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BGH - Entscheidung vom 12.09.2012

V ZB 169/12

Normen:
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 4

BGH, Beschluss vom 12.09.2012 - Aktenzeichen V ZB 169/12

DRsp Nr. 2012/18540

Anforderungen an die Begründung eines Antrags auf Anordnung der Abschiebungshaft; Anforderungen an die Heilung von Begründungsmängeln

1. Ein Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft hat eine konkrete Prognose dahingehend zu enthalten, innerhalb welcher Zeit der Betroffene in sein Heimatland abgeschoben werden kann.2. Ist der Betroffene auf Grund Art. 6 Abs. 1 des deutsch-vietnamesischen Rückführungsabkommens noch zur Ausstellung von Passersatzpapieren einer Delegation vietnamesischer Experten vorzuführen, so braucht der Antrag keine Prognose darüber zu enthalten, welche Entscheidung die Delegation treffen wird.3. Ein Begründungsmangel im Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft wird geheilt, wenn dem Betroffenen noch vor der Entscheidung des Beschwerdegerichts eine ausreichende Begründung ausgehändigt wird und er Gelegenheit erhält, sich hierzu zu äußern.

Tenor

Der Antrag des Betroffenen, die Vollziehung der mit Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 17. Juli 2012 gegen ihn angeordneten und mit Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 9. August 2012 aufrechterhaltenen Sicherungshaft einstweilen auszusetzen, wird zurückgewiesen.

Normenkette:

AufenthG § 62 Abs. 3 S. 4;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, reiste 2007 mit Hilfe von Schleusern unerlaubt nach Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde durch Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend BAMF) vom 23. Oktober 2007 abgelehnt und der Betroffene unter Androhung der Abschiebung aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Am 16. Juli 2012 wurde er festgenommen.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 17. Juli 2012 auf Antrag der Beteiligten zu 2 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 19. September 2012 angeordnet. Auf die Beschwerde hat das Landgericht die Rechtswidrigkeit der Haft für den Zeitraum bis zur Anhörung durch das Beschwerdegericht am 9. August 2012 festgestellt und die weitergehende Beschwerde zurückgewiesen. Gegen diese Zurückweisung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er zugleich im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Aussetzung des Vollzugs der Haft erreichen will.

II.

Das Beschwerdegericht meint, die Haftanordnung des Amtsgerichts sei zunächst rechtswidrig gewesen, da dem Betroffenen vor seiner Anhörung der Haftantrag nicht ausgehändigt worden sei. Dieser Fehler sei aber im Beschwerdeverfahren geheilt worden. Unter Berücksichtigung des Schreibens der Beteiligten zu 2 vom 8. August 2012 genüge der Haftantrag den inhaltlichen Anforderungen des § 417 Abs. 2 FamFG . Das Gericht habe keinen Zweifel, dass der Bescheid des BAMF vom 23. Oktober 2007, welchen die Post ausweislich der Zustellungsurkunde am 1. November 2007 einer Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Dresden übergeben habe, anschließend dem Betroffenen ausgehändigt worden sei.

III.

1. Der Aussetzungsantrag ist in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamG statthaft (siehe nur Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 261/10, InfAuslR 2011, 26 Rn. 8; Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 211/10, InfAuslR 2010, 440).

2. Er ist jedoch unbegründet. Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte einstweilige Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Aussetzung der Vollziehung einer Freiheitsentziehung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist (Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 261/10, InfAuslR 2011, 26 Rn. 10; Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 211/10, InfAuslR 2010, 440). Dies ist hier nicht der Fall.

a) Ohne Rechtsfehler ist das Beschwerdegericht für die Zeit ab dem 9. August 2012 von einem zulässigen Haftantrag ausgegangen.

Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschluss vom 12. Mai 2012 - V ZB 246/11, [...] Rn. 6). Ein Haftantrag, der den Anforderungen des § 417 Abs. 2 FamFG nicht genügt, ist unzulässig und keine Grundlage für eine Haftanordnung (Senat, Beschluss vom 26. Januar 2012 - V ZB 235/11, [...] Rn. 7). In diesem müssen nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG unter anderem die Abschiebungsvoraussetzungen, die Erforderlichkeit der Haft, die Durchführbarkeit der Abschiebung und die erforderliche Haftdauer dargelegt werden. Die Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen (Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 f. Rn. 9). Sie müssen auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 , 83 Rn. 13). Soweit ein Rückübernahmeabkommen besteht (hier das deutschvietnamesische Rückübernahmeabkommen vom 21. Juli 1995, BGBl. II S. 743), sind die für die Erledigung des Ersuchens um Rückübernahme des Ausländers durchzuführenden Maßnahmen und der dafür üblicherweise benötigte Zeitraum in dem Haftantrag darzustellen (Senat, Beschluss vom 14. Februar 2012 - V ZB 4/12, [...] Rn. 3).

Die Begründungsmängel, die der Haftantrag vom 17. Juli 2012 hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb der beantragten Haftdauer enthielt, waren im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung durch das ergänzende Schreiben der Beteiligten zu 2 vom 8. August 2012 mit Wirkung für die Zukunft geheilt, nachdem dieses dem Betroffenen ausgehändigt worden war und er auch Gelegenheit erhalten hatte, hierzu in einer persönlichen Anhörung Stellung zu nehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 136/11, FGPrax 2011, 318 Rn. 8). Mit diesem Schreiben wurden die Ausführungen im Haftantrag dahin ergänzt, dass die Vorführung des Betroffenen vor eine Delegation vietnamesischer Experten gemäß Art. 6 Abs. 1 des Rückübernahmeabkommens am 8. August 2012 stattfinden werde. Zugleich wurde nachgetragen, dass Abschiebungen nach dem Rückübernahmeabkommen nur mit von der Bundespolizei organisierten Charterflügen erfolgen dürften, so dass ein früherer Flug als der im Haftantrag erwähnte Flug am 18. September 2012 nicht möglich sei. Aus dem Haftantrag ergab sich ferner, dass mit einer Identifizierung des Betroffenen gerechnet werden konnte, weil die Erfolgsquote mit anschließender Passausstellung gegenwärtig bei 100 % liege. Diese Angaben waren ausreichend.

b) Das Beschwerdegericht war entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht verpflichtet, im Rahmen der Prognose nach § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG von Amts wegen zu ermitteln, ob unmittelbar nach der Vorführung vom 8. August 2012 bereits abzusehen war, wie die Entscheidung der Kommission ausfallen würde. Da diese ihre Arbeit bis zum 14. August 2012 fortsetzte und die Passersatzpapiere nach der Erfahrung der Beteiligten zu 2 erst am Ende ihrer Tätigkeit ausstellt, konnte das Beschwerdegericht davon ausgehen, dass eine abschließende - auch negative - Entscheidung der Kommission vorher nicht zu erwarten war.

Es musste schließlich auch nicht aufklären, warum eine frühere Abschiebung des Betroffenen 2007 gescheitert war. Ausreichend ist die Feststellung, dass nunmehr Aussicht auf das Gelingen der Abschiebung besteht (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Juni 2012 - V ZB 263/11, Rn. 7, [...]).

c) Die notwendige Rückkehrentscheidung liegt mit dem Bescheid des BAMF vom 23. Oktober 2007 vor (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Mai 2012 - V ZB 244/11, [...] Rn. 18). Wie sich aus der mit dem Haftantrag eingereichten Postzustellungsurkunde ergibt, ist dieser Bescheid dem Betroffenen durch Aushändigung an die zum Empfang ermächtigte Vertreterin des Leiters der Justizvollzugsanstalt S. K. im Wege der Ersatzzustellung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwZG i.V.m. § 178 Abs. 1 Satz 3 ZPO zugestellt worden. Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Zustellung bestehen nicht, insbesondere weist die Urkunde den Grund für die Ersatzzustellung aus (Adressat in der Gemeinschaftseinrichtung nicht erreicht). Eines förmlichen Nachweises, dass dem Betroffenen das Schriftstück ausgehändigt worden ist, bedarf es daher nicht.

Vorinstanz: AG Dresden, vom 17.07.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 270 XIV 41/12
Vorinstanz: LG Dresden, vom 09.08.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 2 T 564/12