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BVerwG - Entscheidung vom 24.05.2011

1 WB 39.10

Normen:
WBO § 17 Abs. 1 Satz 1

Fundstellen:
ZBR 2012, 68

BVerwG, Beschluss vom 24.05.2011 - Aktenzeichen 1 WB 39.10

DRsp Nr. 2011/11437

Antragsbefugnis; subjektives Recht; Wahrnehmungszuständigkeit in hierarchischer Organisation

Die einem Dienstposteninhaber innerhalb einer hierarchischen Militär- oder Behördenorganisation zugewiesene Wahrnehmungszuständigkeit begründet kein subjektives Recht des betreffenden Soldaten, das er mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach der Wehrbeschwerdeordnung gegen (behauptete) Beeinträchtigungen bei der Aufgabenerfüllung durch andere Soldaten geltend machen kann.

Tenor

Der Antrag wird als unzulässig verworfen.

Normenkette:

WBO § 17 Abs. 1 Satz 1;

Gründe

I

Der Antragsteller begehrt vom Bundesminister der Verteidigung die Überlassung von Informationen, die er seiner Auffassung nach für die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben benötigt.

Der 1959 geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit endet voraussichtlich mit Ablauf des 30. November 2019. Mit Wirkung zum 1. Oktober 2010 wurde er zum Oberst ernannt. Der Antragsteller wird als Dezernatsleiter ... in der Abteilung .. des Zentrums ... in G. verwendet.

Mit E-Mail vom 23. Juli 2010 wandte sich der Antragsteller an den Referenten des Bundesministeriums der Verteidigung - Fü ... -, Oberstleutnant i.G. N. Er bedankte sich für die Überlassung der International Ammunition Technical Guidelines (IATG) in der aktuell vorliegenden Form und bat darum, ihm auch eventuelle Mitprüfungsbemerkungen des Bundesministeriums der Verteidigung - Fü S IV 3 - beziehungsweise des Streitkräfteunterstützungskommandos hierzu zu überlassen.

Mit E-Mail vom 26. Juli 2010 teilte Oberstleutnant i.G. N. dem Antragsteller mit, dass Fü S IV 3 zu allen Kapiteln der IATG um Mitprüfung gebeten worden sei; Fü S IV 3 habe seinerseits das Streitkräfteunterstützungskommando einbezogen. Seitens Fü S IV 3 seien einige, insgesamt gesehen wenige Anmerkungen übermittelt worden, die ausschließlich technischer Natur gewesen und allesamt übernommen worden seien. Aus Sicht von Fü ... sei es für die Arbeit des Zentrums ... nicht erforderlich, die Mitprüfungsbemerkungen des Streitkräfteunterstützungskommandos zu kennen. Insofern würden diese auch nicht zur Verfügung gestellt.

Mit Schreiben vom 27. Juli 2010 erhob der Antragsteller Beschwerde gegen Oberstleutnant i.G. N. Anhand der ihm vorenthaltenen Mitprüfungsbemerkungen könne er, der Antragsteller, ersehen, wer sich bei Fü S IV 3 und beim Streitkräfteunterstützungskommando in welcher Tiefe mit welchen Aspekten beschäftigt habe. Dies sei wichtig vor dem Hintergrund der Komplexität der Materie und des Umfangs der Dokumente. Es erschließe sich ihm daher nicht, warum er die Mitprüfungsbemerkungen nicht erhalten solle; in der Zurückhaltung dieser Informationen sehe er eine erneute bewusste Erschwernis seiner dienstlichen Tätigkeit. Bereits seit dem Herbst letzten Jahres habe er Oberstleutnant i.G. N. mehrfach um nachrichtliche Beteiligung an der Erarbeitung der Technical Guidelines gebeten, weil er hieraus wertvolle Informationen für die von ihm, dem Antragsteller, zu erarbeitenden Konzepte erhofft habe.

Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - wertete die Beschwerde als Antrag auf gerichtliche Entscheidung und legte diesen mit seiner Stellungnahme vom 10. September 2010 dem Senat vor.

Zur Begründung führt der Antragsteller ergänzend aus:

Das zielgerichtete Zurückhalten von Informationen, die dem Untergebenen die Durchführung seiner sich aus seiner Dienststellung ergebenden Aufgaben und ihm erteilten Aufträge erleichtern würden, stelle eine Verletzung der Fürsorgepflicht aus § 10 Abs. 3 SG und zugleich eine Verletzung der Kameradschaftspflicht dar. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Untergebene mehrfach begründet um die Bereitstellung dieser Informationen gebeten habe. Nach der gültigen Weisungslage gehöre es zur Aufgabe des Zentrums ..., bei konzeptionellen Überlegungen zur Rüstungskontrolle zuzuarbeiten. Für das dem Dezernat ... zugeordnete Thema der konventionellen Munition bestehe die Aufgabe des Zentrums ... u.a. in dem Bewerten von Hilfeersuchen anderer Staaten aus waffen- und munitionsfachlicher Sicht und der Mit- und Zuarbeit bei Implementierungsfragen, in der praktischen Implementierungshilfe für die Vereinten Nationen und die OSZE im Rahmen von Lehrgängen, Workshops, Bewertungsmissionen und Seminaren sowie in der Weiterentwicklung der entsprechenden Dokumente in Gremien und Arbeitsgruppen der Vereinten Nationen und der OSZE. Die in Entwicklung befindlichen IATG fielen eindeutig in diese Aufgabenzuweisung. Da er, der Antragsteller, nicht in die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen eingebunden sei, sich aber mit inhaltlich identischen Fragestellungen befasse, ziele sein Auskunftsersuchen darauf, insbesondere durch die Mitprüfungsbemerkungen zu den erarbeiteten Richtlinien Informationen dazu zu erhalten, welchen Standpunkt das Bundesministerium der Verteidigung und das Streitkräfteunterstützungskommando zu den wesentlichen technischen Fragen einnähmen. Nur wenn er diese Standpunkte kenne, könne er hierauf seine Konzepte abstimmen und Doppelarbeit vermeiden. Es gehe ihm auch darum, in den deutschen Aussagen keine Widersprüche entstehen zu lassen, die sich ohne Kenntnis der Mitprüfungsbemerkungen ergeben könnten. Im Übrigen sei er in den letzten zwei Jahren bei zahlreichen internationalen Treffen auf die IATG angesprochen worden, aber nicht auskunftsfähig gewesen, so dass durch das Zurückhalten von Informationen auch seine Reputation als für konventionelle Munition zuständiger Dezernatsleiter beschädigt worden sei. Mit Schriftsätzen seiner Bevollmächtigten vom 17. Januar und 18. März 2011 hat sich der Antragsteller nochmals eingehend zu seinen dienstlichen Aufgaben und zu den von ihm geltend gemachten Erschwernissen durch fehlende Informationen geäußert.

Der Antragsteller beantragt,

den Bundesminister der Verteidigung zu verpflichten, ihm, dem Antragsteller, die Mitprüfungsbemerkungen von Fü S IV 3 und des Streitkräfteunterstützungskommandos hinsichtlich des UN-Projekts der in Entwicklung befindlichen International Ammunition Technical Guidelines zur Verfügung zu stellen,

hilfsweise,

ihn, den Antragsteller, zu diesem Begehren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei unzulässig, weil keine individuellen Rechte des Antragstellers verletzt seien. In seiner Funktion als Dezernatsleiter ... der Abteilung ... des Zentrums ... nehme er im Wege des Organhandelns Aufgaben seiner Dienststelle für seinen Dienststellenleiter wahr. Es fehle ihm daher an einer eigenen subjektiven Betroffenheit, weil allenfalls die Rechte seines Dienststellenleiters, dem sämtliche dienstlichen Handlungen der Angehörigen der Dienststelle zuzurechnen seien, verletzt sein könnten. Es gebe auch keine Prozessstandschaft, wonach der Antragsteller im eigenen Namen Rechte seines Dienststellenleiters wahrnehmen könne. Der Wehrbeschwerdeordnung sei im Übrigen eine "Organklage" fremd.

Der Antragsteller habe auch in der Sache keinen Anspruch auf die begehrten Unterlagen. Grundsätzlich sei die Frage, ob von einer nachgeordneten Dienststelle gewünschte Unterlagen erforderlich sind, eine solche der Zweck- und nicht der Rechtmäßigkeit. Bei den Mitzeichnungsbemerkungen handele es sich um innerministeriellen Schriftverkehr, der gemäß der Geschäftsordnung des Bundesministeriums der Verteidigung nur dann an Stellen außerhalb des Ministeriums weiterzugeben sei, wenn er dort für die Erledigung der Aufgaben erforderlich sei. Für die Arbeit des Zentrums ... seien zwar die International Ammunition Technical Guidelines von Bedeutung, nicht jedoch die hierzu gefertigten Mitzeichnungsbemerkungen von Fü S IV 3 oder des Streitkräfteunterstützungskommandos. Für die Erarbeitung nationaler und internationaler munitionstechnischer Standards sei das Zentrum ... nicht zuständig; vielmehr liege insoweit die Federführung beim Bundesministerium der Verteidigung - Fü S IV 3 -, das sich hierbei der Expertise des Streitkräfteunterstützungskommandos bediene. Da Fragen der Entwicklung munitionstechnischer Standards nicht in die Zuständigkeit des Antragstellers fielen, könne dessen Reputation auch nicht beschädigt werden, wenn er hierzu nicht Stellung nehmen könne; üblicherweise biete man in solchen Fällen auch im internationalen Rahmen an, die Frage an den zuständigen Bearbeiter weiterzuleiten, der sich dann mit seiner Antwort direkt an den Fragesteller wende.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - Az.: 895/10 - und die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A bis D, haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig.

Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - hat die Beschwerde vom 27. Juli 2010 zurecht als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet, weil das vom Antragsteller beanstandete Verhalten des Referenten des Bundesministeriums der Verteidigung - Fü ... -, Oberstleutnant i.G. N., dem Bundesminister der Verteidigung im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 1 WBO zuzurechnen ist und deshalb das Bundesverwaltungsgericht unmittelbar angerufen werden kann.

Der Antrag ist im Haupt- und im Hilfsantrag unzulässig, weil dem Antragsteller die Antragsbefugnis fehlt.

Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO ) kann ein Soldat die Wehrdienstgerichte anrufen, wenn sein Antrag bzw. seine Beschwerde eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Pflichten eines Vorgesetzten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, die im Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Soldatengesetzes mit Ausnahme der §§ 24 , 25 , 30 und 31 geregelt sind. Das gerichtliche Verfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung dient damit dem individuellen, subjektiven Rechtsschutz des Soldaten; es ist kein Instrument einer objektiven Rechtskontrolle oder einer allgemeinen Aufsicht über die Bundeswehr. Der Soldat kann nur ein ihm persönlich zustehendes Recht ("sein Recht") bzw. eine Verletzung ihm persönlich dienender Pflichten ("Pflichten ... ihm gegenüber") geltend machen.

Zu den danach grundsätzlich beschwerdefähigen Rechten bzw. Vorgesetztenpflichten zählen die vom Antragsteller als verletzt gerügte Fürsorgepflicht des Vorgesetzten (§ 10 Abs. 3 SG ) und die allgemeine Kameradschaftspflicht aller Soldaten (§ 12 SG ). Allerdings stehen auch diese generalklauselartigen Pflichten unter dem Vorbehalt, dass auf sie ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässigerweise nur insoweit gestützt werden kann, als es um den individuellen, subjektiven Rechtsschutz des Soldaten geht. Sollen aus der Fürsorgepflicht oder der Kameradschaftspflicht konkrete Einzelpflichten hergeleitet werden, so bedarf es stets der Prüfung und Begründung, ob dieser Einzelpflicht ein gerade dem Soldaten zustehendes persönliches Recht, ihre Erfüllung einzufordern, korrespondiert.

Im vorliegenden Fall kann dem Antragsteller bereits abstrakt gesehen kein Recht zustehen, vom Bundesminister der Verteidigung zu verlangen, ihm zur Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben die Mitprüfungsbemerkungen des Bundesministeriums der Verteidigung - Fü S IV 3 - und des Streitkräfteunterstützungskommandos zu dem UN-Projekt der in Entwicklung befindlichen International Ammunition Technical Guidelines zu überlassen. Denn die einem Dienstposteninhaber innerhalb einer hierarchischen Militär- oder Behördenorganisation zugewiesene Wahrnehmungszuständigkeit begründet kein subjektives Recht des betreffenden Soldaten, mit dem er mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen (vermeintliche) Beeinträchtigungen bei der Aufgabenerfüllung durch andere Soldaten vorgehen könnte.

Zwar ist es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass im Binnenbereich der Exekutive Organe oder Teile von Organen mit eigenen Rechten ausgestattet sind, die auch mit prozessualen Mitteln verteidigt werden können. So ist etwa im Bereich des allgemeinen Verwaltungsprozessrechts die Statthaftigkeit sog. kommunalverfassungsrechtlicher Streitigkeiten (z.B. zwischen Gemeinderat und Bürgermeister oder Gemeinderatsmitglied und Gemeinderat) oder entsprechender Streitigkeiten zwischen den Organen bzw. Organteilen öffentlicher Hochschulen oder Rundfunkanstalten anerkannt (vgl. z.B. Beschluss vom 9. Oktober 1984 - BVerwG 7 B 187.84 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 106; vgl. ferner Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO , Stand Mai 2010, § 42 Abs. 2 Rn. 91 ff.; Kopp/Schenke, VwGO , 16. Aufl. 2009, § 42 Rn. 80, jeweils m.w.N.). Voraussetzung und Kennzeichen solcher subjektiver organschaftlicher Rechte ist allerdings in der Regel, dass die betreffenden Organe bzw. Organteile nach der rechtlichen Konstruktion, die ihren Zuständigkeiten zugrunde liegt, als selbständige Funktionsträger mit eigenem Gewicht ("Kontrastorgane") an einem pluralistisch strukturierten Willensbildungsprozess teilnehmen sollen (vgl. auch OVG Berlin, Beschluss vom 29. November 2004 - 8 S 146.04 - [...] Rn. 6, 9; Kisker, Insichprozess und Einheit der Verwaltung, 1968, S. 38 ff.).

Anders verhält es sich in hierarchisch strukturierten Organisationsformen, wie sie sich häufig in der unmittelbaren Staatsverwaltung und - idealtypisch - im Bereich der Bundeswehr finden. Konflikte, die bei der Wahrnehmung von Zuständigkeiten entstehen, werden hier - wie auch im vorliegenden Fall - nach Maßgabe der Vorgesetztenverhältnisse sowie der hierarchischen Über- und Unterordnung innerhalb der jeweiligen Behörde und im Verhältnis der Behörden zueinander im Wege der Weisung gelöst. Wahrnehmungszuständigkeiten sind demgemäß nicht als subjektives Recht des jeweiligen Dienstposteninhabers ausgestaltet; auch eine dahingehende Auslegung der Zuständigkeitsvorschriften kommt nicht in Betracht. Die individuelle Position des Dienstposteninhabers ist insoweit vielmehr durch Weisungsgebundenheit (§ 35 BeamtStG ), Folgepflicht (§ 62 BBG ) und (militärischen) Gehorsam (§ 11 SG ) einerseits sowie die Möglichkeit der Remonstration mit einer entsprechenden Verlagerung der Verantwortung (§ 36 BeamtStG , § 63 BBG ) bzw. die Verantwortung des Vorgesetzten für seine Befehle (§ 10 Abs. 5 Satz 1 SG ) andererseits gekennzeichnet. Um letzteres geht es dem Antragsteller jedoch nicht.

Da der Antrag auf gerichtliche Entscheidung mangels Antragsbefugnis unzulässig ist, bedarf die Frage keiner Klärung, ob die Kenntnis der begehrten Mitprüfungsbemerkungen für die Erfüllung der dem Antragsteller mit dem Dienstposten eines Dezernatsleiters ... in der Abteilung ... des Zentrums ... der Bundeswehr übertragenen Aufgaben erforderlich ist. Ebenso kann offen bleiben, ob und ggf. in welchem Umfang sich aus der Fürsorgepflicht und/oder der Kameradschaftspflicht (Einzel-)Pflichten zur innerdienstlichen Informationserteilung ergeben können.

Dem Antragsteller sind keine Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO nicht vorliegen.

Fundstellen
ZBR 2012, 68