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BGH - Entscheidung vom 14.12.2011

2 StR 502/11

Normen:
StGB § 21
StGB § 213
StGB § 227 Abs. 1
StGB § 227 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 14.12.2011 - Aktenzeichen 2 StR 502/11

DRsp Nr. 2012/912

Zulässigkeit einer strafschärfenden Verwertung der Handlungsintensität bei Verursachung dieser starken Handlungsintensität in einem Zustand der erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit; Zulässigkeit einer Verneinung eines minderschweren Falles unter Hinweis auf das besonders schwerwiegende Ausmaß der Gewalteinwirkung

1. Die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn und soweit sie gerade Ausdruck des die erhebliche Minderung seiner Schuldfähigkeit begründenden geistig-seelischen Zustandes - etwa eines Affektes und einer Alkoholintoxikation - ist.2. Für eine strafschärfende Verwertung der Handlungsintensität verbleibt zwar durchaus Raum nach dem Maß der geminderten Schuld; jedoch muss das Urteil erkennen lassen, dass sich der Tatrichter dieser Problematik bewusst war und ihr Rechnung getragen hat.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 28. Juli 2011 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts als Schwurgericht zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 21 ; StGB § 213 ; StGB § 227 Abs. 1 ; StGB § 227 Abs. 2 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO ).

1.

Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:

Der nicht vorbestrafte Angeklagte hatte einen sehr engen Kontakt zu seiner Schwester, dem späteren Tatopfer, und deren Familie. Er passte auf ihre Kinder auf, als diese noch jünger waren, und kümmerte sich um seinen schwer erkrankten und pflegebedürftigen Schwager. Nach dessen Tod unterstützte der Angeklagte seine Schwester, indem er einkaufte, die Wäsche wusch und kochte. Der Angeklagte und die Geschädigte waren schließlich nahezu die einzigen Bezugspersonen füreinander. Beide konsumierten im Übermaß Alkohol. Das Tatopfer war aufgrund der Alkoholsucht körperlich verfallen, lag tagelang im Schlafanzug auf der Couch und trank dort pausenlos Alkohol. Im betrunkenen Zustand beschimpfte die Geschädigte den Angeklagten regelmäßig; dieser stand ihren verbalen Attacken hilflos gegenüber. Am Silvesterabend 2010 entbrannte erneut ein Streit zwischen den Geschwistern, der gegen 22.00 Uhr eskalierte. Als der Angeklagte, der möglicherweise bereits einen Alkoholpegel von 4,5 Promille erreicht hatte, seiner Schwester, die etwa 2,11 Promille Alkohol im Blut hatte, vorwarf, mit ihren "ewigen" Verbalattacken Schuld am Krebstod ihres Ehemannes zu sein, sprang diese von der Couch auf und verpasste ihm eine Ohrfeige. Diese Ohrfeige war "zu viel" für den Angeklagten. Er schubste seine Schwester zurück auf die Couch und schlug wahllos auf sie ein. Schließlich packte er die ihm körperlich deutlich unterlegene Geschädigte am Arm und am Kragen, wodurch sie zwischen Couch und Couchtisch rutschte und dort eingeklemmt wurde. Der Angeklagte, der Treckingschuhe trug, trat nunmehr aus einem Gefühlsgemisch aus Wut und situationsbedingter Hilflosigkeit mindestens vier Mal mit voller Wucht gegen den Kopf seiner Schwester, obschon er als trinkgewohnter Alkoholkonsument auch bei seiner Alkoholisierung hätte erkennen können, dass solche Tritte gegen den Schädel zum Tod führen können. Die Geschädigte erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma, an dem sie innerhalb kürzester Frist verstarb.

Das Landgericht hat dem Angeklagten zugutegehalten, dass er zur Tatzeit an einer krankhaften seelischen Störung in Form einer Alkoholintoxikation litt, durch die seine Steuerungsfähigkeit bei erhaltener Einsicht in das Unrecht erheblich vermindert war (§ 21 StGB ). Darüber hinaus und unabhängig davon ist das Schwurgericht von einem erheblichen Affekt des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB ausgegangen. Es hat die Annahme eines minderschweren Falles (§ 227 Abs. 2 StGB ) abgelehnt, jedoch den Regelstrafrahmen des § 227 Abs. 1 StGB gemäß §§ 49 Abs. 1 , 21 StGB gemildert.

2.

Die Wahl des Strafrahmens und die Strafzumessung begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a)

Allerdings hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 213 StGB , bei deren Vorliegen die Strafe zwingend nach § 227 Abs. 2 StGB zu mildern wäre (BGHSt 25, 222 ; BGH NStZ-RR 2000, 80 ), mit rechtlich tragfähiger Begründung für nicht gegeben erachtet. Die Strafkammer hat ohne Rechtsfehler darauf abgestellt, dass die dem Angeklagten von der Geschädigten verabreichte Ohrfeige bereits bei objektiver Betrachtung keine schwer wiegende Beleidigung darstelle. Außerdem sei der Ohrfeige eine erhebliche Beleidigung des Opfers durch den Angeklagten vorausgegangen, der ihr vorgeworfen hatte, dass sie die Schuld am Tod ihres Ehemannes trage.

b)

Soweit das Landgericht allerdings einen minderschweren Fall im Übrigen vor allem unter Hinweis auf das "besonders schwer" wiegende "Ausmaß der Gewalteinwirkung" verneint (UA 18) und hierauf bei der Bemessung der Strafe mit pauschaler Verweisung Bezug genommen hat, hält dies unter den gegebenen Umständen rechtlicher Prüfung nicht stand.

Die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn und soweit sie gerade Ausdruck des die erhebliche Minderung seiner Schuldfähigkeit begründenden geistig-seelischen Zustandes - etwa wie hier eines Affektes und einer Alkoholintoxikation - ist (BGH NStZ 1997, 592 mN). Für eine strafschärfende Verwertung der Handlungsintensität verbleibt zwar durchaus Raum nach dem Maß der geminderten Schuld; jedoch muss das Urteil erkennen lassen, dass sich der Tatrichter dieser Problematik bewusst war und ihr Rechnung getragen hat (BGH NStZ-RR 2003, 104 mN). Dass dies hier der Fall gewesen wäre, ergeben die Urteilsgründe, in denen die Brutalität der Tatausführung an mehreren Stellen ohne Einschränkung hervorgehoben wird, weder ausdrücklich, noch in ihrer Gesamtschau.

Darüber hinaus hat das Landgericht bei der Prüfung des minderschweren Falles und bei der eigentlichen Strafzumessung den von ihm als im Sinn des § 21 StGB erheblich bewerteten Affekt nicht erkennbar zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt. Dabei handelte es sich jedoch angesichts der Feststellungen des angefochtenen Urteils um einen Umstand, der nicht außer Betracht gelassen werden durfte.

3.

Die aufgezeigten Rechtsfehler können sich sowohl bei der Bestimmung des Strafrahmens als auch bei der Strafzumessung im eigentlichen Sinne ausgewirkt haben. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer zum Nachteil des Angeklagten der Art der Tatausführung eine zu große Bedeutung beigemessen hat. Ebenso ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Affektes zu einer anderen Beurteilung des minderschweren Falles gelangt wäre. Insoweit wird das neu zur Entscheidung berufene Gericht allerdings zu prüfen haben, ob die Annahme eines hochgradigen Affekts im Sinne einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung an einem Vorverschulden des Angeklagten scheitert (vgl. Fischer StGB 58. Aufl. 2011 § 21 Rn. 15 mN). Ein Anhaltspunkt hierfür könnte die Feststellung im angefochtenen Urteil sein, dass der Angeklagte zu Beginn des die eigentliche Tat auslösenden Handlungsablaufes die Geschädigte massiv beleidigt hat (UA 17).

Vorinstanz: LG Bonn, vom 28.07.2011