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BVerwG - Entscheidung vom 25.01.2011

4 BN 39.10

Normen:
BauGB § 1
BauGB § 9
FStrG § 16
FStrG § 17
FStrG § 17b Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 25.01.2011 - Aktenzeichen 4 BN 39.10

DRsp Nr. 2011/2844

Zulässigkeit der Regelung eines vierstreifigen Ausbaus einer Bundesfernstraße zur Verbesserung der großräumigen Ost-West-Verkehrsverbindung in einem Teilabschnitt mittels Bebauungsplansatzung durch eine Ortsgemeinde bei lediglichem Berühren der gemeindlichen Belange bei der Wahl des Trassenverlaufs und vordergründigem Ausbauziel des Ausbaus des Fernstraßennetzes; Möglichkeit einer wertgleichen Abfindung in Land und damit Beseitigung der Gefahr der Existenzgefährdung des Betriebs durch ein zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses bereits vorbereitetes und unmittelbar vor der förmlichen Einleitung stehendes Flurbereinigungsverfahren

1. § 1 Abs. 3 BauGB gibt den Gemeinden die Möglichkeit, im Rahmen der Selbstverwaltung das Festsetzungsinstrumentarium des § 9 BauGB für eine eigene Verkehrspolitik zu nutzen. Zu den von einer Gemeinde zulässigerweise zu verfolgenden Zielsetzungen gehört dabei auch das Interesse, eine vorhandene Durchgangsstraße auf eine außerhalb der geschlossenen Bebauung liegende Fläche zu verlagern, also eine Umgehungsstraße zu planen.2. Das Flurbereinigungsverfahren ist grundsätzlich geeignet, die Probleme, die im Rahmen einer Straßenplanung abzuwägen sind, insbesondere die Gefahr einer Existenzgefährdung landwirtschaftlicher Betriebe, zu bewältigen.

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 € festgesetzt.

Normenkette:

BauGB § 1 ; BauGB § 9 ; FStrG § 16 ; FStrG § 17 ; FStrG § 17b Abs. 2 ;

Gründe

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

1.

Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre.

1.1

Die Beschwerde wirft die Frage auf,

ob es zulässig ist, den vierstreifigen Ausbau einer Bundesfernstraße (hier B 49 zwischen Limburg und Wetzlar) zur Verbesserung der großräumigen Ost-West-Verkehrs-verbindung in einem Teilabschnitt mittels Bebauungsplansatzung durch eine Ortsgemeinde zu regeln, wenn gemeindliche Belange bei der Wahl des Trassenverlaufs lediglich berührt werden (hier Immissionen, Anschlussstellen) und der Ausbau des Fernstraßennetzes vordergründiges Ausbauziel ist. 

Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Denn soweit sie grundsätzlicher Klärung zugänglich ist, lässt sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten. Nach § 17b Abs. 2 FStrG ersetzt ein Bebauungsplan die Planfeststellung gemäß § 17 FStrG . Die Beschwerde verweist in diesem Zusammenhang auch auf § 16 Abs. 1 und 2 FStrG . Diese Vorschriften regeln jedoch nur die Frage, ob es zusätzlich zu einer Planfeststellung (oder einem diese ersetzenden Bebauungsplan) einer Linienbestimmung durch das zuständige Bundesministerium bedarf. Auf dieses zusätzliche Erfordernis, das bei Ortsumgehungen entfällt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 FStrG ), kommt es für die Beantwortung der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage jedoch nicht an.

Nach § 1 Abs. 3 BauGB haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass § 1 Abs. 3 BauGB den Gemeinden die Möglichkeit eröffnet, im Rahmen der Selbstverwaltung das Festsetzungsinstrumentarium des § 9 BauGB für eine eigene Verkehrspolitik zu nutzen (Urteil vom 28. Januar 1999 - BVerwG 4 CN 5.98 - BVerwGE 108, 248 <251>; Beschluss vom 26. Januar 2010 - BVerwG 4 B 43.09 - ZfBR 2010, 376 <377> m.w.N.). Maßgeblich ist der örtliche Bezug. Zu den von einer Gemeinde zulässigerweise zu verfolgenden Zielsetzungen gehört dabei auch das Interesse, eine vorhandene Durchgangsstraße oder ortsnahe Straße auf eine außerhalb der geschlossenen Bebauung liegende Fläche zu verlagern, also eine Umgehungsstraße zu planen. Dem steht nicht entgegen, dass die Straße Teil eines überörtlichen Straßennetzes ist. Zu Recht hebt der Verwaltungsgerichtshof hervor, dass sich überörtliche Verkehrsbedeutung und örtliche Bedeutung im städtebaulichen Sinne nicht ausschließen (vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 25. November 2009 - 1 KN 141/07 - BRS 74 Nr. 13 S. 84). Für den vorliegenden Fall stellt der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich fest, dass die Straßenplanung "Ausdruck eines städtebaulich motivierten Konzepts" ist und verweist zur Erläuterung des örtlichen Bezugs auf die Absicht der Antragsgegnerin, den Ortsteil Heckholzhausen von verkehrsbedingten Immissionen zu entlasten und die Wohnqualität des Ortes nachhaltig aufzuwerten (UA S. 15).

Allerdings ist klarstellend hervorzuheben, dass die Erforderlichkeit einer derartigen Straßenplanung dann in Zweifel zu ziehen wäre, wenn die Planung aus kompetentiellen oder sonstigen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Aussicht auf Verwirklichung bieten würde (Urteil vom 28. Januar 1999 a.a.O. S. 249). Für eine derartige Annahme finden sich im vorliegenden Fall indes keine Anhaltspunkte; auch die Beschwerde wirft insoweit keine Zweifel auf. Denn die Planung ist vom zuständigen Amt für Straßen- und Verkehrswesen des Landes Hessen erarbeitet worden (UA S. 2, 17). Die Gefahr, dass eine Gemeinde dem Straßenbaulastträger gegen seinen Willen eine Fernstraße (hier eine Bundesfernstraße) aufdrängt und wie die Beschwerde meint, in eine bereits bestehende Planfeststellung "eingreift", besteht somit nicht.

Soweit die Beschwerde vorträgt, im Falle eines Planfeststellungsverfahrens bestünde die Möglichkeit, eine Enteignung anzuordnen und eine Entschädigung zu leisten, ist hervorzuheben, dass auch die Regelungen des Baugesetzbuchs ein derartiges Instrumentarium vorsehen (vgl. §§ 85 ff. und §§ 93 ff. BauGB ).

1.2

Auch die Frage:

Besteht im Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan zur Herstellung einer Bundesfernstraße die Möglichkeit der richterlichen Inzidentprüfung des Abwägungsvorgangs einer vorangegangenen raumordnerischen Abweichungsentscheidung, 

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie ist nicht entscheidungserheblich. Denn der Verwaltungsgerichtshof hebt ausdrücklich hervor, dass diese Frage für das vorliegende Verfahren offen bleiben kann, da eine Inzidentprüfung nach seiner Auffassung zu dem Ergebnis führt, dass die hier in Rede stehende Abweichungsentscheidung rechtmäßig ist (UA S. 19). Hierzu begründet der Verwaltungsgerichtshof im Einzelnen, dass die Abweichungsentscheidung die Grundzüge des Regionalplans nicht berühre und die Abweichung auch unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar sei (UA S. 19 - 22). Ferner hat er die von der Landesplanungsbehörde vorgenommene Abwägung eingehend überprüft (UA S. 20 - 22).

1.3 Die Frage:

Ersetzt die naturschutzfachliche Beurteilung im raumplanerischen Zielabweichungsverfahren die naturschutzrechtliche Abwägung und die Beurteilung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände nach dem Bundesnaturschutzgesetz in einem nachfolgenden Bebauungsplanverfahren, 

gebietet ebenfalls nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Die Frage entzieht sich in dieser Allgemeinheit einer grundsätzlichen Klärung und unterstellt zudem dem Verwaltungsgerichtshof eine Rechtsauffassung, die dieser dem angegriffenen Urteil nicht zugrunde gelegt hat. Im Übrigen ist der rechtliche Ausgangspunkt grundsätzlich geklärt.

Nach § 1 Abs. 4 BauGB sind Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen. Eine derartige Bindung hat der Verwaltungsgerichtshof vorliegend für diejenige Trasse - Variante 300 - angenommen, die im Abweichungsbescheid festgelegt worden ist. Insoweit ist der Abwägungsspielraum der Antragsgegnerin durch die raumplanerische Zielabweichungsentscheidung eingeschränkt worden. Die raumordnungsrechtlich getroffene Entscheidung ist nur rechtmäßig, wenn die hierfür gebotene Abwägung fehlerfrei vorgenommen worden ist. Davon geht der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich aus; dabei bezieht er sich auch auf die "Themen Landwirtschaft und Naturschutz" (UA S. 20).

Eine darüber hinaus gehende Ersetzungswirkung nimmt der Verwaltungsgerichtshof nicht an. Hinsichtlich der naturschutzfachlichen Bewertung und der artenschutzrechtlichen Beurteilung geht der Verwaltungsgerichtshof vielmehr davon aus, dass es auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan ankommt (UA S. 25). Der Verwaltungsgerichtshof nimmt somit nicht an, die naturschutzrechtliche Abwägung und die Beurteilung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände könne im Bebauungsplanaufstellungsverfahren unterbleiben. Dagegen spricht auch, dass das Gericht die Möglichkeit einer "Nicht-Planung" - also das Belassen des bisherigen Zustands - ausdrücklich anspricht, für den vorliegenden Fall eine solche Situation allerdings verneint (UA S. 27).

1.4 Die Fragen:

Kann die in einem Bebauungsplanverfahren zum Zwecke des Straßenbaus vorzunehmende Abwägungsentscheidung insbesondere in Bezug auf den Eingriff in einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb und damit verbundener Verluste an land- und forstwirtschaftlichen Flächen auf ein Flurbereinigungsverfahren verlagert werden, welches zwar eingeleitet ist, sich aber noch in einem Stadium befindet, in dem noch keine Abfindungsplanung existiert und mit der Ausführung in 10 bis 15 Jahren zu rechnen ist 

sowie (in der ergänzenden Begründung)

ist es zulässig, die Existenzgefährdung mit der Begründung zu verneinen, eine Kompensation werde in einem Flurbereinigungsverfahren vorgenommen, wenn noch nicht einmal eine Entwurfsplanung existiert und absehbar ist, dass es noch 10 bis 15 Jahre dauern wird, bis das Flurbereinigungsverfahren abgeschlossen werden kann, 

sind ebenfalls nicht geeignet, zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu führen. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass das Flurbereinigungsverfahren noch 10 bis 15 Jahre dauern werde. Er gelangt vielmehr zu dem Ergebnis, dass das - zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses bereits vorbereitete und unmittelbar vor der förmlichen Einleitung stehende - Flurbereinigungsverfahren realistischerweise erwarten lasse, dass eine wertgleiche Abfindung der Antragsteller in Land möglich sei und daher eine Existenzgefährdung ihres Betriebs nicht zu besorgen sei (UA S. 33 - 36). Darüber hinaus stellt der Verwaltungsgerichtshof darauf ab, dass die Antragsgegnerin weitere Maßnahmen ergriffen, insbesondere landwirtschaftliche Flächen erworben, habe (vgl. im Einzelnen UA S. 34 ff.). Bei seiner Beurteilung nimmt der erkennende Senat des Verwaltungsgerichtshofs auf eine entsprechende Einschätzung des Flurbereinigungssenats im Eilverfahren Bezug (UA S. 35). Durch die Einschätzung des Flurbereinigungsgerichts werde die von der Antragsgegnerin in Bezug genommene Konfliktlösungsmöglichkeit im Ergebnis nachträglich bestätigt. Dem stellen die Antragsteller lediglich ihre eigene Würdigung mit dem Einwand, das Ergebnis des Flurbereinigungsverfahrens sei überhaupt nicht vorhersehbar und das Konfliktlösungsmodell sei ungeeignet, entgegen. Eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung wird damit nicht erkennbar.

Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass ein Flurbereinigungsverfahren grundsätzlich geeignet ist, die Probleme, die im Rahmen einer Straßenplanung abzuwägen sind, insbesondere die Gefahr einer Existenzgefährdung landwirtschaftlicher Betriebe, zu bewältigen (Beschluss vom 24. September 1997 - BVerwG 4 VR 21.96 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 134 S. 226; Urteil vom 18. Dezember 1987 - BVerwG 4 C 32.84 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 70 S. 20 f.; vgl. auch Beschluss vom 2. April 2008 - BVerwG 4 BN 6.08 - BRS 73 Nr. 20). Die Frage, unter welchen Umständen eine Konfliktlösung außerhalb des Planungsverfahrens hinreichend sicher ist, beurteilt sich nach den Gegebenheiten des Einzelfalles und entzieht sich einer abstrakten Klärung (Beschluss vom 15. Oktober 2009 - BVerwG 4 BN 53.09 - BRS 74 Nr. 17 S. 107).

Die in diesem Zusammenhang ohne weitere Begründung der vermeintlichen Abweichung erhobene Divergenzrüge (S. 4 der ergänzenden Begründung) genügt nicht den Darlegungsanforderungen.

2.

Auch die Verfahrensrüge bleibt erfolglos. Die Antragsteller wenden sich dagegen, dass der Verwaltungsgerichtshof ihre Einwände im Hinblick auf das Artenschutzrecht mit dem Argument zurückgewiesen habe, der Vortrag sei unsubstantiiert. Ein Verfahrensfehler ergibt sich daraus nicht. Der Verwaltungsgerichtshof setzt sich eingehend mit dem eigenständigen artenschutzrechtlichen Fachbeitrag auseinander (UA S. 23 ff.) und legt detailliert dar, dass das Vorbringen der Antragsteller nicht geeignet sei, diesen zu erschüttern (UA S. 24 - 26). Anhaltspunkte dafür, dass das Gericht die Anforderungen an den Sachvortrag überspannt oder den Vortrag der Antragsteller nicht zur Kenntnis genommen hätte, sind weder dargelegt noch ersichtlich. Auch für eine Überraschungsentscheidung - wie in der ergänzenden Beschwerdebegründung vorgetragen - ist nichts erkennbar.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 , § 159 Satz 2 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Prof. Dr. Rubel

Dr. Jannasch

Dr. Bumke

Vorinstanz: VGH Hessen, vom 01.07.2010 - Vorinstanzaktenzeichen VGH 4 C 2302/09