schon im Verfahren der sofortigen Beschwerde gerügt werden. Ist dies unteblieben, kann die Rechtsbeschwerde hierauf nicht mehr gestützt werden. 4. Ein Beschwerdegericht geht nicht von einem unzutreffenden Kostenbegriff aus, wenn es verkannt hat, dass die Tilgungsreihenfolge des § 209 InsO auch dann einzuhalten ist, wenn der Insolvenzverwalter noch nicht die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat.

Tenor

Dem Schuldner wird Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 10. Juni 2010 gewährt.

Die Rechtsbeschwerde gegen den genannten Beschluss wird auf Kosten des Schuldners als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 6 , 7 , 216 Abs. 1 InsO , Art. 103f EGInsO , § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ). Dem Schuldner wird Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt (§ 4 InsO , § 233 ZPO ), nachdem ihm für das Verfahren der Rechtsbeschwerde vom Senat Prozesskostenhilfe bewilligt worden war und er jeweils rechtzeitig Wiedereinsetzung beantragt und die versäumten Prozesshandlungen nachgeholt hat.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unzulässig. Sie zeigt keinen Zulässigkeitsgrund auf, der gemäß § 574 Abs. 2 ZPO eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern würde. Dabei prüft der Bundesgerichtshof nur die Zulässigkeitsgründe, welche die Rechtsmittelbegründung nach § 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO schlüssig und substantiiert dargelegt hat (BGH, Beschluss vom 29. September 2005 - IX ZB 430/02, ZInsO 2005, 1162 ; vom 9. März 2006 - IX ZB 209/04, ZVI 2006, 351 Rn. 4; vom 18. Dezember 2008 - IX ZB 46/08, ZInsO 2009, 495 Rn. 4).

1.

Die Fortbildung des Rechts oder die Einheitlichkeitssicherung erfordern nicht die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts unter dem Gesichtspunkt, dass das Beschwerdegericht angenommen habe, die Voraussetzungen der Einstellung nach § 207 InsO nicht selbst prüfen zu müssen.

Das Beschwerdegericht hat den Umfang seiner Prüfungs- und Ermittlungspflicht nicht verkannt. Es hat die Voraussetzungen des § 207 InsO eigenständig geprüft und seiner Entscheidungsfindung die Feststellungen im Schlussbericht des Verwalters zugrunde legen dürfen. Der Schuldner hatte zwar zunächst beanstandet, dass der Verwalter keine Belege überreicht habe. Dem Schuldnervertreter wurde anschließend jedoch Gelegenheit zur Einsicht in fünf Belegordner gegeben, die der Verwalter zu diesem Zweck vorgelegt hat. Er hat dieses Einsichtsrecht wahrgenommen. Innerhalb der anschließend gewährten weiteren Äußerungsfrist hat der Schuldner nicht mehr Stellung genommen. Für weitere Nachforschungen bestand danach weder für das Insolvenzgericht noch für das Beschwerdegericht Veranlassung, da konkrete Mängel oder Unrichtigkeiten nicht behauptet wurden.

2.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Schuldners entgegen § 207 Abs. 2 InsO liegt nicht vor. Zum einen betrifft die gerügte Gehörsverletzung das Verfahren des Insolvenzgerichts, ohne dass die Rüge, wie es erforderlich gewesen wäre, schon im Verfahren der sofortigen Beschwerde erhoben worden wäre. Die Rechtsbeschwerde kann deshalb hierauf nicht mehr gestützt werden (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2010 - IX ZB 225/05, ZInsO 2010, 1156 Rn. 8).

Zudem hat der Schuldner umfassend Gelegenheit gehabt, zu der angeregten Einstellung des Verfahrens nach § 207 InsO Stellung zu nehmen. Er hat hiervon Gebrauch gemacht. Soweit er geltend macht, ein anderer Massegläubiger sei nicht gehört worden, kann dies nicht ihn selbst in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt haben. Soweit der Schuldner geltend macht, selbst Massegläubiger gewesen und in dieser Eigenschaft nicht gehört worden zu sein, ist sein Grundrecht auf rechtliches Gehör ebenfalls nicht verletzt, weil er von dem Vorgang Kenntnis hatte und auch als Massegläubiger hätte Stellung nehmen können. Die Zustellung an den Schuldner als Massegläubiger kam mit dem Vermerk zurück, der Empfänger sei unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln. Der Schuldner meint, seine Anschrift habe vom Insolvenzgericht ermittelt werden müssen, ohne darzulegen, warum er unter der vom Gericht verwendeten Anschrift nicht mehr erreicht werden konnte. Es hätte aber dem Schuldner oblegen, seine aktuelle Anschrift dem Insolvenzgericht jeweils mitzuteilen.

3.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht nicht angenommen, zu den Kosten des Verfahrens im Sinne des § 207 Abs. 1 Satz 1 InsO gehörten auch die Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO . Das Beschwerdegericht hat allerdings verkannt, dass die Tilgungsreihenfolge des § 209 InsO auch dann einzuhalten ist, wenn der Insolvenzverwalter noch nicht Masseunzulänglichkeit nach § 208 InsO angezeigt hat (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 - IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145 Rn. 11 ff, 14; vom 14. Oktober 2010 - IX ZB 224/08, ZIP 2010, 2252 Rn. 12 ff; Urteil vom 21. Oktober 2010 - IX ZR 220/09, ZIP 2010, 2356 Rn. 12). Einen unzutreffenden Kostenbegriff hat es damit nicht zugrunde gelegt.

4.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen. Dem Rechtsbeschwerdeführer bleibt es unbenommen, ein neues Insolvenzverfahren, Verfahrenskostenstundung und Restschuldbefreiung zu beantragen, was schneller zum Erfolg führen dürfte als die Fortsetzung des eingestellten Verfahrens nach altem Recht (Art. 103a EGInsO ).

Vorinstanz: LG Lüneburg, vom 10.06.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 3 T 48/10
Vorinstanz: AG Lüneburg, vom 14.04.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 46 IN 33/01