Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 22.02.2012

III ZR 226/10

Normen:
BauGB § 96 Abs. 1 S. 1
FStrG § 19 Abs. 5
SächsEntEG § 4 Abs. 1

Fundstellen:
BauR 2012, 912
MDR 2012, 583
NVwZ 2012, 646
VersR 2012, 870
ZfBR 2012, 575

BGH, Beschluss vom 22.02.2012 - Aktenzeichen III ZR 226/10

DRsp Nr. 2012/5274

Erhöhte Einkommenssteuern i.R.e. Grundstücksveräußerung zur Vermeidung einer Enteignung als erstattungsfähige Folgekosten

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Senats für Baulandsachen des Oberlandesgerichts Dresden vom 15. September 2010 - U 2/06 Bau - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens haben die Beteiligten zu 1 und 2 zu tragen.

Der Streitwert wird auf bis zu 185.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BauGB § 96 Abs. 1 S. 1; FStrG § 19 Abs. 5 ; SächsEntEG § 4 Abs. 1;

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 1 und 2 waren Eigentümerinnen eines 4.084 m2 großen Grundstücks in C. -N. , welches sie im September 1994 erworben hatten. Für den Ausbau der A 72 zwischen dem Dreieck C. und der Anschlussstelle C. -S. wurden 1.500 m2 dieses Grundstücks dauernd für den Autobahnausbau benötigt. "Zur Vermeidung einer erforderlichen Enteignung und zur Durchführung der Baumaßnahme" kaufte die Beteiligte zu 4 mit notariellem Vertrag vom 7. Oktober 2002 von den Beteiligten zu 1 und 2 die entsprechende Teilfläche. Der Kaufpreis wurde auf der Grundlage eines zuvor eingeholten Verkehrswertgutachtens auf 127.062,99 € festgesetzt. In dem Vertrag war festgehalten, dass keine Einigung besteht über einen Rechtsanspruch auf Übernahme der verbleibenden Grundstücksfläche. Die Prüfung eines solchen Rechtsanspruchs und die Festsetzung der Entschädigung sollten gegebenenfalls in einem Entschädigungsfeststellungsverfahren erfolgen. Nachfolgend verlangten die Beteiligten zu 1 und 2 die Übernahme des Restgrundstücks, weil ihre ursprüngliche Planung nicht mehr verwirklicht und das Restgrundstück nicht mehr sinnvoll bebaut werden könne. Zugleich verlangten sie eine Entschädigung für die wegen des Verkaufs der Teilfläche anfallende höhere Einkommensteuer. Diese Steuermehrbelastung ergebe sich deshalb, weil die Veräußerung des Grundstücks an die Beteiligte zu 4 innerhalb von zehn Jahren seit dem Erwerb zu einem höheren Kaufpreis erfolgt sei.

Die Beteiligte zu 3 hat die Anträge der Beteiligten zu 1 und 2 abgelehnt, ihnen jedoch zugleich wegen eingetretener Wertminderung des Restgrundstücks eine zusätzliche Entschädigung von 33.224,48 € zugesprochen. Gegen diesen Bescheid haben diese Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen.

Hiergegen hat sich die Berufung der Beteiligten zu 1 und 2 gerichtet. Sie haben neben der Übernahme des Grundstücks auch hilfsweise eine höhere Enteignungsentschädigung für die Wertminderung des verbliebenen Restgrundstücks geltend gemacht. Ihre Berufung ist hinsichtlich der geltend gemachten Übernahme des Restgrundstücks und der Erstattung der Einkommensteuer zurückgewiesen worden. Im Hinblick auf die Höhe der Entschädigung für die Wertminderung des Restgrundstücks hat das Berufungsgericht über die bereits zuerkannten 33.224,48 € hinaus insgesamt als Entschädigung für den Minderwert des Restgrundstücks 36.094,94 € festgesetzt.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde begehren die Beteiligten zu 1 und 2 die Zulassung der Revision, mit der sie ihre Ansprüche auf Übernahme des Grundstücks, Ersatz der verauslagten Einkommensteuer und hilfsweise Erhöhung der Entschädigung für den Wertverlust des Restgrundstücks weiterverfolgen.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde bleibt erfolglos.

1. Im Hinblick auf die Zurückweisung eines Anspruchs auf Erstattung der Einkommensteuer hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass dieser nicht zu den erstattungsfähigen Folgekosten gehöre. Allein der Umstand der "rückwirkenden" Verlängerung der steuerrelevanten Spekulationsfrist führe zu keinem anderen Ergebnis, weil sie sich als steuerpolitisch wie auch rechtlich gewollte Folge der Änderung der Steuergesetzgebung und nicht als Folge der Enteignung darstelle. Dem Enteigneten solle der Wertausgleich in Summe eines vollen Äquivalents des Genommenen gegeben werden, nicht hingegen ein Ausgleich für das enttäuschte Vertrauen in den Fortbestand einer steuerrechtlich günstigen Regelung. Es handele sich nicht um eine unmittelbare Entschädigungsfolge, sondern um nicht entschädigungspflichtige bloße Erwartungen und Chancen auf zukünftige Steuervorteile.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht. Der von den Beschwerdeführerinnen hinsichtlich der Zurückweisung ihres Antrags auf Entschädigung für die bei ihnen angefallene Einkommenssteuer allein geltend gemachte Revisionszulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO liegt nicht vor.

Das Berufungsgericht weicht von der Senatsrechtsprechung nicht ab. Der Senat hat bereits entschieden, dass die Auszahlung der Entschädigung für zu enteignendes Betriebsvermögen zu einer mehr oder minder hohen Heranziehung des Veräußerungsgewinns zur Einkommensteuer führen kann. Für solche einkommensteuerlichen Nachteile kann unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs "anderer durch die Enteignung eingetretener Vermögensnachteile" (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 1 BauGB ) eine besondere Entschädigung nicht gewährt werden (vgl. Senatsurteile vom 13. November 1975 - III ZR 162/72, BGHZ 65, 253, 256 ff und III ZR 188/73, WM 1976, 98, 99). Das Berufungsgericht hat zu Recht diese Grundsätze auch auf den vorliegenden Fall angewandt, in dem nach Angaben der Beteiligten zu 1 und 2 eine Einkommensteuerbelastung dadurch eingetreten ist, dass durch den Verkauf des Teilgrundstücks zur Vermeidung der Enteignung ein Veräußerungsgewinn erzielt worden ist im Verhältnis zum damaligen Anschaffungspreis.

Danach steht den Beteiligten zu 1 und 2 kein Anspruch auf Entschädigung nach § 19 Abs. 5 FStrG i.V.m. § 4 Abs. 1 SächsEntEG und § 96 Abs. 1 Satz 1 BauGB wegen der von ihnen geltend gemachten Einkommensteuerbelastung wegen eines erzielten Veräußerungsgewinns zu.

a) Über die Substanzentschädigung hinaus können Folgeschäden nach § 96 BauGB entschädigt werden, die ohne dinglichen Wertbezug durch die Enteignung unmittelbar und zwangsnotwendig begründet werden, wobei auch hier nur rechtlich geschützte konkrete Werte und nicht bloße wirtschaftliche Interessen, Erwartungen oder Chancen ausreichend sind. Die individuellen Nachteile, die nicht allgemein jeden treffen, müssen als Folge der Enteignung in Erscheinung treten (vgl. Senatsurteil vom 11. Oktober 2007 - III ZR 298/06, BGHZ 174, 25 Rn. 19 mwN). Zu berücksichtigen sind grundsätzlich nur solche Nachteile und Kosten, die (auch) entstanden wären, wenn der Betroffene alle diejenigen Maßnahmen sogleich ergriffen hätte, die ein verständiger Eigentümer in der gegebenen Lage vernünftigerweise getroffen haben würde. Hinsichtlich eingetretener Steuernachteile kommt eine Entschädigung deshalb nicht in Betracht, wenn der von der Enteignung Betroffene die ihm zur Verfügung stehenden Mittel, die Besteuerung zu verhindern, nicht ergriffen hat. Der verständige Eigentümer schöpft vernünftigerweise die Möglichkeiten aus, die ihm insoweit das Steuerrecht bietet. Unterlässt er dies, so kommt es nicht darauf an, ob ihn ein Verschulden trifft. Die Beschränkung der Entschädigung auf Folgekosten, die auch durch ein sachgemäßes Verhalten des Betroffenen nicht abgewendet werden können, stellt keinen Anwendungsfall des Grundsatzes des mitwirkenden Verschuldens (vgl. § 254 BGB ) dar; sie beruht darauf, dass die Entschädigung dazu bestimmt ist, nur die im Einzelfall als erzwungene Folge der Enteignung in Erscheinung getretenen Nachteile auszugleichen (vgl. Senatsurteil vom 13. November 1975 - III ZR 162/72, BGHZ 65, 253, 255 f). Soweit in Einzelfällen Härten auftreten können, die sich allein aus der Struktur des gegenwärtigen Einkommensteuerrechts ergeben, und hiernach bei den von der Enteignung Betroffenen ein steuerlicher Nachteil verbleibt, ist es allein Aufgabe des Steuerrechts, diese Folgen zu vermeiden (vgl. Senatsurteile vom 13. November 1975 aaO, BGHZ 65, 253, 261 und WM 1976, 98, 99).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt auch eine Enteignungsentschädigung für die Beteiligten zu 1 und 2 wegen der von ihnen als angefallen geltend gemachten Einkommensteuer wegen eines erzielten Veräußerungsgewinns durch den erzwungenen Verkauf des (Teil-)Grundstücks zur Vermeidung der Enteignung nicht in Betracht.

aa) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG unterliegen der Einkommensteuer sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 EStG . Zu diesen sonstigen Einkünften nach § 22 Nr. 2 EStG gehören auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 EStG . Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG sind private Veräußerungsgeschäfte Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Nach § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG in der hier maßgeblichen Fassung durften Verluste nur bis zur Höhe des Gewinns, den der Steuerpflichtige im gleichen Kalenderjahr des privaten Veräußerungsgeschäfts erzielt hat, ausgeglichen werden. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG ist der Gewinn aus Veräußerungsgeschäften der Unterschied zwischen Veräußerungspreis einerseits und den Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den Werbungskosten andererseits.

bb) Gegen eine Einordnung der anfallenden Einkommensteuer aus einem Veräußerungsgeschäft bei einem Verkauf zur Vermeidung einer Enteignung als entschädigungspflichtiger Folgeschaden spricht bereits, dass der Verkauf des Grundstücks als solches nicht zum Tatbestand der Steuerpflicht gehört (vgl. Senatsurteile vom 13. November 1975 aaO, BGHZ 65, 253, 259 und WM 1976, 98, 99). Besteuert wird nicht das Veräußerungsgeschäft selbst, sondern der Gewinn, der sich als Unterschiedsbetrag aus den Anschaffungskosten und dem Verkaufserlös errechnet. Hinzu tritt, dass für die Höhe der Steuer nicht der Grundstückskaufpreis als solches maßgeblich ist, sondern die persönliche Einkommenssituation des jeweiligen Eigentümers. Die Höhe des zu versteuernden Gewinns wird dabei auch davon beeinflusst, ob andere Verlustgeschäfte getätigt wurden (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG ).

Zudem lässt der Umstand, dass auch (und gerade) bei einem privaten Verkauf ohne den Druck der Enteignung die Einkommensteuer auf den Veräußerungsgewinn genauso angefallen wäre, deutlich werden, dass es sich nicht um einen Nachteil handelt, der nur aufgrund der Enteignung eingetreten ist. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass die Beteiligten zu 1 und 2 das (Teil-)Grundstück, wenn es nicht für den Ausbau der A 72 benötigt worden wäre, bis zum Ablauf der Zehn-Jahres-Frist hätten behalten können, um so im Rahmen eines später stattfindenden privaten Verkaufs eine Einkommensteuer auf einen Veräußerungsgewinn zu vermeiden. Maßgeblich für die Bemessung der Enteignungsentschädigung ist nach § 19 Abs. 5 FStrG i.V.m. § 4 Abs. 1 SächsEntEG und § 95 Abs. 1 Satz 2 BauGB der Zeitpunkt, in dem die Enteignungsbehörde über den Enteignungsantrag entscheidet. Zu diesem Zeitpunkt wäre bei jedem privaten Verkauf die Einkommensteuer in gleicher Höhe angefallen. Die Aussicht, das Grundstück nach Ablauf der Frist von zehn Jahren seit der Anschaffung "einkommensteuerneutral" mit Gewinn veräußern zu können, stellt sich entschädigungsrechtlich als nicht gesicherte Chance dar, da es sich insoweit lediglich um eine in die Zukunft gerichtete Prognose handelt. Für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt für die Bemessung der Enteignungsentschädigung muss dieser Gesichtspunkt deshalb unberücksichtigt bleiben.

Gegen eine Entschädigung für anfallende Einkommensteuer auf Gewinne bei Veräußerungen zur Vermeidung einer Enteignung spricht weiter, dass der Eigentümer die Steuerbelastung vermeiden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs greift die Besteuerung auf private Veräußerungsgewinne nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dann nicht ein, wenn eine unter Zwang erfolgte Veräußerung wegen Anschaffung eines Ersatzwirtschaftsgutes nicht zu einer Gewinnverwirklichung geführt hat (vgl. BFHE 75, 330, 332 f; 96, 520, 522; 108, 502, 504). Die Enteignungsentschädigung soll ihrem Zweck nach dem Betroffenen das volle Äquivalent für das Genommene geben, um ihn so in die Lage zu versetzen, sich einen gleichartigen oder gleichwertigen Gegenstand wieder zu beschaffen. Tut er dies, was für einen vernünftigen Eigentümer auch und gerade unter dem Blickpunkt der sonst anfallenden Besteuerung naheliegen kann, so fallen nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs keine Einkommensteuern auf den Veräußerungsgewinn an. Entscheidet sich der Betroffene aber gegen die Anschaffung eines Ersatzgrundstücks, so fällt die Einkommensteuer nur deshalb an, weil der Enteignete die Entschädigung in einer bestimmten anderen Weise verwenden will. Dies rechtfertigt es aber nicht, die wegen eines eingetretenen Veräußerungsgewinns angefallene Einkommensteuer als einen durch die Enteignung eingetretenen Vermögensnachteil zu werten. Denn auf die Höhe der Entschädigung ist es grundsätzlich ohne Einfluss, wie der Enteignete im Einzelfall die Geldentschädigung verwendet (vgl. Senatsurteil aaO, BGHZ 65, 253, 259).

c) Dahingestellt bleiben kann, ob die Einkommensteuer auch dann angefallen wäre, wenn die Beteiligten zu 1 und 2 einem freiwilligen Verkauf nicht zugestimmt hätten, sondern enteignet worden wären (vgl. zum Meinungsstand: für eine Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG auf Enteignungen Schmidt/Weber/Grellet, EStG , 30. Aufl., § 23 Rn. 55; Blümig/Kleng, EStG/KStG/GewStG, [Mai 2010] § 23 EStG Rn. 146; dagegen Herrmann/Heuer/Raupach/ Musil, EStG und KStG , [August 2011] § 23 EStG Rn. 73; Kirchhof/Söhn/Mellinghoff/Wernsmann, EStG , [April 2008] § 23 Rn B 111 f). Auch in diesem Fall würde durch eine Ersatzlandbeschaffung mit den Mitteln der Entschädigung eine Steuerpflicht entfallen.

3. Auch im Übrigen hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

Vorinstanz: LG Chemnitz, vom 06.11.2006 - Vorinstanzaktenzeichen O 2912/05
Vorinstanz: OLG Dresden, vom 15.09.2010 - Vorinstanzaktenzeichen U 2/06
Fundstellen
BauR 2012, 912
MDR 2012, 583
NVwZ 2012, 646
VersR 2012, 870
ZfBR 2012, 575