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BGH - Entscheidung vom 22.08.2012

EnVR 53/10

Normen:
ARegV § 34 Abs. 3
StromNEV § 3 Abs. 1 S. 5 2. Hs.

BGH, Beschluss vom 22.08.2012 - Aktenzeichen EnVR 53/10

DRsp Nr. 2012/18465

Berücksichtigung gestiegener Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie bei der Ermittlung des Ausgangsniveaus zur Bestimmung der Erlösobergrenzen durch die Bundesnetzagentur

1. Bei der Genehmigung der Netzentgelte auf der Grundlage von § 23a EnWG sind die Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie im Fall gesicherter Erkenntnisse auch mit Planwerten im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StromNEV in Ansatz zu bringen (vgl. BGH vom 14. August 2008 - KVR 36/07, RdE 2008, 337 Rn. 9 ff. - Stadtwerke Trier).2. Hat die Regulierungsbehörde im Rahmen der Kostenprüfung der letzten Genehmigung der Netzentgelte nach § 23a EnWG die Berücksichtigung solcher Plankosten - zu Unrecht - mit der Begründung abgelehnt, dass § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StromNEV von § 10 StromNEV verdrängt werde, darf sie das Ergebnis dieser Kostenprüfung nicht unverändert übernehmen, sondern muss bei der Ermittlung des Ausgangsniveaus zur Bestimmung der Erlösobergrenzen nach § 34 Abs. 3 ARegV die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StromNEV prüfen (vgl. BGH vom 31. Januar 2012 - EnVR 16/10, RdE 2012, 203 Rn. 12 [BGH 31.01.2012 - EnVR 16/10] - Gemeindewerke Schutterwald). Geltend gemachte Plankosten für die Beschaffung von Verlustenergie im Jahr 2007 sind daher auf ihre sachliche Berechtigung zu prüfen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur gegen den Beschluss des Kartellsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 25. März 2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Bundesnetzagentur die Betroffene auch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden hat.

Die Kosten und Auslagen des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden der Bundesnetzagentur zu 2/3 und der Betroffenen zu 1/3 auferlegt.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird für die Zeit bis zum 26. Juli 2012 auf 850.000 € und für die Zeit danach auf 600.000 € festgesetzt.

Normenkette:

ARegV § 34 Abs. 3; StromNEV § 3 Abs. 1 S. 5 2. Hs.;

Gründe

I.

Die Betroffene betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz. Mit Bescheid vom 29. November 2007 erhielt sie eine auf den Daten des Geschäftsjahres 2004 beruhende und später bis zum 31. Dezember 2008 verlängerte Genehmigung der Entgelte für den Netzzugang gemäß § 23a EnWG . Für die Folgezeit wurde der Betroffenen die Teilnahme am vereinfachten Verfahren der Anreizregulierung gemäß § 24 ARegV genehmigt.

Mit Beschluss vom 22. Dezember 2008 legte die Bundesnetzagentur die einzelnen Erlösobergrenzen für die Jahre 2009 bis 2013 niedriger als von der Betroffenen begehrt fest. Sie begründete dies im Rahmen der Ermittlung des Ausgangsniveaus nach § 34 Abs. 3 ARegV unter anderem mit Kürzungen bei der Eigenkapitalverzinsung und der kalkulatorischen Gewerbesteuer sowie der fehlenden Berücksichtigungsfähigkeit von Plankosten für die Beschaffung von Verlustenergie; insoweit lehnte sie auch den Antrag auf Anerkennung eines Härtefalls nach § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ARegV ab. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Beschwerdegericht den Beschluss aufgehoben und die Bundesnetzagentur verpflichtet, die Erlösobergrenzen unter Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung neu zu bestimmen.

Hiergegen richtet sich die -vom Beschwerdegericht zugelassene -Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur. Im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Bundesnetzagentur die Rechtsbeschwerde in Bezug auf die Positionen Eigenkapitalverzinsung und kalkulatorische Gewerbesteuer zurückgenommen. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

II.

Die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur hat nur teilweise Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass die Bundesnetzagentur für die Bestimmung des Ausgangsniveaus der Erlösobergrenzen für die erste Regulierungsperiode nicht an das Ergebnis der Kostenprüfung der letzten - bestandskräftigen - Entgeltgenehmigung gebunden war. Vielmehr hätte sie im Rahmen der § 6 Abs. 2, § 34 Abs. 3 ARegV Vorgaben, die überholt seien oder deren Unrichtigkeit zwischenzeitlich erkannt worden sei, ändern müssen. Dies gebiete unter anderem das Konzept der energiewirtschaftlichen Regulierung, wonach die Bedingungen und Entgelte wettbewerblich und angemessen sein müssten. Dementsprechend komme eine Berücksichtigung der gestiegenen Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie in Betracht, weil bei der Betroffenen von einer erheblichen, weit über der Inflationsrate liegenden Kostensteigerung für den Zeitraum von 2004 (3,66 ct/kWh) über 2007 (5,90 ct/kWh) und 2008 (6,285 ct/kWh) bis 2009 (7,732 ct/kWh) auszugehen sei. Ob deshalb eine Anpassung des Ausgangsniveaus vorzunehmen sei, habe die Bundesnetzagentur nach näherer Sachverhaltsaufklärung neu zu entscheiden. Aufgrund dessen bedürfe es keiner Entscheidung über die Ablehnung des Härtefallantrags.

2. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung in Ergebnis und Begründung nur zum Teil stand.

Wie der Senat mit Beschluss vom 18. Oktober 2011 (EnVR 13/10, N&R 2012, 94 Rn. 7 f. - PVU Energienetze GmbH) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist - was auch die Rechtsbeschwerde nicht mehr in Abrede stellt - bei der Ermittlung des Ausgangsniveaus zur Bestimmung der Erlösobergrenzen nach § 34 Abs. 3 ARegV die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung und Anwendung der Stromnetzentgeltverordnung zu berücksichtigen. Die unveränderte Übernahme des Ergebnisses der Kostenprüfung der letzten - bestandskräftigen - Entgeltgenehmigung ist rechtsfehlerhaft, soweit diese zu jener Rechtsprechung in Widerspruch steht.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts führt dies aber nicht dazu, dass Kostensteigerungen für die Beschaffung von Verlustenergie ohne Rücksicht auf die Angaben der Betroffenen in den vorangegangenen Entgeltgenehmigungsverfahren berücksichtigt werden können. Im Grundsatz ist von der Datengrundlage des Jahres 2006 oder eines früheren Geschäftsjahres auszugehen (§ 6 Abs. 2, § 34 Abs. 3 Satz 1 ARegV). Nach der Rechtsprechung des Senats sind bei der Genehmigung der Netzentgelte auf der Grundlage von § 23a EnWG die Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie im Fall gesicherter Erkenntnisse auch mit Planwerten im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StromNEV in Ansatz zu bringen (vgl. Senatsbeschluss vom 14. August 2008 - KVR 36/07, RdE 2008, 337 Rn. 9 ff. - Stadtwerke Trier). Hat die Regulierungsbehörde im Rahmen der Kostenprüfung der letzten Genehmigung der Netzentgelte nach § 23a EnWG die Berücksichtigung solcher Plankosten - zu Unrecht - mit der Begründung abgelehnt, dass § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StromNEV von § 10 StromNEV verdrängt werde, darf sie das Ergebnis dieser Kostenprüfung nicht unverändert übernehmen, sondern muss bei der Ermittlung des Ausgangsniveaus zur Bestimmung der Erlösobergrenzen nach § 34 Abs. 3 ARegV die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StromNEV prüfen (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Januar 2012 - EnVR 16/10, RdE 2012, 203 Rn. 12 - Gemeindewerke Schutterwald).

Aufgrund dessen hätte die Bundesnetzagentur die von der Betroffenen geltend gemachten Plankosten für die Beschaffung von Verlustenergie im Jahr 2007 auf ihre sachliche Berechtigung prüfen müssen. Dies hat sie bislang nicht getan. In dem Bescheid vom 29. November 2007 hat die Bundesnetzagentur die Berücksichtigung der von der Betroffenen angemeldeten Plankosten für die Beschaffung von Verlustenergie mit dem Hinweis auf die Unanwendbarkeit des § 3 StromNEV abgelehnt und lediglich einen Mittelwert der Ist-Kosten des Jahres 2004 und der Beschaffungskosten des Jahres 2005 angesetzt (S. 7, 25 des Bescheids). In dem angefochtenen Beschluss vom 22. Dezember 2008 hat die Bundesnetzagentur eine Berücksichtigung der von der Betroffenen erneut angemeldeten Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie wegen der Bestandskraft des Bescheids vom 29. November 2007 verneint und deshalb die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StromNEV, insbesondere das Vorliegen gesicherter Erkenntnisse, nicht geprüft. Hierzu hat auch das Beschwerdegericht keine Feststellungen getroffen. Aufgrund dessen ist für die Rechtsbeschwerdeinstanz von dem Vorbringen der Betroffenen auszugehen, die von ihr geltend gemachten Plankosten entsprächen sicheren Erkenntnissen im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StromNEV (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 7. April 2009 - EnVR 6/08, RdE 2010, 25 Rn. 8 - Verteilnetzbetreiber Rhein-Main-Neckar). Soweit die Bundesnetzagentur das Vorliegen gesicherter Erkenntnisse in ihrem Schriftsatz vom 16. Juli 2012 in Abrede stellt, kann sie damit im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht gehört werden, sondern muss dies - wie auch gegebenenfalls die Voraussetzungen des Härtefallantrags der Betroffenen, wozu das Beschwerdegericht ebenfalls keine Feststellungen getroffen hat - im weiteren Verfahren prüfen.

III.

Der Senat verweist die Sache nicht an das Beschwerdegericht zurück. Die noch offenen Fragen des angefochtenen Bescheids vom 22. Dezember 2008 können durch die Bundesnetzagentur in dem neu eröffneten Verwaltungsverfahren entschieden werden. Für die Neubescheidung ist der rechtliche Rahmen durch die Entscheidungen des Beschwerdegerichts und des Senats vorgegeben.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 EnWG .

Der Streitwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens richtet sich gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG i.V.m. § 3 ZPO nach dem wirtschaftlichen Interesse der Betroffenen an einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Dies bemisst sich grundsätzlich nach der Differenz zwischen den nach der - im Rechtsbeschwerdeverfahren vertretenen - Auffassung der Betroffenen anzusetzenden Erlösobergrenzen und den von der Regulierungsbehörde festgesetzten Erlösobergrenzen für sämtliche Jahre der Regulierungsperiode (vgl. Senat, Beschlüsse vom 7. April 2009 - EnVR 6/08, RdE 2010, 25 Rn. 54 - Verteilnetzbetreiber Rhein-Main-Neckar und vom 30. März 2011 - EnVR 51/10, [...], Rn. 2).

Vorinstanz: OLG Schleswig, vom 25.03.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 16 Kart 51/09