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BGH - Entscheidung vom 19.05.2011

V ZB 49/11

Normen:
FamFG § 62 Abs. 1
AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1

BGH, Beschluss vom 19.05.2011 - Aktenzeichen V ZB 49/11

DRsp Nr. 2011/11380

Zulässigkeit eines Haftantrags ohne Angaben zu dem für die aufenthaltsrechtliche Zurückschiebung erforderlichem Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft

Auf die Rechtsmittel des Betroffenen wird der Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 27. Januar 2011 aufgehoben und festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Nordhorn vom 14. September 2010 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

FamFG § 62 Abs. 1; AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1;

Gründe

I.

Der Betroffene wurde am 12. Dezember 2009 aus den Niederlanden kommend auf einem Parkplatz der BAB 30 von Beamten der Bundespolizei überprüft. Er konnte keinen gültigen Pass und keinen Aufenthaltstitel vorlegen, sondern lediglich einen norwegischen Führerschein und eine norwegische Postidentitätskarte. Eine Überprüfung der darin enthaltenen Personalien ergab, dass der Betroffene von den norwegischen Behörden zum Zweck der Festnahme und Vorführung gesucht wurde.

Auf Antrag der beteiligten Behörde, nach welchem der Verdacht der unerlaubten Einreise und des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland bestand und dem ein "Vorläufiger Ermittlungsbericht" beigefügt war, in welchem der Betroffene als Beschuldigter bezeichnet wird, hat das Amtsgericht am 12. Dezember 2009 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung nach Norwegen für die Dauer von längstens sechs Wochen angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde, mit welcher der Betroffene nach seiner Zurückschiebung die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung beantragt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde will er die Feststellung der Rechtsverletzung durch die Haftanordnung erreichen.

II.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts erfolgte die Haftanordnung zu Recht. Es habe der in § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG genannte Haftgrund vorgelegen. Dass er sich der Zurückschiebung nicht entziehen werde, habe der Betroffene nicht glaubhaft gemacht.

III.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft.

a)

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die Vorschrift des § 62 FamFG, welche die Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags für die Beschwerde ausdrücklich bestimmt, auf die Rechtsbeschwerde entsprechend anzuwenden (siehe nur Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZR 172/09, FGPrax 2010, 150, 151 Rn. 9 f.; Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 153 Rn. 4).

b)

Ohne Zulassung ist die Rechtsbeschwerde auch dann statthaft, wenn - wie hier - bereits das Beschwerdegericht über einen Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG entschieden hat und in dem Rechtsbeschwerdeverfahren die Überprüfung dieser Entscheidung verlangt wird (Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZR 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 4).

2.

Die Form- und Fristerfordernisse für die Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde (§ 71 FamFG) sind gewahrt.

3.

In der Sache hat die Rechtsbeschwerde Erfolg. Die Haftanordnung des Amtsgerichts hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil schon kein zulässiger Haftantrag vorlag.

a)

Das Fehlen des nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch für die Zurückschiebung erforderlichen Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltschaft führt nicht nur zu Unzulässigkeit der Haft, sondern zur Unzulässigkeit des Haftantrags, wenn sich aus ihm oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne Weiteres ergibt, dass gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist und der Antrag zu dem Vorliegen des Einvernehmens keine Angaben enthält (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, Rn. 7, 10 ff., [...]). So ist es hier. Aus dem Haftantrag der beteiligten Behörde und seiner Anlage ergibt sich, dass der Betroffene wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise und des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland als Beschuldigter vernommen worden ist. Es war somit ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ihn anhängig. Gleichwohl enthält der Haftantrag keine Angaben dazu, ob das Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft mit der Zurückschiebung vorlag. Die von der beteiligten Behörde geäußerten Zweifel an diesem Erfordernis auch bei Zurückschiebungen sind unbegründet.

b)

Das Fehlen eines zulässigen Haftantrags führt dazu, dass ohne weitere Sachaufklärung - unter Aufhebung des Beschlusses des Beschwerdegerichts - festzustellen ist, dass die Haftanordnung den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2 , § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO . Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland, der die beteiligte Behörde angehört, zur Erstattung der zweckentsprechenden Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens bestimmt sich nach § 30 Abs. 2 , § 128c Abs. 2 KostO .

Vorinstanz: AG Nordhorn, vom 14.09.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 11 XIV 4259 B
Vorinstanz: LG Osnabrück, vom 27.01.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 11 T 620/10