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BGH - Entscheidung vom 31.05.2012

V ZB 27/12

Normen:
ZPO § 234 Abs. 2
ZPO § 236 Abs. 2 S. 2

Fundstellen:
NJW-RR 2012, 1204

BGH, Beschluss vom 31.05.2012 - Aktenzeichen V ZB 27/12

DRsp Nr. 2012/14399

Beginn der Wiedereinsetzungsfrist für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Wegfall des Unverschuldens hinsichtlich des Fortbestehens der Ursache der Verhinderung

1. Ein Gebührenfestsetzungsantrag stellt keine Berufungseinlegung dar. 2. Einem Rechtsanwalt obliegt die Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das von der Kanzleikraft notierte Fristende richtig ermittelt und eingetragen worden ist, wenn ihm die Akten zur Bearbeitung vorgelegt werden. Diese Prüfung muss aber nicht sofort erfolgen, weil eine Vorfrist gerade den Sinn hat, dem Rechtsanwalt einen gewissen Spielraum zur Bearbeitung bis zum endgültigen Ablauf der Frist zu verschaffen. Sie kann daher auch noch am folgenden Tag vorgenommen werden. 3. Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Ein Hindernis ist nicht erst bei Kenntnis des wahren Sachverhalts entfallen; vielmehr ist es auch behoben, sobald das Fortbestehen der Ursache der Verhinderung nicht mehr unverschuldet ist . 4. Nimmt ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter, nachdem ihm die Akte aufgrund einer notierten Vorfrist zur Bearbeitung vorgelegt worden ist, nicht spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag eine Kontrolle der von seinem Angestellten eingetragenen Fristen vor und versäumt er damit die Feststellung, dass die Berufungseinlegungsfrist bereits abgelaufen ist, liegt ein Anwaltsverschulden vor, das sich der Mandant zurechnen lassen muss.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 20. Dezember 2011 wird auf Kosten des Beklagten mit der Maßgabe als unzulässig verworfen, dass der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist verworfen wird.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt bis 65.000 €.

Normenkette:

ZPO § 234 Abs. 2 ; ZPO § 236 Abs. 2 S. 2;

Gründe

I.

Der Beklagte ist von dem Landgericht zur Herausgabe eines Oldtimers verurteilt worden. Innerhalb der Berufungsfrist beantragte er für die beabsichtigte Berufung die Gewährung von Prozesskostenhilfe, die das Oberlandesgericht ihm mit am 23. September 2011 zugestelltem Beschluss bewilligte. Am 29. September 2011 stellte der beigeordnete Prozessbevollmächtigte des Beklagten bei der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts den Antrag, ihm die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Gebühren des Berufungsverfahrens zu erstatten. Am 13. Oktober 2011 gingen die Berufung und die Berufungsbegründung des Beklagten bei dem Oberlandesgericht ein. Nach einem Hinweis des Vorsitzenden, dass die Berufung bis zum 7. Oktober 2011 hätte eingelegt werden müssen, hat der Beklagte, der diese Auffassung nicht teilte, mit einem am 28. Oktober 2011 eingegangenen Schriftsatz hilfsweise die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist beantragt. Er hat vorgetragen, dass sein Prozessbevollmächtigter die Fristen korrekt errechnet habe, bei Eintragung der Daten durch dessen sonst stets gewissenhaften Kanzleiangestellten aber fehlerhaft der 7. Oktober 2011 als Vorfrist und der 14. Oktober 2011 als Fristablauf notiert worden sei. Bei Vorlage der Handakte am 7. Oktober 2011 habe der Prozessbevollmächtigte geringfügige Änderungen an der schon gefertigten Berufungsschrift verfügt. Am nächsten Arbeitstag sei sie dann in den Postlauf gegeben worden.

Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist verworfen, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat der Beklagte die versäumte Prozesshandlung, die Berufungseinlegung, nicht innerhalb der mit der Zustellung des Prozesskostenhilfebeschlusses beginnenden zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist vorgenommen. Die beantragte Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist sei nicht zu gewähren, da die Frist nicht unverschuldet versäumt worden sei. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe es pflichtwidrig unterlassen, bei Vorlage der Handakten am 7. Oktober 2011 die Fristen zu überprüfen. Hätte er dies getan, wäre ihm der Fehler aufgefallen, und er hätte noch am selben Tag die Berufungsschrift fristwahrend per Fax an das Oberlandesgericht senden können.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Sie ist jedoch nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO erfordert nicht eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert.

1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Beklagte die Frist für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist versäumt hat. Die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist begann mit der Zustellung des Prozesskostenhilfebeschlusses (§ 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO ) und endete mit Ablauf des 7. Oktober 2011. Nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO die versäumte Prozesshandlung - hier die Berufungseinlegung - nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Die Berufung des Beklagten ist aber erst am 13. Oktober 2011, also nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist eingelegt worden. Entgegen der Auffassung des Beklagten stellt der am 29. September 2011 von seinem Prozessbevollmächtigten gestellte Gebührenfestsetzungsantrag keine Berufungseinlegung dar. Dies folgt - neben den völlig unterschiedlichen Zielrichtungen von Rechtsmitteleinlegung und Vergütungsantrag - schon daraus, dass der Anwalt einen Antrag auf Festsetzung der ihm aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung nur im eigenen Namen stellt.

2. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht auch die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist (vgl. § 233 ZPO ) versagt.

a) Allerdings trifft den Prozessbevollmächtigten des Beklagten kein Verschulden an der Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist. Zwar nimmt das Berufungsgericht zutreffend an, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einem Rechtsanwalt die Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung obliegt, ob das von der Kanzleikraft notierte Fristende richtig ermittelt und eingetragen worden ist, wenn ihm die Akten - wie hier auf Vorfrist - zur Bearbeitung vorgelegt werden (vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. Juni 2008 VI ZB 2/08, NJW 2008, 3439 , 3440, mwN). Diese Prüfung muss aber nicht sofort erfolgen, weil die Vorfrist gerade den Sinn hat, dem Rechtsanwalt einen gewissen Spielraum zur Bearbeitung bis zum endgültigen Ablauf der Frist zu verschaffen. Sie kann daher auch noch am folgenden Tag vorgenommen werden (BGH, Beschluss vom 10. Juni 2008 - VI ZB 2/08, NJW 2008, 3439 , 3440; Beschluss vom 24. Oktober 2001 - VIII ZB 19/01, VersR 2002, 1391 , jeweils mwN). Es kann daher nicht beanstandet werden, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am Tag der Aktenvorlage, dem 7. Oktober 2011, die Frist nicht sofort überprüft hat. Dass er die notwendige Überprüfung am folgenden Arbeitstag möglicherweise ebenfalls nicht vorgenommen und die fehlerhafte Fristnotierung nicht bemerkt hat, muss außer Betracht bleiben. Denn dies ist für die Fristversäumung nicht ursächlich geworden, da zu diesem Zeitpunkt die Frist bereits abgelaufen war.

Ein Organisations- und Überwachungsverschulden ist dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht anzulasten. Der Beklagte hat glaubhaft gemacht, dass dieser seinen Pflichten zur Kontrolle seines ihm als zuverlässig bekannten Kanzleimitarbeiters nachgekommen ist.

b) Der Beklagte hat jedoch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist nicht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO gestellt.

Nach § 234 Abs. 2 ZPO beginnt die Wiedereinsetzungsfrist mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Ein Hindernis ist nicht erst bei Kenntnis des wahren Sachverhalts entfallen; vielmehr ist es auch behoben, sobald das Fortbestehen der Ursache der Verhinderung nicht mehr unverschuldet ist (BGH, Beschluss vom 16. September 2003 - X ZR 37/03, NJW-RR 2004, 282 , 283, mwN). Hier hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten, nachdem ihm die Akte aufgrund der notierten Vorfrist zur Bearbeitung vorgelegt worden war, spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag eine Kontrolle der von seinem Angestellten eingetragenen Fristen vornehmen und damit jedenfalls am Montag, dem 10. Oktober 2011, als die Berufung in den Postauslauf gegeben wurde, erkennen müssen, dass die Berufungseinlegungsfrist bereits abgelaufen war (vgl. BGH, aaO). Ab diesem Zeitpunkt war das Hindernis somit behoben, und die Zwei-Wochen-Frist des § 234 ZPO begann zu laufen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist ist jedoch nicht innerhalb der am 24. Oktober 2011 endenden Frist gestellt worden, sondern ging erst am 28. Oktober 2011 ein.

3. Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten wegen Versäumung der Berufungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO .

Vorinstanz: LG Stendal, vom 25.05.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 23 O 369/09
Vorinstanz: OLG Naumburg, vom 20.12.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 2 U 57/10
Fundstellen
NJW-RR 2012, 1204