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BVerfG - Entscheidung vom 19.08.2011

1 BvL 15/11

Fundstellen:
DÖV 2011, 939
FamRZ 2011, 1645
FuR 2012, 35

BVerfG, Beschluss vom 19.08.2011 - Aktenzeichen 1 BvL 15/11

DRsp Nr. 2011/16451

Tenor

Die Vorlage ist unzulässig.

Gründe

Die Vorlage des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen betrifft die Frage, ob § 4 Abs. 3 Satz 1 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes ( BEEG ) in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes vom 5. Dezember 2006 (BGBl I S. 2748), nach dem der Bezug von Elterngeld für 14 Monate durch einen Elternteil grundsätzlich nicht zulässig ist, sondern mindestens zwei Monate Elterngeld vom anderen Elternteil in Anspruch genommen werden müssen (sogenannte "Partner(innen)-" oder "Vätermonate"), gegen das Grundgesetz verstößt.

I.

Der Vorlage liegt ein Verfahren zugrunde, in dem die Klägerin Elterngeld für den 13. und 14. Lebensmonat ihres Kindes beansprucht.

1.

Am 4. Juli 2007 wurde der Sohn der verheirateten Klägerin des Ausgangsverfahrens in der 27. Schwangerschaftswoche mit einem Gewicht von 960 Gramm geboren. Die Klägerin war bis zur Geburt ihres Kindes erwerbstätig. Nach der Mutterschutzfrist nahm sie Elternzeit in Anspruch. Während der ersten 18 Monate nach der Geburt war sie gar nicht und in den nachfolgenden 18 Monaten nur einen Tag in der Woche erwerbstätig. Der Vater des Kindes war vor und nach der Geburt vollzeitig erwerbstätig.

2.

Mit Bescheid vom 29. Oktober 2007 gewährte der Beklagte des Ausgangsverfahrens, der Landkreis H., vertreten durch den Landrat, aufgrund eines Antrags vom 10. September 2007 Elterngeld in Höhe des gesetzlichen Höchstbetrags von 1.800 € für die ersten zwölf Lebensmonate des Kindes. Mit Schreiben vom 18. März 2008 teilte die Klägerin mit, ihr Sohn benötige wegen seiner Frühgeburt weiterhin intensive Betreuung und spezielle therapeutische Unterstützung. Sie erklärte unter Vorlage eines ärztlichen Attests, demzufolge eine Betreuung durch die Mutter zur optimalen Entwicklung des Kindes zu bevorzugen sei, von einem Wechsel der Hauptbezugsperson absehen zu wollen. Deshalb habe sie sich mit dem Vater darauf verständigt, dass dieser nicht, wie zunächst vorgesehen, Elternzeit für den 13. und 14. Lebensmonat nehmen würde, sondern dass sie weiterhin als Hauptbezugsperson des Kindes zur Verfügung stehen werde. Sie beantragte daher, ihr auch für den 13. und 14. Lebensmonat Elterngeld zu gewähren. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 19. März 2008 abgelehnt. Der Widerspruch der Klägerin vom 12. April 2008 blieb erfolglos. Ihre Klage wurde mit Urteil vom 4. November 2010 abgewiesen. Mit Beschluss vom 13. April 2011 hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen auf die Berufung der Klägerin das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die eingangs gestellte Frage zur Entscheidung vorgelegt.

3.

a)

Eine Entscheidung, mit der dem Antrag der Klägerin entsprochen werde, sei nach Maßgabe der vorgelegten Regelung nicht möglich. Zwar habe die Klägerin die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BEEG auch während des 13. und 14. Lebensmonats des Kindes erfüllt. Im vorliegenden Fall sei der längere Bezug von Elterngeld jedoch gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 BEEG ausgeschlossen, da ein Elternteil nur für höchstens zwölf Monate Elterngeld beziehen könne. Keiner der gesetzlich vorgesehenen Ausnahmetatbestände sei einschlägig. Insbesondere ist der Senat der Ansicht, dass mit einer Betreuung des Kindes durch den Vater keine Gefährdung des Kindeswohls im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 3 und 4 BEEG in Verbindung mit § 1666 BGB zu befürchten sei. Darunter sei mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 2010 - 1 BvR 374/09 -, NJW 2010, S. 2333 <2335>) nur ein bereits eingetretener Schaden des Kindes oder eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr zu verstehen, dass sich bei einer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit der erforderlichen Sicherheit voraussagen lasse. Nach diesem strengen Maßstab könne nicht von einer Gefährdung des Kindeswohls ausgegangen werden, wenn das Kind im 13. und 14. Lebensmonat von seinem Vater statt seiner Mutter betreut würde. Angesichts seines klaren Wortlauts und der aus den Gesetzesmaterialien klar hervorgehenden Zielrichtung könne § 4 Abs. 3 Satz 1 BEEG auch nicht verfassungskonform ausgelegt werden.

b)

§ 4 Abs. 3 Satz 1 BEEG verletze Art. 6 Abs. 1 und 2 GG . Art. 6 Abs. 1 und 2 GG schützten die Freiheit der Eltern zur eigenverantwortlichen Ausgestaltung der innerfamiliären Aufgabenverteilung und stellten ein Bekenntnis zur Freiheit der spezifischen Privatsphäre von Ehe und Familie vor staatlicher Einwirkung dar. Zu dem Gehalt privater Gestaltungsfreiheit gehöre auch die Entscheidung über die Arbeitsteilung in Ehe und Familie. Das gemäß Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht erstrecke sich auch auf die Verteilung der innerfamiliären Arbeit und die Entscheidung darüber, wie die finanzielle Existenz der Familie gesichert werden solle und welcher Partner die Erziehung und Betreuung der Kinder übernehme. In diese Entscheidungsfreiheit der Eltern greife § 4 Abs. 3 Satz 1 BEEG dadurch ein, dass eine öffentlich-rechtliche Leistung zumindest für zwei Monate von einer bestimmten familiären Arbeitsverteilung abhängig gemacht werde.

Eine bestimmte Gestaltung der Ehe dürfe der Staat gemäß Art. 6 Abs. 1 GG weder unmittelbar erzwingen noch mittelbar fördern. Dementsprechend könne ein verfassungswidriger Eingriff in die grundrechtlich geschützte Entscheidungsfreiheit der Ehegatten und Eltern auch dann vorliegen, wenn der Gesetzgeber von förmlichem Zwang Abstand genommen habe. Auch ein gezielt eingesetzter wirtschaftlicher Druck sei mit Freiheitsgrundrechten unvereinbar. Ein verfassungswidriger Eingriff sei nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber lediglich ökonomische Anreize gesetzt habe.

c)

In Bezug auf die Rechtfertigung des angenommenen Eingriffs führt das vorlegende Gericht aus, Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gewährten schrankenlosen Schutz und eine Eingriffsbefugnis zum Ausgleich kollidierender Grundrechte sei nicht gegeben. Der Gesetzgeber zeige keine Umstände auf, die den Eingriff rechtfertigen könnten und solche Umstände seien auch nicht anderweitig ersichtlich.

Nach einer knappen Auseinandersetzung mit Inhalt und Zweck von Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG legt der Vorlagebeschluss dar, die Regelung könne nicht, wie dies die Gesetzesbegründung andeute, durch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG gerechtfertigt werden. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG könne nicht herangezogen werden, um grundrechtliche Freiheiten zu beschränken. Daher könne Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG keinen Eingriff in die Ehe- und Familiengestaltungsfreiheit rechtfertigen. Auch gestatte die Norm nur zielgerichtete Maßnahmen zum Ausgleich konkreter objektivierbarer Nachteile unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit. Der Gesetzgeber mache nicht deutlich, welche Nachteile ausgeglichen werden sollen. Die Ausgestaltung der innerfamiliären Aufgabenverteilung durch die Eltern könne von einer Vielzahl von Faktoren abhängig sein, wie individuellen Präferenzen und Fähigkeiten, Ausbildung und beruflichen Chancen, dem Wohlergehen der Kinder, dem Wunsch, selbst zu stillen und sich nach der Geburt gesundheitlich zu regenerieren sowie dem örtlichen Arbeitsmarkt und den Belangen der auf beiden Seiten betroffenen Arbeitgeber. Die finanzielle Lage vieler Familien, in denen die Väter meist mehr verdienten als die Mütter, mache die Wahrnehmung der Elternzeit durch den Vater unattraktiv. Dies hätte der Gesetzgeber abmildern können, indem er das Elterngeld stärker am tatsächlichen Einkommensverlust orientiert hätte. Darüber hinaus seien Frauen - wenn auch nur im Rahmen typisierender Betrachtungen - möglicherweise insgesamt mehr auf familiäre Werte ausgerichtet, während bei Männern eine stärkere Erwerbsorientierung vorliegen könnte. In einer Verteilung der Familienarbeit entsprechend diesen Faktoren könne kein Nachteil im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG gesehen werden. Dass Arbeitgeber, beispielsweise durch ein stärkeres Appellieren an Frauen, Elternzeit zu nehmen, Frauen die Betreuungsarbeit zuweisen würden, habe der Gesetzgeber nicht objektiv dargelegt.

Die vorgelegte Regelung sei jedenfalls unverhältnismäßig, weil ihr bereits die Eignung fehle, die innerfamiliäre Arbeitsverteilung zu beeinflussen. Das Elterngeld verbessere nicht objektivierbar die Chancen von Männern, aktive Väter zu sein. Es ließe sich nicht einmal konkret ein Zusammenhang herstellen zwischen der Wahrnehmung von zwei Monaten Elterngeld und dem Beitrag an der Gesamterziehung eines Kindes zum Erwachsenen. Dementsprechend sei die vorgelegte Norm als verfassungswidrig anzusehen.

II.

Der Beschluss ist unzulässig.

1.

Ein Gericht kann eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage als auch die Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Vorschrift sorgfältig geprüft hat. Eine solche Prüfung ist schon deshalb erforderlich, weil das Gericht mit der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zunächst eine Entscheidung in der Sache verweigert und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert. Der verfassungsrechtliche Justizgewährungsanspruch fordert vom Gericht, den Rechtsstreit so zu behandeln, dass eine Verzögerung durch Anrufung des Bundesverfassungsgerichts nach Möglichkeit vermieden wird (vgl. BVerfGE 78, 165 <178>).

Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt ein Vorlagebeschluss nur, wenn die Ausführungen des vorlegenden Gerichts erkennen lassen, dass es eine solche Prüfung vorgenommen hat. Die Darlegungen des vorlegenden Gerichts zur Verfassungswidrigkeit der Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nennen und die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar darstellen. Dabei muss das Gericht jedenfalls auf naheliegende tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte eingehen (vgl. BVerfGE 86, 52 <57>) und die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 100 <104>; 79, 240 <243 f.>; 86, 71 <77>). Insbesondere muss der Vorlagebeschluss auf die maßgebliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eingehen. Weiterhin kann es erforderlich sein, die Gründe zu erörtern, die im Gesetzgebungsverfahren als für die gesetzgeberische Entscheidung maßgebend genannt worden sind (vgl. BVerfGE 78, 201 <204>; 81, 275 <277>; 86, 71 <77 f.>).

2.

Diesen Anforderungen wird der Vorlagebeschluss nicht gerecht. Das vorlegende Gericht ist auf naheliegende tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte nicht hinreichend eingegangen und hat für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Norm maßgebliche Rechtsprechung und Literatur nicht ausreichend berücksichtigt. Insbesondere hat es versäumt, sich im Lichte der in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen mit jenen Gründen auseinanderzusetzen, die im Gesetzgebungsverfahren als für die gesetzgeberische Entscheidung maßgebend genannt worden sind.

a)

Zwar hat der umfangreiche Vorlagebeschluss den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab, soweit er sich aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG ergeben kann, herausgearbeitet und insoweit die wesentlichen rechtlichen Erwägungen dargelegt. Das Gericht ist jedoch in seinen ansonsten sehr ausführlichen Darlegungen kaum auf die in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Auffassungen zur Bedeutung von Art. 3 Abs. 2 GG eingegangen, obwohl sich der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien bei der Regelung zu den "Partnermonaten" gerade hieran orientiert hat.

aa)

Die vorgelegte Regelung zielte darauf, "die einseitige Zuweisung der Betreuungsarbeit an die Frauen mit den diskriminierenden Folgen auf dem Arbeitsmarkt aufzubrechen". Damit wollte der Gesetzgeber dem Auftrag zur Förderung der Gleichberechtigung aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG entsprechen (BTDrucks 16/1889, S. 23). Sinn und Zweck der Regelungen zu den "Partnermonaten" sei es, die partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zu erleichtern. Dieser Zweck könne nur erreicht werden, wenn den bisherigen wirtschaftlichen, persönlichen und rechtlichen Argumenten für eine stärkere Rollenteilung eine klare Regelung an die Seite gestellt werde, die den Argumenten für eine partnerschaftliche Aufteilung mehr Gewicht verleihe (BTDrucks 16/1889, S. 24).

bb)

Auf diese Entwurfsbegründung hat das Landessozialgericht zwar hingewiesen. Es hat sich jedoch nicht hinreichend mit dem von Rechtsprechung und Literatur herausgearbeiteten und hier vom Gesetzgeber offenkundig aufgegriffenen Verfassungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG auseinandergesetzt, die Gleichberechtigung der Geschlechter in der gesellschaftlichen Wirklichkeit durchzusetzen und überkommene Rollenverteilungen zu überwinden (stRspr; vgl. BVerfGE 92, 91 <112 f.>). Das Landessozialgericht führt hierzu lediglich aus, in der Übernahme der Familienarbeit liege kein gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG ausgleichsbedürftiger Nachteil. Die Rechte aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG seien schrankenlos geschützt und Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG könne Eingriffe in Freiheitsgrundrechte nicht rechtfertigen.

(1)

Dabei erfolgt keine hinreichende Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 2 GG .

Das Landessozialgericht geht weder näher darauf ein, dass Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Ziel verfolgt, tradierte Rollenverteilungen zu überwinden (vgl. BVerfGE 92, 91 <112 f.>; 114, 357 <370 f.>; ebenso bereits zu Art. 3 Abs. 2 GG a.F.: BVerfGE 85, 191 <207>; 87, 1 <42>; 87, 234 <258>). Der Verfassungsauftrag will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen (vgl. BVerfGE 85, 191 <207> m.w.N.). Dies verpflichtet den Gesetzgeber auch dazu, einer Verfestigung überkommener Rollenverteilung zwischen Mutter und Vater in der Familie zu begegnen, nach der das Kind einseitig und dauerhaft dem "Zuständigkeitsbereich" der Mutter zugeordnet würde (vgl. BVerfGE 114, 357 <370 f.>). Mit dieser Rechtsprechung hat sich das Landessozialgericht nicht näher befasst. So hat es in tatsächlicher Hinsicht nicht erwogen, ob Väter durch die vorgelegte Regelung ermutigt werden könnten, ihrem eigenen Wunsch entsprechend Elternzeit zu nehmen, etwa weil durch die vor allem auf Väter zielende Regelung der "Partnermonate" gesellschaftliche Vorurteile, insbesondere in der Arbeitswelt, abgebaut werden könnten. Nahegelegen hätte auch die vom vorlegenden Gericht nicht angestellte Überlegung, dass die - für die bestehende Rollenverteilung mitursächlichen - geringeren Aufstiegschancen von Frauen, die zumindest auch auf der Besorgnis von Arbeitgebern beruhen könnten, Frauen seien wegen Kinderbetreuungszeiten beruflich nicht kontinuierlich verfügbar, teilweise ausgeglichen werden könnten, wenn zunehmend auch Männer von ihrem Anspruch auf Elternzeit Gebrauch machten.

Noch setzt sich der Vorlagebeschluss näher mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinander, in der Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG als verfassungsimmanenter Rechtfertigungsgrund für Ungleichbehandlungen nach dem Geschlecht in Betracht gezogen wurde (vgl. BVerfGE 85, 191 <209 f.> zu Art. 3 Abs. 2 GG a.F.; 92, 91 <112 f.>; 114, 357 <370 f.>). Es hätte nahegelegen, die Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf einen, vom vorlegenden Gericht hier bejahten, Eingriff in Freiheitsrechte aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG zu erörtern.

Nahegelegen hätte schließlich eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die dem Gesetzgeber bei der Frage, wie er dem Gebot des Art. 3 Abs. 2 GG nachkommt, einen Gestaltungsspielraum zugesteht. Die Art und Weise, wie der Staat seine Verpflichtung erfüllt, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken, obliegen der gesetzgeberischen Ausgestaltungsbefugnis (vgl. BVerfGE 109, 64 <90>). Im Vorlagebeschluss finden sich keine näheren Darlegungen dazu, dass der Gesetzgeber diesen Gestaltungsspielraum mit der vorgelegten Regelung überschritten haben könnte.

(2)

Das vorlegende Gericht geht in seinen ansonsten weit ausgreifenden Ausführungen auch kaum auf die in der Literatur entwickelten Positionen zur Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 GG ein. Neben der Spezialliteratur zu Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG bleibt die leicht zugängliche umfangreiche Kommentarliteratur zu dieser Norm weitgehend unberücksichtigt. Unberücksichtigt gelassen hat das vorlegende Gericht zudem Literatur, die sich speziell mit der durch den Vorlagebeschluss aufgeworfenen Frage gründlich befasst und hierzu umfangreiche Nachweise zu Rechtsprechung und Literatur enthält (s. insbes. Brosius-Gersdorf, Vätermonate - Staatliche Familienförderung zwischen Neutralitätspflicht und Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter, VSSR 5/2008, S. 299 ff.; s. auch Müller-Terpitz, Vätermonate und Kindergartenpflicht - wie viel Staat verträgt die Familie?, JZ 2006, S. 991 ff.).

b)

Unzureichend sind die Darlegungen des vorlegenden Gerichts auch hinsichtlich der Annahme, der unterstellte Eingriff in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG sei unverhältnismäßig, weil die vorgelegte Regelung nicht geeignet sei, zu einer partnerschaftlicheren Rollenverteilung beizutragen. Insoweit fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der naheliegenden Frage nach der Reichweite von Einschätzungs- und Prognosespielräumen des Gesetzgebers. Ein vom Gesetzgeber gewähltes Mittel ist im verfassungsrechtlichen Sinn bereits dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (stRspr; vgl. BVerfGE 125, 260 <317 f.> m.w.N.). Demnach wäre die vom Gesetzgeber getroffene Regelung nur dann mangels Eignung verfassungswidrig, wenn sie zur Erreichung des durch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG vorgegebenen Ziels, zu einer partnerschaftlicheren Rollenverteilung beizutragen, evident ungeeignet wäre. Dazu hat das vorlegende Gericht keine Ausführungen gemacht. Dass sich eine evidente Ungeeignetheit darlegen ließe, erscheint im Übrigen angesichts der tatsächlichen Entwicklung eher zweifelhaft. Betrug nach Angaben des Statistischen Bundesamtes der Anteil der Kinder, deren Vater Elterngeld bezog, bei den im Jahr 2007 geborenen Kinder noch 15,4 %, so stieg deren Anteil bei Geburten im 3. Quartal 2009 auf 23,9 % an. Diese Daten lassen eine Steigerung der Akzeptanz der Wahrnehmung von Familienverantwortung durch Väter - und damit längerfristig auch die Erreichung des vom Gesetzgeber angestrebten Zwecks - zumindest als möglich erscheinen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 13.04.2011 - Vorinstanzaktenzeichen L 2 EG 20/10
Fundstellen
DÖV 2011, 939
FamRZ 2011, 1645
FuR 2012, 35