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BGH - Entscheidung vom 21.03.2012

XII ZB 372/11

Normen:
SGB VI §§ 69, 70 Abs. 1, 71, 74
SGB VI § 71 ff.
SGB VI § 69 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
VersAusglG § 5 Abs. 2
SGB VI § 69 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
SGB VI § 71 ff.

Fundstellen:
FamFR 2012, 229
FamRB 2012, 173
FamRZ 2012, 847
FuR 2012, 432
MDR 2012, 585
NJW 2012, 1661
NJW-RR 2012, 641
NZS 2012, 507

BGH, Beschluss vom 21.03.2012 - Aktenzeichen XII ZB 372/11

DRsp Nr. 2012/7466

Berücksichtigung nachehelich erzielter Entgeltpunkte bei der Gesamtleistungsbewertung beitragsfreier oder beitragsgeminderte Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung nach den §§ 71 ff. SGB VI

a) Die Gesamtleistungsbewertung beitragsfreier oder beitragsgeminderter Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung nach den §§ 71 ff. SGB VI ist im Versorgungsausgleich stets allein auf der Grundlage der ehezeitlichen Anrechte und ohne Berücksichtigung nachehelich erzielter Entgeltpunkte durchzuführen (im Anschluss an den Senatsbeschluss vom 18. Januar 2012 - XII ZB 696/10).b) Im Erstverfahren über den Versorgungsausgleich sind die persönlichen Entgeltpunkte für das Kalenderjahr der Zustellung des Scheidungsantrags und das davorliegende Kalenderjahr auf der Grundlage des vorläufigen Durchschnittsentgelts grundsätzlich nach § 69 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI zu ermitteln. War das Verfahren zum Versorgungsausgleich jedoch über längere Zeit ausgesetzt und müssen nach der Wiederaufnahme ohnehin neue Auskünfte eingeholt werden, ist von bereits festgesetzten endgültigen Durchschnittsentgelten auszugehen (im Anschluss an den Senatsbeschluss vom 18. Januar 2012 XII ZB 696/10).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3 wird der Beschluss des 10. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle vom 20. Juni 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Verfahrenswert: 1.000 €

Normenkette:

SGB VI § 69 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ; SGB VI § 71 ff.;

Gründe

I.

Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist die Bewertung der in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anrechte im Versorgungsausgleich.

Das Familiengericht hat die am 27. Oktober 1972 geschlossene Ehe der Parteien auf den am 15. Juni 2005 zugestellten Scheidungsantrag unter Abtrennung der Folgesache Versorgungsausgleich rechtskräftig geschieden. Es hat das Verfahren über den Versorgungsausgleich ausgesetzt und mit Beschluss vom 14. Dezember 2009 wieder aufgenommen.

Beide Ehegatten erwarben während der Ehezeit (1. Oktober 1972 bis 31. Mai 2005; § 3 Abs. 1 VersAusglG ) sowohl Entgeltpunkte als auch Entgeltpunkte (Ost), und zwar der Ehemann bei der Beteiligten zu 2 (Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland) und die Ehefrau bei der Beteiligten zu 3 (Deutsche Rentenversicherung Bund).

Das Familiengericht hat im Wege der internen Teilung zu Lasten des Anrechts der Ehefrau 4,2927 Entgeltpunkte und 7,5657 Entgeltpunkte (Ost) auf das Versicherungskonto des Ehemannes sowie zu Lasten des Anrechts des Ehemannes 0,0892 Entgeltpunkte und 11,5931 Entgeltpunkte (Ost) auf das Versicherungskonto der Ehefrau übertragen, jeweils bezogen auf den 31. Mai 2005. Damit ist es dem Vorschlag der gesetzlichen Rentenversicherer gefolgt, die bei der Ermittlung der ehezeitlich erworbenen Entgeltpunkte auch solche wertbildenden Faktoren berücksichtigt hatten, die nach dem Ehezeitende am 31. Mai 2005 bis zum Zeitpunkt der (erneuten) Versorgungsauskünfte mit Berechnungsstand vom 2. Februar 2010 (Beteiligte zu 2) und vom 3. August 2010 (Beteiligte zu 3) eingetreten waren.

Ein weiteres, nicht mehr im Streit stehendes Anrecht aus einer Lebensversicherung hat das Familiengericht extern ausgeglichen.

Auf die Beschwerde der Ehefrau hat das Oberlandesgericht die zu ihren Lasten auszugleichenden Anrechte auf 4,2416 Entgeltpunkte und 7,2334 Entgeltpunkte (Ost) herabgesetzt und das zu ihren Gunsten auszugleichende Anrecht auf 11,7007 Entgeltpunkte (Ost) heraufgesetzt, was einer Bewertung nach den zum Ehezeitende bestehenden Verhältnissen ohne Berücksichtigung der während der Verfahrensaussetzung eingetretenen Veränderungen entspricht. Hiergegen richten sich die zugelassenen Rechtsbeschwerden beider beteiligten gesetzlichen Rentenversicherer, von denen die Beteiligte zu 2 ihr Rechtsmittel zurückgenommen hat.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3 ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

Auf das Verfahren zum Versorgungsausgleich ist gemäß Art. 111 Abs. 4 FGG-RG , § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG das seit dem 1. September 2009 geltende Verfahrensrecht und materielle Recht anzuwenden, weil das Verfahren vom Scheidungsverbund abgetrennt, als Folgesache ausgesetzt und erst nach dem 1. September 2009 wiederaufgenommen wurde (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. Oktober 2011 - XII ZB 567/10 - FamRZ 2012, 98 Rn. 7 ff. und vom 16. Februar 2011 - XII ZB 261/10 - FamRZ 2011, 635 Rn. 10 ff.).

1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung unter Bezugnahme auf seinen früheren, in FamRZ 2011, 723 veröffentlichten Beschluss im Wesentlichen wie folgt begründet:

Nach der bis zum 31. August 2009 geltenden Rechtslage seien die nach Ehezeitende zurückgelegten Versicherungszeiten bei der Ermittlung der auf die Ehezeit entfallenden Entgeltpunkte nicht einbezogen worden. Zwar seien seit Inkrafttreten des § 10a VAHRG rechtliche oder tatsächliche Veränderungen, die zwischen Ehezeitende und Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eingetreten waren und auf den Ehezeitanteil zurückwirkten, aus verfahrensökonomischen Gründen schon bei der Erstentscheidung zu berücksichtigen gewesen. Außer Betracht bleiben sollte jedoch im Erstverfahren die nachehezeitliche Änderung von Umständen, die bis zum tatsächlichen Eintritt in den Ruhestand weiterhin einem fortlaufenden Wandel unterliegen, wie etwa die Gesamtleistungsbewertung für beitragsfreie Zeiten.

Auch nach der seit 1. September 2009 geltenden Rechtslage sei der Ehezeitanteil von Anrechten in der gesetzlichen Rentenversicherung nach der unmittelbaren Bewertungsmethode zu berechnen. Er ergebe sich aus der auf die Ehezeit entfallenden Bezugsgröße des Versorgungssystems, d.h. den in dieser Zeit erworbenen Entgeltpunkten. Lediglich die nach früherem Recht - nur für die gerichtliche Titulierung - erforderliche Umrechnung der auf die Ehezeit entfallenden Entgeltpunkte in einen auf das Ehezeitende bezogenen Rentenbetrag sei nach neuem Recht entbehrlich geworden. Eine sachliche Änderung in der Berechnung des Ehezeitanteils habe das neue Recht dagegen nicht gebracht. Alle in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechte seien grundsätzlich weiterhin bezogen auf diesen Zeitpunkt zu bewerten. Etwas anderes folge auch nicht aus § 5 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG . Diese Vorschrift bestimme zwar, dass rechtliche oder tatsächliche Veränderungen, die zwischen Ehezeitende und Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eintreten und "auf den Ehezeitanteil zurückwirken", zu berücksichtigen sind. Mit dieser Regelung sei jedoch entgegen der von den Rentenversicherungsträgern vertretenen Auffassung keine Rechtsänderung eingetreten. Der Gesetzgeber habe damit nur die schon unter der Geltung des früheren Rechts gefestigte Rechtsprechung kodifizieren wollen, dass nach Ehezeitende eingetretene individuelle Änderungen bereits im Erstverfahren zu berücksichtigen seien, wenn sie sich rückwirkend betrachtet auf den Ehezeitanteil auswirkten. Rechtliche Korrekturen seien dagegen mit dieser Bestimmung nicht beabsichtigt.

Auch nach neuem Recht sei im Erstverfahren von einem fiktiven Versicherungsfall am Ende der Ehezeit auszugehen. Die durch nachehezeitliche Versicherungszeiten ausgelöste Veränderung in der Bewertung der in die Ehezeit fallenden Versicherungszeiten sei weiterhin einem späteren Abänderungsverfahren (jetzt nach den §§ 225 , 226 FamFG ) vorzubehalten. Hierfür sprächen die gleichen Gesichtspunkte wie schon unter der Geltung des früheren Rechts. Die durch Einbeziehung von Zeiten zwischen Ehezeitende und gerichtlicher Entscheidung eintretenden Veränderungen der auf die Ehezeit entfallenden Entgeltpunkte seien - wie auch der vorliegende Fall zeige - in aller Regel geringfügig. Da sich die Bewertung der in die Ehezeit fallenden rentenrechtlichen Zeiten nach der im Scheidungsverfahren ergangenen Entscheidung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles weiterhin laufend verändern werde, sei es weder geboten noch verfahrensökonomisch, den Zeitraum bis zur Entscheidung einzubeziehen. Denn die weiteren bis zum Eintritt des Versicherungsfalles noch zu erwartenden Wertveränderungen ließen sich damit nicht erfassen. Es bestünde vielmehr im Einzelfall sogar die Gefahr, dass die für eine spätere Abänderung erforderliche Wesentlichkeitsgrenze (§ 225 Abs. 3 FamFG ) verfehlt werde, wenn ein Teil der nachehezeitlichen Entwicklung bereits im Erstverfahren berücksichtigt worden sei.

Die Bestimmung des Zeitpunkts, bis zu dem der nachehezeitliche Versicherungsverlauf einbezogen werde, könne zudem nicht von der Zufälligkeit der jeweiligen Verfahrensdauer und dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherungsträger dem Gericht Auskunft erteilt bzw. bis zu dem er den Versicherungsverlauf geklärt hat, abhängig sein. Schon aus Gründen der Gleichbehandlung müssten die Auskünfte für beide Ehegatten auf den gleichen Bewertungszeitpunkt bezogen sein. Einbezogene nachehezeitliche Versicherungszeiten müssten daher bei beiden Ehegatten deckungsgleich sein. Dieses Erfordernis würde jedoch in der Praxis zu zusätzlichen Verzögerungen führen, weil nach unter Umständen zeitraubender Klärung des Versicherungsverlaufs des einen Ehegatten anschließend wieder eine aktualisierte Auskunft über das Rentenanrecht des anderen Ehegatten eingeholt werden müsste.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

a) Das Oberlandesgericht ist in seiner Entscheidung zu Recht von den ergänzenden Auskünften der gesetzlichen Rentenversicherer ausgegangen, in denen die Bewertung der beitragsgeminderten Zeiten der Ehefrau nur auf der Grundlage der ehezeitlich erworbenen Entgeltpunkte erfolgt ist.

aa) Nach §§ 1 Abs. 1 , 3 Abs. 1 VersAusglG sind im Versorgungsausgleich die in der Ehezeit erworbenen Anteile von Anrechten (Ehezeitanteile) hälftig zwischen den geschiedenen Ehegatten zu teilen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung ist nach § 5 Abs. 2 VersAusglG das Ende der Ehezeit. Rechtliche oder tatsächliche Veränderungen nach dem Ende der Ehezeit sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie auf den Ehezeitanteil zurückwirken.

§ 5 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG regelt insoweit eine Ausnahme vom Stichtagsprinzip für Fälle, in denen sich Änderungen zwischen Ehezeitende und dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergeben. Führen diese rückwirkend zu einer anderen Bewertung des Ehezeitanteils und damit des Ausgleichswerts, sollen sie bei der Entscheidung berücksichtigt werden (BT-Drucks. 16/10144 S. 49). Die Vorschrift geht insoweit einher mit der verfahrensrechtlichen Regelung der §§ 225 f. FamFG , wonach eine rechtskräftige Entscheidung zum Versorgungsausgleich abgeändert werden kann, wenn sich der beim Wertausgleich bei der Scheidung zugrunde gelegte Ausgleichswert aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nachträglich wesentlich ändert. Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung zum früheren Recht (Senatsbeschluss vom 6. Juli 1988 - IV b ZB 151/84 - FamRZ 1988, 1148 , 1149 ff.) sollen solche nachehezeitlichen Veränderungen bereits im Erstverfahren berücksichtigt werden, wenn sie bis zur letzten Tatsachenentscheidung eingetreten sind (BT-Drucks. 16/10144 S. 49). Veränderungen, die rückwirkend betrachtet auf der Grundlage der individuellen Verhältnisse bei Ehezeitende einen anderen Ehezeitanteil des Versorgungsanrechts ergeben, können somit bei der Entscheidung über den Versorgungsausgleich grundsätzlich auch dann berücksichtigt werden, wenn sie erst nach Ehezeitende eingetreten sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. März 2007 - XII ZB 142/06 - FamRZ 2007, 891 Rn. 16 und vom 18. September 1991 - XII ZB 169/90 - FamRZ 1991, 1415 , 1416).

Unberücksichtigt bleiben hingegen nachehezeitliche Veränderungen, soweit sie auf neu hinzugetretenen individuellen Umständen, wie etwa einem späteren beruflichen Aufstieg des Versicherten oder einem zusätzlichen persönlichen Einsatz, beruhen (Senatsbeschluss vom 11. Juni 2008 - XII ZB 154/07 - FamRZ 2008, 1512 Rn. 14). Das Ende der Ehezeit bleibt daher als Stichtag maßgebend für die variablen Bemessungsgrundlagen einer Versorgung, zum Beispiel die erreichte Besoldungs- oder Tarifgruppe, Dienstaltersstufe, Einkommenshöhe sowie die Bemessungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung oder der berufsständischen Versorgungen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. Juli 2009 - XII ZB 191/06 - FamRZ 2009, 1743 Rn. 9 ff. und vom 14. Oktober 1998 - XII ZB 174/94 - FamRZ 1999, 157 f.).

bb) Dem grundsätzlich zu beachtenden Stichtagsprinzip würde es widersprechen, beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung im Rahmen einer Gesamtleistungsbewertung nach den §§ 71 ff. SGB VI auf der Grundlage nachehelich erzielter Einkommen zu bemessen (Senatsbeschluss vom 18. Januar 2012 - XII ZB 696/10 - [...]).

Im Ansatz zutreffend geht die Rechtsbeschwerde zwar davon aus, dass bei der Grundbewertung beitragsfreier oder beitragsgeminderter Zeiten nach §§ 71 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1, 72 Abs. 1 SGB VI für jeden Kalendermonat Entgeltpunkte in der Höhe zugrunde gelegt werden, die sich ergeben, wenn die Summe der Entgeltpunkte für Beitragszeiten und Berücksichtigungszeiten durch die Anzahl der belegungsfähigen Monate geteilt wird. Für Ausbildungszeiten ist die Gesamtleistungsbewertung nach § 74 Satz 1, 2 SGB VI zudem auf 75 % dieser Beträge begrenzt und darf 0,0625 Entgeltpunkte pro Kalendermonat nicht übersteigen.

Unterhalb dieser Höchstgrenze ergibt sich der Durchschnittswert für die Grundbewertung auch aus der nachehelichen Entwicklung des Versicherungsverlaufs und der nachehelich erzielten Einkommenshöhe. Die rentenrechtliche Bewertung der beitragsgeminderten Zeiten ist mithin von individuellen nachehelichen Umständen des Versicherten abhängig. Dabei handelt es sich also nicht lediglich um Umstände, die nachehelich auf die individuell erreichte ehezeitliche Versorgung zurückwirken, sondern um nachehezeitliche Veränderungen, die auf der Höhe des nachehelich erzielten Einkommens beruhen und insoweit keinen Bezug zur Ehezeit haben (vgl. auch BT-Drucks. 16/10144 S. 80).

Im Rahmen des Versorgungsausgleichs ist bei der Ermittlung der ehezeitlichen Entgeltpunkte für beitragsfreie und betragsgeminderte Zeiten im Wege der Gesamtleistungsbewertung nach den §§ 71 ff. SGB VI grundsätzlich von einem Rentenbeginn zum Zeitpunkt des Endes der Ehezeit auszugehen (BT-Drucks. 11/4124 S. 234; Borth Versorgungsausgleich 6. Aufl. Rn. 340). Eine Berücksichtigung individueller nachehelicher Umstände würde nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, die sich der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzes zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs ausdrücklich zu Eigen gemacht hat (BT-Drucks. 16/10144 S. 49), gegen das Stichtagsprinzip des § 5 Abs. 2 Satz 1 VersAusglG verstoßen und zwar unabhängig davon, dass bis zum Eintritt des Versicherungsfalles ohnehin mit weiteren Veränderungen in der rentenrechtlichen Bewertung beitragsgeminderter Zeiten zu rechnen ist (a.A. MünchKommBGB/Dörr 5. Aufl. § 225 FamFG Rn. 15).

Zu Recht hat das Oberlandesgericht deswegen im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung nach den §§ 71 ff. SGB VI nur die bis zum Ende der Ehezeit erzielten Entgeltpunkte für Beitragszeiten und Berücksichtigungszeiten zugrunde gelegt. Weil eine Berücksichtigung des nachehelichen Versicherungsverlaufs bei der Gesamtleistungsbewertung gegen das Stichtagsprinzip des § 5 Abs. 2 VersAusglG verstoßen würde, ist auch in einem späteren Abänderungsverfahren nach den §§ 225 f. FamFG nur von den ehezeitlichen Durchschnittswerten auszugehen (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Januar 2012 - XII ZB 696/10 - [...]).

b) Zu beanstanden ist im vorliegenden Fall allerdings, dass das Oberlandesgericht bei der Bemessung der Ehezeitanteile beider Ehegatten in der gesetzlichen Rentenversicherung, in Übereinstimmung mit den erteilten Rentenauskünften, für die Jahre 2004 und 2005 als vorletztem und letztem Kalenderjahr vor Ende der Ehezeit von den vorläufigen Durchschnittsentgelten in Höhe von 29.428 € und 29.569 € (vgl. Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2004 vom 9. Dezember 2003 BGBl. I S. 2497 = FamRZ 2004, 157 und Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2005 vom 29. November 2004 BGBl. I S. 3098 = FamRZ 2005, 160) und nicht von dem endgültigen Durchschnittsentgelt in Höhe von 29.060 € und 29.202 € (vgl. Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2006 vom 21. Dezember 2005, BGBl. I S. 3627 = FamRZ 2006, 170 und Sozialversicherungs-Rechengrößengesetz 2007 vom 2. Dezember 2006, BGBl. I S. 2746 = FamRZ 2007, 259) ausgegangen ist.

aa) Nach § 5 Abs. 1 VersAusglG berechnet der Versorgungsträger den Ehezeitanteil eines auszugleichenden Anrechts in Form der für das jeweilige Versorgungssystem maßgeblichen Bezugsgröße, insbesondere also in Form von Entgeltpunkten, eines Rentenbetrags oder eines Kapitalwerts (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages BT-Drucks. 16/11903 S. 53). In der gesetzlichen Rentenversicherung sind nach §§ 63 , 64 Nr. 1 SGB VI Entgeltpunkte die maßgebliche Bezugsgröße (vgl. Senatsbeschluss vom 30. November 2011 - XII ZB 344/10 - FamRZ 2012, 192 Rn. 24).

Für Beitragszeiten werden nach § 70 Abs. 1 SGB VI Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt für dasselbe Kalenderjahr geteilt wird. Für das Kalenderjahr des Rentenbeginns und für das davor liegende Kalenderjahr wird als Durchschnittsentgelt der Betrag zugrunde gelegt, der für diese Kalenderjahre vorläufig bestimmt ist. Der Regelung liegt zugrunde, dass das Durchschnittsentgelt aller Versicherten für das Jahr, in dem der Versicherungsfall eintritt, bei der Rentenfestsetzung in diesem Jahr noch nicht feststeht. Gleiches kann hinsichtlich des Durchschnittsentgelts für das Vorjahr gelten. Entsprechend sind nach § 69 Abs. 2 SGB VI durch Rechtsverordnung neben den Durchschnittsentgelten für das vergangene Kalenderjahr jeweils auch die vorläufigen Durchschnittsentgelte für das folgende Kalenderjahr zu bestimmen. Danach bestimmt der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls neben der Bemessungsgrundlage auch das Vergleichsentgelt für die letzten zwei Kalenderjahre (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Oktober 1990 - XII ZB 6/87 - FamRZ 1991, 173 f.).

bb) Diese Vorschrift ist auch im Versorgungsausgleich für die Berechnung der Rentenanrechte im Wege der unmittelbaren Bewertung nach den §§ 39 Abs. 2 Nr. 1 , 43 Abs. 1 VersAusglG grundsätzlich maßgebend. Dabei gilt als Zeitpunkt des Versicherungsfalles das Ende der sich aus § 3 Abs. 1 Vers-AusglG ergebenden Ehezeit (vgl. schon BT-Drucks. 11/4124 S. 234; Borth Versorgungsausgleich 6. Aufl. Rn. 340). Von diesem Zeitpunkt hängt somit auch ab, welche Durchschnittsentgelte aller Versicherten in den letzten zwei Kalenderjahren vor diesem Zeitpunkt zugrunde zu legen sind. Denn wie im Rahmen der Rentenfestsetzung werden auch bei der Berechnung im Rahmen eines Erstverfahrens über den Versorgungsausgleich die Durchschnittsentgelte für die letzten zwei Kalenderjahre oft noch nicht bekannt sein. Gleichwohl muss schon eine Entscheidung über den Versorgungsausgleich bei der Scheidung möglich sein, weil über ihn gemäß § 137 Abs. 1 FamFG grundsätzlich zugleich mit der Ehesache zu entscheiden ist. § 70 Abs. 1 SGB VI ist deswegen grundsätzlich auch im Rahmen des Versorgungsausgleichs anzuwenden und führt im Erstverfahren regelmäßig zur Berücksichtigung des vorläufigen Durchschnittsentgelts für die letzten zwei Kalenderjahre vor dem Ende der Ehezeit (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Januar 2012 - XII ZB 696/10 - [...]).

cc) Etwas anderes gilt in besonders gelagerten Einzelfällen des Erstverfahrens (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Januar 2012 - XII ZB 696/10 - [...] Rn. 34 ff.).

War das Verfahren zum Versorgungsausgleich über längere Zeit ausgesetzt und müssen nach der Wiederaufnahme ohnehin neue Auskünfte eingeholt werden, liegt es nahe, auch insoweit von bereits festgesetzten endgültigen Durchschnittsentgelten auszugehen. Auf der Grundlage der genannten praktischen Erwägungen und aus Gründen der Rechtssicherheit gilt dies aber nur dann, wenn bei der Wiederaufnahme für die beiden letzten Jahre vor dem Ende der Ehezeit bereits die endgültigen Durchschnittsentgelte festgesetzt sind. Ist dies teilweise noch nicht der Fall, bleibt es bei der auf den genannten Erwägungen beruhenden Berücksichtigung der beiden vorläufigen Durchschnittsentgelte im Erstverfahren über den Versorgungsausgleich.

d) Auf dieser rechtlichen Grundlage sind im vorliegenden Fall anstelle der vorläufigen die endgültigen Durchschnittsentgelte für die beiden letzten Jahre vor dem Ende der Ehezeit zugrunde zu legen, welche im Zeitpunkt der Aufnahme des Verfahrens bereits festgesetzt waren. In Anbetracht der neu einzuholenden Versorgungsauskünfte kann der Senat nicht in der Sache abschließend entscheiden, weshalb eine Zurückverweisung an das Oberlandesgericht geboten ist.

Vorinstanz: AG Hannover, vom 10.09.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 607 F 2187/05
Vorinstanz: OLG Celle, vom 20.06.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 10 UF 254/10
Fundstellen
FamFR 2012, 229
FamRB 2012, 173
FamRZ 2012, 847
FuR 2012, 432
MDR 2012, 585
NJW 2012, 1661
NJW-RR 2012, 641
NZS 2012, 507