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BGH - Entscheidung vom 06.12.2012

V ZB 118/12

Normen:
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 5

Fundstellen:
ZAR 2013, 214

BGH, Beschluss vom 06.12.2012 - Aktenzeichen V ZB 118/12

DRsp Nr. 2013/1568

Anforderungen an den Haftantrag hinsichtlich der Angaben zur Durchführbarkeit der Abschiebung

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Passau vom 12. Juni 2012 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Passau vom 24. April 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 , 5;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste am 24. April 2012 unerlaubt aus Österreich nach Deutschland ein und wurde an der Grenze festgenommen. Die beteiligte Behörde entnahm der Datenbank EURODAC, dass der Betroffene in Rumänien einen Asylantrag gestellt hatte, und erwirkte bei dem Amtsgericht noch am selben Tag die Anordnung einer Haft von sechs Wochen Dauer zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen "primär nach Rumänien", aber auch in einen anderen Zielstaat, in den er einreisen dürfe oder der ihn aufnehmen müsse. Das zuständige Bundesamt ersuchte am 25. April 2012 Rumänien um Rücknahme des Betroffenen. Diese lehnte Rumänien mit der Begründung ab, der Betroffene sei von Bulgarien aus illegal nach Rumänien eingereist; Bulgarien habe sich zur Rücknahme bereit erklärt. Dorthin wurde der Betroffene am 22. Mai 2012 zurückgeschoben. Das Landgericht hat die Beschwerde, mit welcher der Betroffene die Feststellung anstrebt, durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden zu sein, zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.

II.

Das Beschwerdegericht hält die Haftanordnung für rechtmäßig. Ihr liege ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Er enthalte insbesondere die notwendigen Angaben zur Durchführbarkeit der Zurückschiebung. Die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG hätten vorgelegen. Der Betroffene sei unerlaubt eingereist. Er habe der beteiligen Behörde gegenüber unwahre Angaben gemacht, woraus zu entnehmen sei, dass er sich der Zurückschiebung habe entziehen wollen. Mit deren Vollzug sei innerhalb weniger Wochen zu rechnen gewesen. Die beteiligten Behörden hätten die Zurückschiebung auch beschleunigt betrieben.

III.

Diese Erwägungen halten in einem entscheidenden Punkt einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Haftanordnung war rechtswidrig, weil ihr kein zulässiger Haftantrag zugrunde lag. Dieser Fehler ist im weiteren Verfahren nicht geheilt worden.

1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210 , 211, Rn. 12; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512, Rn. 7). Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO, Rn. 14; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, aaO, Rn. 8; Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 133/10, juris Rn. 7).

2. Zu den Angaben zur Durchführbarkeit der Zurückschiebung gehören nicht nur konkrete, auf den Zielstaat bezogene Angaben dazu, welchen Zeitraum eine Zurückschiebung dorthin regelmäßig in Anspruch nimmt (Senat, Beschluss vom 31. Mai 2012 - V ZB 167/11, NJW 2012, 2448 Rn. 10). Vielmehr muss bei einer Zurückschiebung nach der Dublin-II-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003, ABl. L 50 S. 1) auch ausgeführt werden, dass und weshalb der Zielstaat - hier Rumänien - nach der Verordnung zur Rücknahme verpflichtet ist (Senat, Beschluss vom 31. Mai 2012 - V ZB 167/11, NJW 2012, 2448 Rn. 10 mit Beschluss vom 29. September 2010 - V ZB 233/10, juris Rn. 13, insoweit in NVwZ 2011, 320 nicht abgedruckt). Das wiederum bestimmt sich wesentlich danach, in welchem in der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Verfahren die Zurückschiebung erfolgen soll, insbesondere ob eine Aufnahme nach Art. 10, 16 Abs. 1 Buchstabe a der Dublin-II-Verordnung oder eine Wiederaufnahme nach Art. 4 Abs. 5 oder Art. 16 Abs. 1 Buchstabe c bis e jeweils in Verbindung mit Art. 20 Dublin-II-Verordnung betrieben werden soll. Demgemäß kann der Richter in die Prüfung, ob eine Zurückweisung in den angegebenen Zielstaat durchführbar ist, erst eintreten, wenn ihm mitgeteilt wird, welches Verfahren zur Durchführung der Zurückschiebung beabsichtigt ist.

3. Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag nicht.

a) Die beteiligte Behörde hat zwar angegeben, dass eine Zurückschiebung nach Rumänien nach ihren Erfahrungen im Durchschnitt 31 Tage, längstens 43 Tage, in Anspruch nehme. Sie hat auch mitgeteilt, sie habe dem EU-RODAC-Register entnommen, dass der Betroffene in Rumänien am 19. November 2011 einen Asylantrag gestellt habe. Daraus ergebe sich, dass Rumänien für die Antragsbearbeitung zuständig sei. Das genügt aber nicht.

b) Dem Haftantrag lässt sich nicht entnehmen, in welchem Verfahren die Zurückschiebung betrieben werden soll. Der Hinweis auf die Bearbeitungszuständigkeit deutet eher auf ein Aufnahmeverfahren hin, während die Angabe in dem EURODAC-Register auch das Wiederaufnahmeverfahren zuließe, das später tatsächlich gewählt worden ist. Die Entscheidung darüber, ob eine Aufnahme oder eine Wiederaufnahme beantragt wird, obliegt allerdings dem zuständigen Bundesamt. Ohne Information darüber kann der Richter indessen nicht prüfen, ob der Zielstaat den Betroffenen zurücknehmen muss und eine Zurückschiebung gelingen kann. Diese Angabe muss deshalb bei dem Bundesamt abgefragt und in dem Haftantrag mitgeteilt werden. Wenn die Umstände eine vorherige Rückfrage bei dem Bundesamt nicht zuließen und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden bestand, musste sich die beteiligte Behörde zunächst darauf beschränken, eine vorläufige Freiheitsentziehung gemäß § 427 FamFG zu beantragen (Senat, Beschluss vom 31. Mai 2012 - V ZB 167/11, NJW 2012, 2448 Rn. 10 aE). Das ist nicht geschehen.

c) Der Mangel des Haftantrags wäre zwar -mit Wirkung für die Zukunft -geheilt worden, wenn die beteiligte Behörde die fehlenden Angaben rechtzeitig nachgeholt und der Betroffene Gelegenheit erhalten hätte, dazu in einer persönlichen Anhörung Stellung zu nehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. September 2011 - V ZB 61/11, juris Rn. 8; Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 188/11, juris Rn. 12 f.). Dazu ist es aber nicht gekommen. Die beteiligte Behörde hat ihren Schriftsatz mit den erforderlichen Angaben erst am 21. Mai 2012 bei dem Amtsgericht eingereicht. Zu diesem ist der Betroffene nicht mehr persönlich gehört worden, weil er tags darauf nach Bulgarien zurückgeschoben worden ist, das für die Bearbeitung seines Asylantrags zuständig ist, weil er dort erstmals unerlaubt in die Europäische Union eingereist ist.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 83 Abs. 2 , § 81 Abs. 1 , § 430 FamFG und Art. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO .

Vorinstanz: AG Passau, vom 24.04.2012 - Vorinstanzaktenzeichen XIV B 66/12
Vorinstanz: LG Passau, vom 12.06.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 2 T 75/12
Fundstellen
ZAR 2013, 214