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BVerwG - Entscheidung vom 05.04.2011

6 B 41.10

Normen:
VwVfG § 44 Abs. 1

BVerwG, Beschluss vom 05.04.2011 - Aktenzeichen 6 B 41.10

DRsp Nr. 2011/8908

Nichtigkeit einer Entgeltgenehmigung

Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. April 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwVfG § 44 Abs. 1 ;

Gründe

Die Beschwerde, die sich auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) stützt, bleibt ohne Erfolg.

1.

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

a)

Die Beschwerde will geklärt wissen: "Ist § 44 Abs. 1 VwVfG dahin auszulegen, dass die Offensichtlichkeit des besonders schwerwiegenden Fehlers, an dem der Verwaltungsakt leidet, schon im Zeitpunkt seines Erlasses bestanden haben muss?" Die Beigeladene meint, dass Verwaltungsgericht hätte, bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses der hier angefochtenen Entgeltgenehmigung vom 10. November 2008, von der Nichtigkeit der vorangegangenen Entgeltgenehmigung vom 27. Oktober 2005 ausgehen müssen; denn diese sei nicht, wie seinerzeit von der Bundesnetzagentur angenommen, bereits an dem Telekommunikationsgesetz vom 22. Juni 2004 (BGBl I S. 1190) - TKG 2004 -, sondern übergangsweise noch an dem Telekommunikationsgesetz vom 25. Juli 1996 (BGBl I S. 1120) - TKG 1996 - zu messen, wie sich aus der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Senats zu der Übergangsvorschrift des § 150 Abs. 1 TKG 2004 ergebe (vgl. Beschluss vom 17. Mai 2006 - BVerwG 6 C 14.05 - BVerwGE 126, 74 Rn. 49 = Buchholz 442.066 § 150 TKG Nr. 1).

Die von der Beigeladenen aufgeworfene Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Nach § 44 Abs. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Abgesehen davon, dass es für die Nichtigkeit schon nach dem Gesetzeswortlaut ("ist nichtig") jedenfalls grundsätzlich - vorbehaltlich etwaiger Abweichungen aufgrund spezieller Rechtsvorschriften - auf den Erlasszeitpunkt ankommt, so dass die spätere Klärung einer zuvor in Rechtsprechung und Literatur umstritten gewesenen Rechtsfrage nicht nachträglich zur Nichtigkeit eines zuvor erlassenen Verwaltungsaktes führt (s.a. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG , 7. Aufl. 2008, § 44 Rn. 125 m.w.N.), wäre die Frage in einem etwaigen Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Denn Bezugspunkt der Offensichtlichkeit nach § 44 Abs. 1 VwVfG ist - unabhängig vom Beurteilungszeitpunkt - das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers. Dabei handelt es sich um einen Mangel, der den Verwaltungsakt als schlechterdings unerträglich, d.h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar erscheinen lässt; die an einer ordnungsgemäßen Verwaltung zu stellenden Anforderungen müssen in so erheblichem Maße verletzt sein, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (Urteil vom 17. Oktober 1997 - BVerwG 8 C 1.96 - Buchholz 401.0 § 125 AO Nr. 1 S. 3 f., Beschluss vom 11. Mai 2000 - BVerwG 11 B 26.00 - Buchholz 316 § 44 VwVfG Nr. 12 S. 4). Ein derart schwerwiegender Fehler haftet der ursprünglichen Entgeltgenehmigung vom 27. Oktober 2005 nicht an. Die Frage der zutreffenden Auslegung des § 150 Abs. 1 TKG 2004 über die Anwendung des alten bzw. des neuen Rechts auf eine Entgeltgenehmigung im Übergangszeitraum rührt nicht an die Grundprinzipien der Rechtsordnung.

b)

Die Beigeladene fragt im Hinblick auf das Telekommunikationsgesetz 1996 weiter: "Sind die § 39 Alternative 1 und 2, § 25 Abs. 1 , § 24 Abs. 2 Nr. 3 TKG dahingehend auszulegen, dass sie die Genehmigung unterschiedlicher Entgelte für dieselbe Zugangsleistung in Abhängigkeit davon zulassen, ob diese Leistung einerseits vertraglich vereinbart, andererseits behördlich angeordnet ist?" Diese Frage verhilft der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg, weil sie sich für die Vorinstanz nicht gestellt hat. Das Verwaltungsgericht hat seine Begründung nicht auf eine am Maßstab der von der Beschwerde genannten Bestimmungen für zulässig angesehene Differenzierung der Entgelte für Zusammenschaltungsverträge und Zusammenschaltungsanordnungen gestützt, sondern darauf, dass die hier angefochtene Entgeltgenehmigung vom 10. November 2008 dem Vorgängerbeschluss vom 27. Oktober 2005 widerspreche, der seinerseits - für auf Zusammenschaltungsanordnung beruhende Entgelte - weder durch das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 15. Mai 2008 - 1 K 6817/05 - aufgehoben noch von der Bundesnetzagentur zurückgenommen worden sei.

Auch soweit die Beigeladene ihre Frage dahin präzisiert, "ob im Falle einer Rücknahme einer Entgeltgenehmigung nach dem TKG 1996 das Rücknahmeermessen nach § 48 VwVfG durch die materiell-rechtlichen Vorgaben des § 24 Abs. 2 Nr. 3 TKG 1996 überlagert ist mit der Folge, dass sich das Rücknahmeermessen in solchen Fällen auf Null reduziert", verleiht dies der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Rechtsfragen aufgrund ausgelaufenen Rechts haben nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine solche Bedeutung regelmäßig nicht mehr, da der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf eine Klärung für die Zukunft gerichtet ist. Etwas anderes kann - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall eines Klärungsbedarfs der altrechtlichen Problematik für einen nicht überschaubaren Personenkreis - ausnahmsweise nur dann gelten, wenn sich die als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage bei den gesetzlichen Bestimmungen, die den außer Kraft getretenen Vorschriften nachgefolgt sind, in gleicher Weise stellt. Dies muss offensichtlich sein, da es nicht Aufgabe des Beschwerdeverfahrens ist, in diesem Zusammenhang mehr oder weniger komplexe Fragen des geltenden Rechts zu klären, um die frühere mit der geltenden Rechtslage vergleichen zu können (Beschluss vom 5. Oktober 2009 - BVerwG 6 B 17.09 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 4 Rn. 11 m.w.N.).

Diese Anforderungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Für die Beantwortung der Frage, ob sich eine Entgeltgenehmigung im Sinne des § 43 Abs. 2 VwVfG "auf andere Weise erledigt", wenn die Bundesnetzagentur nach Stellung eines neuen Entgeltantrages eine neue - höhere - Entgeltgenehmigung für eine (teil-)identische Leistung und Geltungsdauer erlässt, bzw. ob bei einer insoweit etwa erforderlichen Rücknahme (§ 48 VwVfG ) der früheren Entgeltgenehmigung sich das Rücknahmeermessen zugunsten des Entgeltgläubigers "auf Null" reduziert, ist nicht evident, dass dem alten und dem neuen Recht inhaltsgleiche Wertungen zu entnehmen sind. Vielmehr ergeben sich Unterschiede nicht nur im Hinblick auf den § 39 Alt. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 TKG 1996 zugrundeliegenden "Einzelvertragsbezug" der Entgeltgenehmigung (s. Urteil vom 16. Juli 2003 - BVerwG 6 C 19.02 - Buchholz 442.066 § 39 TKG Nr. 1 S. 3 ff.), sondern auch hinsichtlich der Rückwirkung, die eine auf der Grundlage des § 25 Abs. 1 TKG 1996 erteilte Entgeltgenehmigung für den Fall des vertraglich vereinbarten Netzzugangs wie auch für den Fall der Zusammenschaltungsanordnung entfaltete (Urteil vom 21. Januar 2004 - BVerwG 6 C 1.03 - BVerwGE 120, 54 <59 ff.> = Buchholz 442.066 § 33 TKG Nr. 3 S. 46 ff. und vom 25. März 2009 - BVerwG 6 C 3.08 - Buchholz 442.066 § 35 TKG Nr. 2 Rn. 25), während sie nach neuem Recht wesentlich eingeschränkt ist (§ 35 Abs. 5 Satz 3 TKG 2004). Von daher lässt sich gerade nicht ausschließen, dass sich die von der Beklagten aufgeworfene Frage nach einer "Überlagerung" des Rücknahmeermessens der Bundesnetzagentur durch Wertungen des Telekommunikationsgesetzes nach neuem Recht anders darstellt als nach dem im Streitfall noch anwendbaren alten Recht.

2.

Die Revision ist schließlich auch nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO unter dem Gesichtspunkt der Divergenz zuzulassen. Eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Soweit die Beschwerde das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Januar 2010 - BVerwG 3 C 17.09 - (BVerwGE 136, 43 = Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 128) erwähnt, bezeichnet sie keinen abstrakten Rechtssatz, zu dem sich das angefochtene Urteil in Widerspruch gesetzt haben könnte. Dem von der Beschwerde gleichfalls benannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 1984 - BVerwG 3 C 79.82 - (Buchholz 451.90 EWG-Recht Nr. 52 = NVwZ 1985, 488 ) lässt sich ein allgemeiner Rechtssatz des Inhalts, dass bei zwei aufeinanderfolgenden Verwaltungsakten, von denen der spätere dem früheren inhaltlich widerspricht, regelmäßig - auch ohne ausdrückliche Nennung des Wortes "Rücknahme" - anzunehmen sein soll, dass die Behörde mit dem späteren den früheren Verwaltungsakt zurücknehmen will, entgegen der Behauptung der Beigeladenen nicht entnehmen. In diesem Urteil hat vielmehr das Bundesverwaltungsgericht seine - als solche auf den vorliegenden Fall ersichtlich nicht übertragbare - Annahme, dass in der Rückforderung einer gewährten Geldleistung regelmäßig auch die Rücknahme des gewährenden Verwaltungsaktes liegt, auf den allgemeinen Rechtssatz gestützt, dass bei der Auslegung eines Verwaltungsaktes entsprechend § 133 BGB der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften ist.

Ebenso wenig lässt sich dem angefochtenen Urteil ein abstrakter Rechtssatz entnehmen, nach dem bei Ersetzung eines früheren durch einen späteren Verwaltungsakt eine Rücknahme nur in Betracht komme, wenn in dem nachfolgenden Verwaltungsakt an irgendeiner Stelle das Wort "Rücknahme" verwendet werde. Vielmehr ist die betreffende, von der Beschwerde zitierte Aussage in den Urteilsgründen, in dem Beschluss der Bundesnetzagentur vom 10. November 2008 sei "von einer Rücknahme nirgendwo die Rede" (UA S. 13), im Zusammenhang mit dem nachfolgenden Satz zu sehen, wonach die Behörde zum Ausdruck gebracht habe, dass aus ihrer Sicht eine Rücknahme nicht erforderlich sei. Daraus wird deutlich, dass das Verwaltungsgericht eine - im Prinzip für möglich gehaltene - konkludente Rücknahme unter den hier vorliegenden Umständen nicht erkennen konnte. Soweit die Beigeladene meint, dass das Verwaltungsgericht bei zutreffender Bewertung der konkreten Gegebenheiten die Genehmigung vom 10. November 2008 als eine stillschweigende Rücknahme der Vorgängergenehmigung von 27. Oktober 2005 hätte verstehen müssen, behauptet sie eine fehlerhafte Anwendung der Auslegungsregeln im Einzelfall, die den Anforderungen an eine Divergenzrüge nicht genügt.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: VG Köln, vom 22.04.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 1 K 6526/08