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BGH - Entscheidung vom 03.05.2012

V ZB 4/11

Normen:
AufenthG a.F. § 62 Abs. 2 S. 4
FamFG § 417 Abs. 1
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4

BGH, Beschluss vom 03.05.2012 - Aktenzeichen V ZB 4/11

DRsp Nr. 2012/13694

Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Haftanordnung zur Sicherung der Abschiebung eines kosovarischen Staatsangehörigen

1. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn die Begründung entspricht. Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer enthält. 2. Die Begründung des Haftantrags darf knapp gehalten sein, muss aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen. 3. Konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können müssen angegeben werden.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass die Beschlüsse der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 13. Dezember 2010 und des Amtsgerichts Münster vom 3. November 2010 ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in allen Instanzen notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Landkreis S. auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

AufenthG a.F. § 62 Abs. 2 S. 4; FamFG § 417 Abs. 1 ; FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein kosovarischer Staatsangehöriger, reiste erstmals 1988 in die Bundesrepublik ein. In der Folgezeit stellte er erfolglos mehrere Asyl(folge)anträge, wurde wiederholt abgeschoben und reiste danach wieder ein. Die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens wurde zuletzt im Februar 2008 abgelehnt und der Betroffene im März 2008 erneut in den Kosovo abgeschoben.

Zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt reiste er entgegen dem mit der Abschiebung verbundenen Einreiseverbot und ohne Reisepass in die Bundesrepublik ein. Er wurde im November 2010 in L. (Kreis S. ) festgenommen und musste zunächst eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen.

Auf den Antrag des Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht M. die Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen für die Dauer von längstens drei Monaten angeordnet. Die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen.

Der Betroffene befindet sich wieder in Freiheit, nachdem das Amtsgericht P. , an welches das Verfahren abgegeben worden war, den Antrag des Beteiligten zu 2 auf eine Verlängerung der Abschiebungshaft zurückgewiesen und die Haftanordnung aufgehoben hat. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung und des seine Beschwerde zurückweisenden Beschlusses festzustellen.

II.

Das Beschwerdegericht bejaht die Haftgründe wegen der vollziehbaren Ausreisepflicht des Betroffenen aufgrund unerlaubter Einreise (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aF) und wegen des Verdachts, dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen wolle (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG aF). Die Haft sei auch nicht nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG aF unzulässig. Die Identität des Betroffenen sei geklärt. Da er strafrechtlich in erheblicher Weise in Erscheinung getreten sei, unterfalle er auch nicht dem Abschiebungsstopp für kosovarische Minderheiten nach dem Erlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 1. Dezember 2010.

III.

Die Rechtsbeschwerde, die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 , Satz 2 FamFG statthaft (Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 4) und auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG ) ist, hat Erfolg.

1. Die Entscheidung des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts haben den Betroffenen bereits deshalb in seinen Rechten verletzt, weil es an einem zulässigen Haftantrag und damit an der nach § 417 Abs. 1 FamFG unverzichtbaren Grundlage für die Freiheitsentziehung fehlte.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, Rn. 12 mwN, [...]; Beschluss vom 15. September 2011 V ZB 123/11, Rn. 8 mwN, [...]).

b) Die Begründung des Haftantrags muss auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht. Danach bestimmen sich Inhalt und Umfang der notwendigen Darlegungen. Sie dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, Rn. 9, [...]). Hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung sind auf das Land bezogene Ausführungen erforderlich, in das der Betroffene abgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. Erforderlich sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, Rn. 13 f., [...]).

c) Der Haftantrag der Beteiligten zu 2 genügte diesen Anforderungen nicht. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht eine Verletzung der Bestimmung in § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG , nach der im Haftantrag die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung begründet werden muss.

Dass der in dem Haftantrag des Beteiligten zu 2 dazu allein zu findende Satz, die beantragte Haft sei geeignet, erforderlich und angemessen, dem gesetzlichen Begründungserfordernis nach § 417 Satz 2 FamFG nicht genügt, bedarf nach dem Vorstehenden keiner weiteren Ausführungen. Ebenso verhält es sich hinsichtlich der - nach der Beschwerde des Betroffenen erfolgten - telefonischen Mitteilung des Beteiligten zu 2 an das Amtsgericht, es sei nicht ersichtlich, dass die Abschiebung des Betroffenen in den Kosovo nicht innerhalb der Haftdauer von drei Monaten durchgeführt werden könne. Die Behörde hat keine Tatsachen mitgeteilt, anhand derer der Richter die Prognose nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG aF über die Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate hätte treffen können (die auch rechtsfehlerhaft weder in der Haftanordnung noch in der Beschwerdeentscheidung vorgenommen worden ist). In diesem Fall wären im Haftantrag Ausführungen erforderlich gewesen, welche Schritte nach dem hier einschlägigen Rückübernahmeabkommen zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kosovo vom 21. April 2010 (BGBl. II S. 259 ff.) für die Abschiebung des Betroffenen hätten unternommen werden müssen und in welchem Zeitraum diese üblicherweise durchlaufen werden. Dazu fehlte jeder Vortrag des Beteiligten zu 2.

2. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 , § 83 Abs. 2 , § 430 FamFG , § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO . Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Kreis S. zur Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.

Vorinstanz: AG Münster, vom 03.11.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 103 XIV 42/10
Vorinstanz: LG Münster, vom 13.12.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 5 T 784/10