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BVerwG - Entscheidung vom 20.06.2011

1 B 1.11

Normen:
AufenthV § 5
StAG § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3

BVerwG, Beschluss vom 20.06.2011 - Aktenzeichen 1 B 1.11

DRsp Nr. 2011/15122

Zumutbarkeit von Bedingungen des türkischen Staates zur Erlangung eines Nationalpasses ist keine verallgemeinerungsfähige Frage von grundsätzlicher Bedeutung; Klärungsbedürftigkeit der Frage der Zumutbarkeit von Bedingungen des türkischen Staates zur Erlangung eines Nationalpasses als verallgemeinerungsfähige Frage von grundsätzlicher Bedeutung

1. Die Verwaltungsvorschriften, die das Bundesministerium des Innern zum Erfordernis der unzumutbaren Bedingungen für die Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit in § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StAG erlassen hat, sind für die Auslegung der Unzumutbarkeit aus zwingenden Gründen im Rahmen von § 5 Abs. 2 Nr. 3 AufenthV im gerichtlichen Verfahren nicht maßgeblich.2. Einer Frage, die sich nicht unabhängig von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalles beantworten lässt, kann grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zukommen.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Normenkette:

AufenthV § 5; StAG § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ;

Gründe

Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) gestützte Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine bestimmte entscheidungserhebliche und verallgemeinerungsfähig zu beantwortende Frage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird, die im Interesse der Einheit oder Fortbildung des Rechts der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Eine solche Frage lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen.

Die Beschwerde hält die Frage für klärungsbedürftig,

ob die Bedingungen des türkischen Staates zur Erlangung eines Nationalpasses, nämlich die Ableistung eines verkürzten Wehrdienstes von 21 Tagen sowie zusätzlich die Zahlung von 7 668 € den Rechtsbegriff der Zumutbarkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Aufenthaltsverordnung - AufenthV - erfüllen.

Sie trägt zur Begründung vor, im Staatsangehörigkeitsrecht sei unstreitig, unter welchen Voraussetzungen die Ableistung des Wehrdienstes als Voraussetzung für die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit unzumutbar sei. Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsgesetz sähen unter Ziff. 12.1.2.3.2.2 ausdrücklich vor, dass eine solche Entlassungsbedingung unzumutbar sei, wenn der Einbürgerungsbewerber über 40 Jahre alt sei und seit mehr als 15 Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Herkunftsstaat habe, davon mindestens zehn Jahre im Inland. Könne die unzumutbare Wehrdienstleistung durch Zahlung einer Geldsumme abgewendet werden (Freikauf), sei dies in der Regel unzumutbar, wenn das Dreifache eines durchschnittlichen Bruttomonatseinkommens des Einbürgerungsbewerbers überschritten werde. Ein Betrag von 5 112,02 € (umgerechnet 10 000 DM) sei immer zumutbar. Lege man diese Anforderungen zugrunde, sei die Ableistung des Wehrdienstes für den Kläger unzumutbar. Auch wenn es sich bei Fragen des Staatsangehörigkeitsrechts und solchen der Aufenthaltsverordnung um unterschiedliche Rechtsgebiete handele, stelle statusmäßig gesehen die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer, die der Kläger begehre, ein Minus gegenüber staatsangehörigkeitsrechtlichen Fragen dar. Es sei daher grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die anerkannten Voraussetzungen der Unzumutbarkeit der Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit auf die Voraussetzungen der Zumutbarkeit zur Erlangung eines Nationalpasses übertragen werden könnten.

Dieses Vorbringen führt nicht auf eine klärungsbedürftige Rechtsfrage, die in einem Revisionsverfahren in verallgemeinerungsfähiger Weise beantwortet werden könnte. Wie die Beschwerde zutreffend ausführt, beurteilt sich das Begehren des Klägers auf Verlängerung seines Reiseausweises für Ausländer nach § 5 AufenthV. Danach kann einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden. Nach Abs. 2 der Vorschrift gilt es u.a. insbesondere als zumutbar im Sinne des Abs. 1, die Wehrpflicht, sofern deren Erfüllung nicht aus zwingenden Gründen unzumutbar ist, und andere zumutbare staatsbürgerliche Pflichten zu erfüllen (Nr. 3). Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob die Ableistung des vom türkischen Staat verlangten verkürzten Wehrdienstes von 21 Tagen sowie zusätzlich die Zahlung von 7 668 € aus zwingenden Gründen unzumutbar im Sinne dieser Vorschriften sind, lässt sich nicht unabhängig von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalles beantworten und ist deshalb einer über den Einzelfall hinausgehenden verallgemeinerungsfähigen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich.

Auch die Frage, ob die vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz - VAH- StAG - vom 17. April 2009 hinsichtlich der Unzumutbarkeit der Wehrdienstleistung als Bedingung für die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit in Ziff. 12.1.2.3.2.2 bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit der Ableistung des Wehrdienstes im Rahmen von § 5 AufenthV heranzuziehen sind, verleiht der Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung. Bei dem Erfordernis der Unzumutbarkeit der Erfüllung des Wehrdienstes aus zwingenden Gründen im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 AufenthV handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. Urteile vom 30. Juni 2010 - BVerwG 5 C 3.09 - NVwZ-RR 2010, 926 und vom 28. Oktober 1998 - BVerwG 8 C 16.96 - BVerwGE 107, 338 <340>). Die Gerichte sind bei dessen Auslegung und Anwendung nicht an hierzu erlassene norminterpretierende Verwaltungsvorschriften gebunden. Diese dienen lediglich der Steuerung des behördlichen Verwaltungshandelns, haben aber keine Rechtsnormqualität. Deshalb ist auch die Frage, ob die Verwaltungsvorschriften, die das Bundesministerium des Innern zum Erfordernis der unzumutbaren Bedingungen für die Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit in § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG erlassen hat, für die Auslegung der Unzumutbarkeit aus zwingenden Gründen im Rahmen von § 5 Abs. 2 Nr. 3 AufenthV im gerichtlichen Verfahren maßgeblich sind, ohne Weiteres zu verneinen. Ob die Ableistung des Wehrdienstes aus zwingenden Gründen unzumutbar im Sinne dieser Bestimmung ist, ist vielmehr im jeweiligen Einzelfall auf Grund einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände zu beurteilen. Dabei ist zu beachten, dass § 5 Abs. 2 Nr. 3 AufenthV mit der Formulierung "aus zwingenden Gründen unzumutbar" schon dem Wortlaut nach höhere Anforderungen an die Unzumutbarkeit der Erfüllung der Wehrpflicht stellt als § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG mit der Formulierung "unzumutbare Bedingungen". Dies erscheint auch sachlich gerechtfertigt, weil mit der Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer ein Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates erfolgen kann und somit zwischenstaatliche Belange berührt werden können (vgl. zur Ausstellung eines Fremdenpasses nach dem AuslG 1965: Urteil vom 3. Mai 1973 - BVerwG 1 C 59.70 - BVerwGE 42, 143 ). Dies ist bei der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit unter Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit nicht in gleichem Maße der Fall.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 09.10.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 18 A 2222/09