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BGH - Entscheidung vom 31.05.2012

V ZB 51/11

Normen:
AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1
FamFG § 417 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 31.05.2012 - Aktenzeichen V ZB 51/11

DRsp Nr. 2012/14400

Anforderungen an die Begründung eines Haftantrags zur Sicherung einer Abschiebung im Hinblick auf das notwendige Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft

1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags zur Abschiebung ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden. 2. Wenn sich aus dem Haftantrag oder den beigefügten Unterlagen ergibt, dass gegen einen Ausländer ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, muss angegeben werden, dass die zuständige Staatsanwaltschaft ihr Einvernehmen mit der Abschiebung des Ausländers erteilt hat. Ohne das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft darf die Sicherungshaft nicht angeordnet werden. Das Fehlen entsprechender Ausführungen führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags. Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft ist auch dann erforderlich, wenn der Ausländer nach unerlaubter Einreise zurückgeschoben werden soll. 3 Es ist unerheblich, ob die Staatsanwaltschaft nichts anderes als ihr Einvernehmen zur Zurückschiebung hätte erklären können. Maßstab für die Zulässigkeit des Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht eines Ausländers ist allein die Gesetzeslage, die das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vorschreibt. 4. Es ist auch ohne Bedeutung, dass ein Verfahrensbevollmächtigter noch vor der Entscheidung des Beschwerdegerichts Kenntnis von einer Zustimmung der Staatsanwaltschaft erhielt. Das im Beschwerdeverfahren erteilte Einvernehmen der Staatsanwaltschaft kann allerdings dazu führen, dass der Haftantrag ex nunc zulässig wird, wenn die Behörde ihr Vorbringen im Hinblick auf das nunmehr vorliegende Einvernehmen der Staatsanwaltschaft ergänzt und der Betroffene gegenüber dem Beschwerdegericht dazu Stellung nehmen kann.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 24. Februar 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als er zu dessen Nachteil ergangen ist.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Nordhorn vom 16. Dezember 2010 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1; FamFG § 417 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein guineischer Staatsangehöriger, reiste am 16. Dezember 2010 mit einem Bus aus den Niederlanden kommend in das Bundesgebiet ein. Bei einer Überprüfung in Grenznähe durch Beamte der Beteiligten zu 2 (Bundespolizei) wurde der Betroffene, der weder über einen gültigen Reisepass noch über einen Titel für den Aufenthalt im Bundesgebiet verfügte, festgenommen.

Eine Eurodac-Abfrage anhand der Fingerabdrücke ergab, dass der Betroffene im Jahre 2007 in Griechenland und im Jahre 2010 in der Schweiz Asylanträge gestellt hatte.

Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht Haft für drei Monate (vom 16. Dezember 2010 bis zum 15. März 2011) zur Sicherung einer Zurückschiebung des Betroffenen nach Griechenland gemäß Art. 16 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-Verordnung) angeordnet. Der Betroffene hat in der Haft einen Antrag auf Gewährung von Asyl durch die Bundesrepublik Deutschland gestellt. Gegen die Haftanordnung hat der Betroffene Beschwerde eingelegt, die sich in der Hauptsache durch seine Haftentlassung am 19. Januar 2011 erledigt hat. Diese ist vor dem Hintergrund erfolgt, dass das Bundesministerium des Innern mit Schreiben vom 13. Januar 2011 (AZ M I 5 - 125 470-8 GRC) das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angewiesen hat, vorläufig bis zum 13. Januar 2012 in Fällen der Überstellung nach Griechenland von dem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Dublin II-Verordnung Gebrauch zu machen und die Betroffenen nicht nach Griechenland zu überstellen.

Dem Feststellungsantrag des Betroffenen hat das Beschwerdegericht nur insoweit stattgegeben, als es festgestellt hat, dass die Inhaftierung über den 13. Januar 2011 hinaus den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Den weitergehenden Feststellungsantrag hat es zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Das Beschwerdegericht meint, dass nur die weitere Inhaftierung nach dem 13. Januar 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt habe; Anordnung und Vollzug der Haft bis zu diesem Zeitpunkt seien dagegen rechtmäßig gewesen.

Die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung habe angeordnet werden dürfen, weil der Betroffene unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist sei und auch nicht glaubhaft gemacht habe, dass er sich einer Zurückschiebung nicht entziehen wolle. Die Anordnung einer Haftdauer von drei Monaten sei erforderlich gewesen, da bekannt sei, dass Zurückschiebungen nach Griechenland diesen Zeitraum in Anspruch nehmen könnten.

Es liege auch kein relevanter Verstoß gegen § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vor. Die zuständige Staatsanwaltschaft habe am 4. Januar 2011 ihr Einvernehmen mit der Zurückschiebung erklärt. Eine anderslautende Erklärung habe sie auch nicht abgeben können, da es für die Staatsanwaltschaft nach der illegalen Einreise des Betroffenen keinen Ermessenspielraum gegeben habe, ausländerrechtliche Maßnahmen zu verhindern. Der Erlass eines Untersuchungshaftbefehls wäre unverhältnismäßig gewesen. Angesichts der eindeutigen Sachlage wäre die Beteiligte zu 2 nur dann verpflichtet gewesen, sofort die Zustimmung der Staatsanwaltschaft einzuholen, wenn Anhaltspunkte vorgelegen hätten, dass der Zurückschiebung strafprozessuale Maßnahmen entgegenstehen könnten, was hier nicht der Fall gewesen sei.

III.

1. Die Rechtsbeschwerde mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ist ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthaft (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360). Daran ändert es nichts, dass bereits das Beschwerdegericht über den Feststellungsantrag entschieden hat und im Rechtsbeschwerdeverfahren die Überprüfung dieser Entscheidung verlangt wird (Senat, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 4; vom 28. April 2011 - V ZB 292/10, Rn. 9, [...] und vom 6. Oktober 2011 - V ZB 314/10, FGPrax 2012, 44 Rn. 5). Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist in diesem Fall die Entscheidung des Beschwerdegerichts, wobei inzident auch die Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung zu prüfen ist (Senatsbeschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, aaO).

2. Das im Übrigen gemäß § 71 FamFG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist rechtsfehlerhaft. Dem Feststellungsantrag ist insgesamt stattzugegeben. Der Betroffene ist bereits durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden, da die Haft zur Sicherung seiner Zurückschiebung schon wegen Fehlens eines den Begründungsanforderungen in § 417 Abs. 2 FamFG entsprechenden Haftantrags nicht hätte angeordnet werden dürfen.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, Rn. 12 mwN, [...]; Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, Rn. 8 mwN, [...]).

b) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht einen Verstoß gegen § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG . Danach hat die Begründung des Haftantrags die Tatsachen zur Durchführbarkeit der Abschiebung zu enthalten.

aa) Dazu ist - wenn sich aus dem Haftantrag oder den beigefügten Unterlagen ergibt, dass gegen den Ausländer ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist - auszuführen, dass die zuständige Staatsanwaltschaft ihr Einvernehmen mit der Abschiebung des Ausländers gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erteilt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Februar 2011 V ZB 224/10, FGPrax 2011, 148 , 149 Rn. 7). Ohne das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft darf die Sicherungshaft nicht angeordnet werden. Das Fehlen entsprechender Ausführungen führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 9; vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, FGPrax 2011, 148 ff. und vom 29. September 2011 - V ZB 61/11, Rn. 5, [...] - std. Rspr.). Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft ist auch dann erforderlich, wenn - wie hier - der Ausländer nach unerlaubter Einreise zurückgeschoben werden soll (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, FGPrax 2011, 146 Rn. 13 ff.).

bb) Danach war der Haftantrag unzulässig, da sich aus den beigefügten Unterlagen die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Betroffenen ergab, weil die Beteiligte zu 2 Strafanzeige wegen des Verdachts einer Straftat nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG (unerlaubte Einreise in das Bundesgebiet) gestellt und den Betroffenen als Beschuldigten vernommen hatte.

Grundsätzlich verfehlt ist die auf die Ausführungen der Beteiligten zu 2 gestützte Begründung des Beschwerdegerichts, dass allenfalls ein für die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung irrelevanter Verstoß gegen § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vorliege, weil die Staatsanwaltschaft bei der vorliegenden Sachlage nichts anderes als ihr Einvernehmen zur Zurückschiebung habe erklären können. Maßstab für die Zulässigkeit des Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht des Ausländers ist allein die Gesetzeslage, die in § 74 Abs. 1 Satz 1 AufenthG das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vorschreibt (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, FGPrax 2011, 148 , 150 Rn. 17). Die Erteilung des Einvernehmens bedeutet eine Entscheidung der zuständigen Staatsanwaltschaft, welche diese nach pflichtgemäßen Ermessen zu treffen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 93/10, NVwZ 2010, 1574 Rn. 9). Dem Haftrichter ist es schon wegen der aus Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden strikten Gesetzesbindung jeder Freiheitsentziehung untersagt, nach Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Betroffenen Sicherungshaft nach § 62 AufenthG anzuordnen, solange die zuständige Staatsanwaltschaft der von der Ausländerbehörde beabsichtigten Maßnahme nicht zugestimmt hat.

cc) Für die Entscheidung ist es auch ohne Bedeutung, dass der Verfahrensbevollmächtigte noch vor der Entscheidung des Beschwerdegerichts Kenntnis von der am 4. Januar 2011 von der Staatsanwaltschaft gegenüber der Beteiligten zu 2 erteilten Zustimmung zu einer Zurückschiebung des Betroffenen erhielt. Das im Beschwerdeverfahren erteilte Einvernehmen der Staatsanwaltschaft kann allerdings dazu führen, dass der Haftantrag (ex nunc) zulässig wird, wenn die Behörde ihr Vorbringen im Hinblick auf das (nunmehr) vorliegende Einvernehmen der Staatsanwaltschaft ergänzt und der Betroffene gegenüber dem Beschwerdegericht dazu Stellung nehmen kann (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360; vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10 Rn. 13, [...]; vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11, Rn. 11, [...] und vom 29. September 2011 - V ZB 61/11, Rn. 8, [...] - std. Rspr.).

Darauf kommt es in diesem Fall jedoch deshalb nicht an, weil ausweislich der Verfügung des Berichterstatters die Akten (einschließlich der Strafakte, in der sich der Vermerk über die Mitteilung des Einverständnisses der Staatsanwaltschaft befand) erst am 13. Januar 2011 an den Verfahrensbevollmächtigten mit einer Frist zur Stellungnahme übersandt wurden, von diesem Zeitpunkt an jedoch ein weiterer Vollzug der Haft - wie von dem Beschwerdegericht festgestellt - schon auf Grund des sich aus dem Schreiben des Bundesministeriums des Innern über die Aussetzung von Zurückschiebungen nach Griechenland ergebenden Abschiebungshindernisses rechtswidrig war.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 , § 83 Abs. 2 , § 430 FamFG , § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO . Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland zur Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.

Vorinstanz: AG Nordhorn, vom 16.12.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 11 XIV 4436 B
Vorinstanz: LG Osnabrück, vom 24.02.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 11 T 4/11