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BVerfG - Entscheidung vom 06.12.2011

2 BvR 1470/11

Normen:
GG Art. 28 Abs. 1 S. 2
GG Art. 28 Abs. 2
GebRefAusfG § 7 Abs. 1 S. 1, 2
GebRefAusfG § 9 Abs. 1
GebRefAusfG § 9 Abs. 4 S. 1, 2, 3

BVerfG, Beschluss vom 06.12.2011 - Aktenzeichen 2 BvR 1470/11

DRsp Nr. 2012/2313

Verfassungsbeschwerde einer ehemals selbstständigen Gemeinde gegen ihre Eingemeindung in eine andere Gemeinde

Hält eine Kommune eine gesetzliche Regelung über die Zusammensetzung und Bildung des Gemeinderats für nicht mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl vereinbar, hat sie nicht die Möglichkeit, dies im Wege einer Verfassungsbeschwerde im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG zu rügen. Ein solcher Verstoß kann im Rahmen der Verfassungsbeschwerde grundsätzlich nur von den Wahlberechtigten geltend gemacht werden.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Normenkette:

GG Art. 28 Abs. 1 S. 2; GG Art. 28 Abs. 2 ; GebRefAusfG § 7 Abs. 1 S. 1, 2; GebRefAusfG § 9 Abs. 1; GebRefAusfG § 9 Abs. 4 S. 1, 2, 3;

Gründe

I.

1. Die Beschwerdeführerinnen - ehemals selbstständige Gemeinden, die mit Wirkung zum 1. September 2010 aufgelöst und in andere Gemeinden eingemeindet worden sind - wenden sich mit ihrem als "kommunale Verfassungsbeschwerde" bezeichneten Rechtsbehelf gegen Vorschriften des Gesetzes zur Ausführung der Gemeindegebietsrefom des Landes Sachsen-Anhalt vom 8. Juli 2010. Nach den angegriffenen Vorschriften wird im Fall einer gesetzlichen Eingemeindung der Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde, sofern eine Neuwahl des Gemeinderates nicht stattfindet, für die verbleibende Zeit bis zur nächsten allgemeinen Neuwahl um mindestens ein Mitglied des Gemeinderates der einzugemeindenden Gemeinde erweitert. Dabei obliegt die Wahl des zusätzlichen Mitglieds beziehungsweise der zusätzlichen Mitglieder entweder dem neu aus dem Gemeinderat der einzugemeindenden Gemeinde gebildeten Ortschaftsrat oder - sofern ein solcher nicht gebildet wird - dem Gemeinderat der einzugemeindenden Gemeinde vor dessen Auflösung.

2. Die Beschwerdeführerinnen rügen eine Verletzung ihres Rechts auf Einhaltung der sich aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG ergebenden Wahlgrundsätze, ausdrücklich nicht hingegen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 28 Abs. 2 GG .

Sie halten die angegriffenen Vorschriften für einen Eingriff in das "Grundrecht des Demokratiegebots". Die vorgesehene Entsendung von Mitgliedern ihrer Ortschaftsräte in den Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinden verletze die Grundsätze der Unmittelbarkeit und - wegen der Erweiterung des Gemeinderates der aufnehmenden Gemeinden um ein beziehungsweise zwei Mitglieder, die bei der letzten Kommunalwahl gar nicht zur Wahl gestanden hätten - auch der Gleichheit der Wahl. Die angegriffenen Vorschriften führten dazu, dass übergangsweise Gemeinderäte mit unterschiedlicher demokratischer Legitimation die Entscheidungen der betroffenen Gemeinden beeinflussten. Dies sei allenfalls für eine kurze Übergangsfrist hinnehmbar, nicht aber, wie hier, für einen Zeitraum von 42 Monaten.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da ihr weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt noch ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 beziehungsweise § 91 Satz 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführerinnen angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG ) oder aus anderen Gründen gerechtfertigt ist. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie offensichtlich unzulässig ist.

1. Versteht man die Verfassungsbeschwerde - ihrer ausdrücklichen Bezeichnung entsprechend - als Kommunalverfassungsbeschwerde im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG , § 91 BVerfGG , ergibt sich ihre Unzulässigkeit schon daraus, dass die Beschwerdeführerinnen, soweit ersichtlich, die Subsidiaritätsklausel zugunsten eines Rechtsschutzes durch die Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b Halbsatz 2 GG , § 91 Satz 2 BVerfGG ) nicht beachtet haben. § 2 Nr. 8 LVerfGG LSA eröffnet den Kommunen und Gemeindeverbänden im Land Sachsen-Anhalt zur Geltendmachung einer Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts den Rechtsweg zum Landesverfassungsgericht.

2. Versteht man die Verfassungsbeschwerde dagegen - weil ausdrücklich nicht auf eine Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 Abs. 2 GG gestützt - als Verfassungsbeschwerde im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG , ist sie unzulässig, weil den Beschwerdeführerinnen die Beschwerdefähigkeit fehlt.

Das folgt zum einen aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerinnen nach ihrer Auflösung und Eingemeindung mit Wirkung zum 1. September 2010 nur mehr unselbstständige Untergliederungen der aufnehmenden Gemeinden sind und - da sie sich nicht gegen den Akt ihrer Auflösung und Eingemeindung wenden - von vornherein über keine verfassungsrechtlich rügefähigen Rechtspositionen mehr verfügen (vgl. BVerfGE 83, 60 <76>).

Zum anderen kann ein Verstoß der angegriffenen Vorschriften gegen die in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG niedergelegten und über Art. 3 GG im Rahmen der Verfassungsbeschwerde rügefähigen (vgl. BVerfGE 47, 253 <269 f.>) Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl im Rahmen der Verfassungsbeschwerde nur von den Wahlberechtigten gerügt werden.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.