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BGH - Entscheidung vom 26.07.2012

V ZB 178/11

Normen:
FamFG § 417

BGH, Beschluss vom 26.07.2012 - Aktenzeichen V ZB 178/11

DRsp Nr. 2012/18545

Anforderungen an die Begründung eines Antrags auf Anordnung der Abschiebunghaft

Ein Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft muss auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, bezogene Ausführungen hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung enthalten. Erforderlich sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2011 V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 , 83, Rn. 14 sowie Beschluss vom 14. Juni 2012 V ZB 284/11, Rn. 7, [...]). Der Antrag muss ferner eine auf Tatsachen gestützte, für den Haftrichter nachvollziehbare Prognose enthalten, innerhalb welchen Zeitraums mit einer Abschiebung des Betroffenen gerechnet werden kann sowie insbesonder auch Angaben dazu, welche konkreten Schritte geplant sind, um Passersatzpapiere von den Behörden seines Heimatlandes zu erhalten, welche Zeit diese voraussichtlich in Anspruch nehmen wird und warum nach bereits neun Monate andauernden Bemühungen zur Beschaffung von Passersatzpapieren nunmehr mit der Ausstellung solcher Papiere zu rechnen ist.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 7. Juni 2011 und der 1. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 6. Juli 2011 ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Frankenthal (Pfalz) auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 ;

Gründe

I.

Der Betroffene, nach eigenen Angaben georgischer Staatsangehöriger ossetischer Volkszugehörigkeit, reiste mit Hilfe von Schleusern im Juni 2010 in das Bundesgebiet ein. Er ist seit der bestandskräftigen Ablehnung seines Asylantrages durch Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30. Juli 2010 vollziehbar ausreisepflichtig.

Am 7. Juni 2011 hat die Beteiligte zu 2 beantragt, den Betroffenen für die Dauer von drei Monaten in Sicherungshaft zu nehmen. In dem Haftantrag heißt es, die Passbeschaffung sei am 1. September 2010 eingeleitet worden. Bei einer Vorsprache in der Botschaft von Georgien im September 2010 sei ausgeschlossen worden, dass der Betroffene aus diesem Land stamme. Daher sei die Rückübernahme bei den Behörden der Russischen Föderation beantragt worden. Auch werde die Möglichkeit einer Abschiebung nach Kasachstan geprüft. Die beantragte Dauer der Haft sei zur Koordination der Abschiebung und der Beschaffung eines Passersatzdokuments erforderlich.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom selben Tag die Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der - aufgrund einer von dem Senat erlassenen einstweiligen Anordnung aus der Haft entlassene - Betroffene die Feststellung, dass Haftanordnung und Beschwerdeentscheidung ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.

Das Beschwerdegericht hat die Haftgründe des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 5 AufenthG aF für gegeben angesehen und zur Begründung ausgeführt: Gründe, die der Haft nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG aF entgegenstehen könnten, seien nicht erkennbar. Es werde alles Mögliche unternommen, um die Abschiebung des Betroffenen durchzuführen. Die Verzögerungen habe dieser durch seine offensichtlich falschen Angaben zu Herkunft und Namen selbst zu verantworten.

III.

Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 , Satz 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 71 Abs. 1 FamFG ) Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Haftanordnung des Amtsgerichts und die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts haben den Betroffenen schon deshalb in seinen Rechten verletzt, weil es an einem zulässigen Haftantrag nach § 417 FamFG fehlte.

1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210 , 211, Rn. 12; Beschluss vom 22. Juli 2010 V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512, Rn. 7). Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 V ZB 218/09, aaO, Rn. 14; Beschluss vom 22. Juli 2010 V ZB 28/10, aaO, Rn. 8; Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 133/10, Rn. 7, [...]).

Die nach § 417 Abs. 2 FamFG erforderlichen Darlegungen müssen auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; sie dürfen sich nicht in Leerformeln und Textbausteinen erschöpfen (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 , 83, Rn. 13 f.; Beschluss vom 15. September 2011 V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 , Rn. 9). Hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung sind auf das Land bezogene Ausführungen erforderlich, in das der Betroffene abgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. Erforderlich sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 , 83, Rn. 14 sowie Beschluss vom 14. Juni 2012 V ZB 284/11, Rn. 7, [...]).

2. Diesen Anforderungen genügte der Haftantrag der Beteiligten zu 2 nicht. Eine auf Tatsachen gestützte, für den Haftrichter nachvollziehbare Prognose, innerhalb welchen Zeitraums mit einer Abschiebung des Betroffenen gerechnet werden kann, enthält er nicht. Insbesondere fehlen Angaben, welche konkreten Schritte geplant waren, um Passersatzpapiere von den russischen oder kasachischen Behörden zu erhalten, welche Zeit diese voraussichtlich in Anspruch nehmen würden und warum die Beteiligte zu 2 meinte - nachdem ihre bereits neun Monate andauernden Bemühungen zur Beschaffung von Passersatzpapieren ohne Ergebnis geblieben waren -, dass nunmehr mit der Ausstellung solcher Papiere zu rechnen sei.

Entsprechende Ausführungen waren nicht deshalb entbehrlich, weil der Betroffene falsche Angaben zu seiner Herkunft und seinem Namen gemacht hatte. Zum einen enthebt dies die Behörde nicht von der Verpflichtung, die beantragte Dauer der Haft zu begründen. Zum anderen ist die Haft auch in einem solchen Fall nur zulässig, wenn die Abschiebung innerhalb von drei Monaten, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Haftanordnung, überhaupt, also ohne Berücksichtigung der von dem Ausländer zurechenbar veranlassten Verzögerungen, möglich erscheint (§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG aF; vgl., Senat, Beschluss vom 30. Juni 2011 V ZB 139/11, Rn. 5, [...]). Auch dies ist in dem Haftantrag darzulegen. Andernfalls kommt eine Haftanordnung ungeachtet falscher Angaben des Betroffenen nicht in Betracht; denn die Abschiebungshaft ist nur zur Sicherung der Abschiebung zulässig; sie darf nicht als Beugehaft angeordnet oder aufrechterhalten werden (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172 , 1173 Rn. 22).

Kann die Behörde die notwendigen Angaben unmittelbar nach der Verhaftung des Betroffenen noch nicht machen, muss sie sich darauf beschränken müssen, eine vorläufige Freiheitsentziehung gemäß § 427 FamFG zu beantragen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 83 Abs. 2 , § 81 Abs. 1 , § 430 FamFG . Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Stadt Frankenthal zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 V ZB 28/10, FGPrax 2010, 316, 317). Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO .

Vorinstanz: AG Frankenthal, vom 07.06.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 2 XIV 16/11
Vorinstanz: LG Frankenthal, vom 06.07.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 1 T 164/11