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BGH - Entscheidung vom 19.01.2012

V ZR 141/11

Normen:
BGB § 133
BGB § 157
ZPO § 139 Abs. 1
ZPO § 412 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 19.01.2012 - Aktenzeichen V ZR 141/11

DRsp Nr. 2012/3910

Beweiserhebungspflicht bzgl. der Auslegungsbedürftigkeit einer vertraglichen Erklärung über die Wohnfläche bei fehlender Vereinbarung eines konkreten Berechnungsmaßstabs

1. Ein Berufungsurteil ist auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin aufzuheben, wenn das Berufungsgericht den Anspruch der betroffenen Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. 2. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 I GG . Das gilt insbesondere dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots auf vorweggenommener tatrichterlicher Beweiswürdigung beruht. Eine unzulässige Beweisantizipation liegt vor, wenn der von einer Partei angebotene Beweis nicht erhoben wird, weil das Gericht dem unter Beweis gestellten Vorbringen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst. 3. Die Verletzung des Gebots der Gewährung rechtlichen Gehörs betrifft einen entscheidungserheblichen Punkt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte. 4. Der Begriff der Wohnfläche einer immobilie ist unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zu bestimmen. Ob eine behauptete Verkehrssitte besteht, ist keine Rechts-, sondern eine Tatfrage. Die Einholung einer amtlichen Auskunft einer Architektenkammer ist ein geeignetes Beweismittel zur Feststellung einer Verkehrssitte.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 18. Mai 2011 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 65.000 €.

Normenkette:

BGB § 133 ; BGB § 157 ; ZPO § 139 Abs. 1 ; ZPO § 412 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Mit notariellem Vertrag vom 21. November 2008 verkauften die Beklagten den Klägern ein mit einem zweistöckigen Einfamilienhaus bebautes Grundstück zu einem Gesamtkaufpreis von 459.000 € (429.000 € für das Grundstück und 30.000 € für Küche und Einbauschränke) unter Ausschluss der Gewährleistung für die Größe und die Beschaffenheit des Kaufgegenstands.

Die Beklagten hatten im Oktober 2008 der Streithelferin einen Alleinauftrag zur Suche eines Käufers erteilt, die in Zeitungsinseraten, im Internet sowie in einem Exposé das Objekt mit der Angabe einer Wohnfläche von 160 m2 anbot. Die Kläger hatten sich nach einer Besichtigung des Objekts mit einem Mitarbeiter der Streithelferin zum Kauf des Objekts entschlossen.

Die Kläger haben unter Hinweis darauf, dass die umbaute Wohnfläche lediglich 133,21 m2 betrage, eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 65.000 € als Minderung, hilfsweise als Schadensersatz verlangt. Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben.

II.

Das Berufungsgericht meint, auf Grund der Angabe einer Wohnfläche von 160 m2 in den Inseraten der Streithelferin sei diese konkludent als Beschaffenheit der Kaufsache (§ 433 Abs. 1 Satz 2, § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB ) vereinbart worden. Die Beklagten müssten sich die Erklärungen der Streithelferin nach §§ 166 , 278 BGB zurechnen lassen, weil die Streithelferin nicht nur als Maklerin tätig geworden sei, sondern die Vertragsverhandlungen bis zu der Abwicklung des Notartermins betreut habe.

Der Sachmangel berechtige aber nicht zur Minderung, da nach dem eingeholten Sachverständigengutachten keine Differenz zwischen dem Wert der mangelfreien und dem wirklichen Wert der Sache festzustellen sei, nach dem eine Herabsetzung des Kaufpreises nach § 441 Abs. 3 BGB zu berechnen sei. Bei der von dem Sachverständigen für richtig gehaltenen Verkehrswertermittlung im Sachwertverfahren wirke sich die Abweichung von etwas mehr als 10 m2 noch nicht wertmindernd aus.

III.

Das angefochtene Berufungsurteil ist auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde sieht mit Recht eine Verletzung dieses Verfahrensgrundrechts darin, dass das Berufungsgericht das Vorbringen der Kläger, wie die Wohnflächen von Einfamilienhäusern in den Inseraten und den Exposés der Makler berechnet würden, zurückgewiesen hat, ohne ihren Beweisangeboten nachzugehen.

a) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217 , 1281 mwN; Senatsbeschluss vom 28. April 2011 - V ZR 182/10, Rn. 10, [...] - std. Rspr.). Das gilt insbesondere dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots auf vorweggenommener tatrichterlicher Beweiswürdigung beruht (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2008 - IV ZR 341/07, RuS 2010, 64; BVerfG, NJW 2009, 1585 , 1587 - std. Rspr.) Eine unzulässige Beweisantizipation liegt vor, wenn der von einer Partei angebotene Beweis nicht erhoben wird, weil das Gericht dem unter Beweis gestellten Vorbringen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst (vgl. BVerfG, NJW-RR 2001, 1006 , 1007).

b) So ist es hier. Das Berufungsgericht hätte den Beweis erheben müssen. Es geht zutreffend davon aus, dass eine vertragliche Erklärung über die Größe der Wohnfläche der Auslegung nach §§ 133 , 157 BGB bedarf und dass dann, wenn - wie hier - ein konkreter Berechnungsmaßstab nicht vereinbart worden ist, der Begriff der Wohnfläche unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zu bestimmen ist. Das entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. die Urteile vom 30. November 1990 - V ZR 91/89, NJW 1991, 912 , 913 und vom 11. Juli 1997 - V ZR 246/96, NJW 1997, 2874 , 2875). Ob eine behauptete Verkehrssitte besteht, ist jedoch keine Rechts-, sondern eine Tatfrage (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 1963 - I ZR 8/63, BGHZ 40, 332 334 und die Senatsurteile vom 30. November 1990 - V ZR 91/89, NJW 1991, 912 , 913 und vom 11. Juli 1997 - V ZR 246/96, NJW 1997, 2874 , 2875).

Von diesem Ansatzpunkt aus hätte das Berufungsgericht dem von der Nichtzulassungsbeschwerde zitierten Beweisantritt auf Einholung einer (amtlichen) Auskunft der Architektenkammer, die ein geeignetes Beweismittel zur Feststellung einer Verkehrssitte ist (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 1965 - VIII ZR 271/63, NJW 1966, 502, 503 zur Ermittlung von Handelsbräuchen), nachgehen müssen und den unzulässigen Antrag auf Einholung einer Auskunft eines Maklerverbands, der keine Behörde ist, erst nach einem Hinweis nach § 139 Abs. 1 ZPO auf das zulässige Beweismittel (Beantragung eines Sachverständigengutachtens, vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2011 - IX ZR 13/07, NJW-RR 2011, 451) zurückweisen dürfen.

2. Die Verletzung des Gebots der Gewährung rechtlichen Gehörs betrifft auch einen entscheidungserheblichen Punkt. Das ist schon dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (Senat, Beschluss vom 9. Juni 2005 - V ZR 271/04, NJW 2005, 2624 , 2625).

Bestünde die von den Klägern behauptete Verkehrssitte, wäre sie für die Auslegung der Erklärung zur Größe der Wohnfläche auch dann maßgebend, wenn sie den Beklagten oder ihrer Streithelferin nicht bekannt gewesen sein sollte (BGH, Urteil vom 12. Dezember 1953 - VI ZR 242/52, LM Nr. 1 zu § 157 (B) BGB ). Wäre die Behauptung der Kläger richtig, ergäbe sich danach nicht eine Abweichung von lediglich 6,75 % zwischen der Wohnflächenangabe von 160 m2 und einer nach §§ 1 bis 4 WoFlV berechneten Wohnfläche von 149,2 m2, sondern eine solche von 16,74 % zwischen der im Hause vorhandenen Wohnfläche von 133,21 m2 und der in den Verkaufsunterlagen angegebenen Größe. Dass sich eine Flächendifferenz auch in dieser Größenordnung nicht wertmindernd auswirkte, ist nicht festgestellt.

IV.

Unabhängig davon, ob die Wohnfläche allein nach der Größe der Räume oder auch unter Einbeziehung der Terrasse nach der Wohnflächenverordnung zu ermitteln ist - wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob zur Ermittlung der Anspruchshöhe eine ergänzende Begutachtung nach § 412 Abs. 1 ZPO anzuordnen ist.

Diese Entscheidung steht zwar grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters, das sich aber dann zu einer Pflicht verdichtet, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen ist oder das Gutachten Widersprüche enthält (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 1999 - VI ZR 34/98, NJW 1999, 1778 , 1779. Das könnte hier zu bejahen sein, weil der Sachverständige bei der Ermittlung des Verkehrswerts insofern von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen ist, als er seinen Berechnungen einen falschen Haustyp zugrunde gelegt hat. Bei richtiger Wertermittlung ergeben sich nach seinen Angaben für das Sachwertverfahren höhere Baukosten (um 20 € je m2 Bruttogrundfläche) und bei dem - zur Unterstützung des Ergebnisses herangezogenen - Ertragswert eine Wertminderung von 15.000 € statt im Gutachten ausgewiesener 5.000 €. Die Erläuterung des Sachverständigen, dass der Fehler sich schon deswegen nicht auswirke, weil eine Veränderung der Wohnfläche ohne Einfluss auf die Bewertung im Sachwertverfahren sei, ist vor dem Hintergrund unvollständig, dass der Sachverständige es in seinem Gutachten für erforderlich gehalten hat, neben dem Sachwert auch den Ertragswert zu berücksichtigen, um daran eine Ergebniskontrolle vorzunehmen (zur Zulässigkeit dieses Verfahrens: BGH, Urteil vom 6. April 1995 - III ZR 27/94, NJW-RR 1995, 911 , 913). Wenn sich jedoch - wie im Gutachten ausgeführt - Sach- und Ertragswert entsprechen, ist es nicht mehr nachzuvollziehen, dass die sich bei richtiger Berechnung ergebende Verdreifachung der Minderung des Ertragswerts durch die verringerte Wohnfläche für den Verkehrswert hier ohne Bedeutung bleiben soll, weil dieser im Sachwertverfahren zu ermitteln sei.

Vorinstanz: LG Trier, vom 15.12.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 11 O 46/09
Vorinstanz: OLG Koblenz, vom 18.05.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 1 U 65/10