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BGH - Entscheidung vom 14.07.2011

V ZB 5/11

Normen:
AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5

BGH, Beschluss vom 14.07.2011 - Aktenzeichen V ZB 5/11

DRsp Nr. 2011/14682

Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Haftantrages zwecks Abschiebung eines ohne Identitätspapiere und Aufenthaltstitel eingereisten Ausländers

Tenor

Dem Betroffenen wird mit Wirkung ab 24. März 2011 Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwältin Dr. Ackermann beigeordnet.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. Dezember 2010 aufgehoben und festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 4. Juni 2010 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen aller Instanzen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1; FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste am 30. Mai 2010 im Laderaum eines polnischen Kühltransporters aus Polen kommend in die Bundesrepublik Deutschland ohne Identitätspapiere und Aufenthaltstitel ein. Er wurde von Beamten der Beteiligten zu 2 im grenznahen Gebiet festgenommen. Nachdem eine zunächst von der Beteiligten zu 2 beabsichtigte Zurückschiebung nach Polen im sog. vereinfachten Verfahren gescheitert war, ordnete das Amtsgericht Cottbus am 31. Mai 2010 zunächst die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung für die Dauer von fünf Tagen an. Am 3. Juni 2010 hat die Beteiligte zu 2 die Anordnung der Sicherungshaft bis zum 30. August 2010 beantragt. In dem Haftantrag heißt es u.a., der Betroffene sei "strafrechtlich vernommen und wegen des Verdachtes der unerlaubten Einreise und Aufenthalt beanzeigt" worden. Nach dem beigefügten Vernehmungsprotokoll ist der Betroffene als Beschuldigter in einem Strafverfahren belehrt worden.

Am 4. Juni 2010 hat das Amtgericht Sicherungshaft bis zum 30. August 2010 angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde, die der Betroffene nach seiner Haftentlassung mit einem Fortsetzungsfeststellungsantrag weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte er die Feststellung erreichen, dass er durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 4. Juni 2010 in seinen Rechten verletzt worden ist. Für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens beantragt er Verfahrenskostenhilfe.

II.

Das Beschwerdegericht meint, der Haftantrag sei zulässig gewesen. Die Voraussetzungen für eine Haftanordnung hätten auch im Übrigen vorgelegen.

III.

1.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene ist in seinen Rechten verletzt. Die Haft hätte schon deshalb nicht angeordnet werden dürfen, weil der Haftantrag unzulässig war.

a)

Ob ein zulässiger Haftantrag vorliegt, ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210 , 211; Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10, [...] Rn. 6; jeweils mwN). Zu den unerlässlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen gehört es nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG, dass die Antragsbegründung insbesondere Angaben zu den Voraussetzungen und zur Durchführbarkeit der Abschiebung enthält (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, InfAuslR 2011, 202, 203 Rn. 8 f.). Diesen Anforderungen wird der gestellte Antrag nicht gerecht.

Nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden. Zwar kann das Einvernehmen auch allgemein erteilt werden (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, [...] Rn. 25; Senat, Beschluss vom 10. Februar 2011 - V ZB 49/10, [...] Rn. 8). Es muss jedoch - gleichgültig auf welche Weise es erteilt wird - im Zeitpunkt der Haftanordnung vorliegen (Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 93/10, NVwZ 2010, 1574, 1575, Rn. 8). Für die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung gilt nichts anderes (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, [...] Rn. 13 ff.). Fehlen in dem Haftantrag Ausführungen dazu, obwohl sich aus dem Antrag selbst oder aus den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass die öffentliche Klage erhoben worden ist oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt wird, ist der Haftantrag unzulässig (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, aaO; Senat, Beschluss vom 10. Februar 2011 - V ZB 49/10, aaO). So verhält es sich hier. Wie sich aus dem Haftantrag und dem beigefügten Protokoll über die Beschuldigtenvernehmung ergibt, wurde gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt.

b)

Der Verfahrensmangel kann selbst durch die spätere Erteilung des Einvernehmens nicht rückwirkend und für die Zukunft nur unter der Voraussetzung geheilt werden, dass die den Haftantrag stellende Behörde die Antragsbegründung um Darlegungen zu dem nunmehr vorliegenden Einvernehmen ergänzt und der Betroffene hierzu in einer Anhörung Stellung nehmen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11, [...] Rn. 11). An beidem fehlt es hier.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Sätze 1 und 2, 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO . Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG), zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.

II.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe sind von dem Tag der Antragstellung an erfüllt.

Vorinstanz: AG Eisenhüttenstadt, vom 04.06.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 23 XIV 50/10
Vorinstanz: LG Frankfurt an der Oder, vom 15.12.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 15 T 65/10