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BGH - Entscheidung vom 30.06.2011

V ZB 98/11

Normen:
FamFG § 23 Abs. 1 S. 4
FamFG § 417

BGH, Beschluss vom 30.06.2011 - Aktenzeichen V ZB 98/11

DRsp Nr. 2011/14539

Zulässigkeit der Abschiebungshaft bei fehlender Unterschrift und Begründung zur erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung und Durchführbarkeit der Abschiebung auf dem Haftantrag

Die Anordnung der Haft zur Sicherung einer Abschiebung ist aufzuheben, wenn der zugrundeliegende Haftantrag mangels Ausführungen zu der erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung (§ 417 Abs. 2 Nr. 4 FamFG) und zu der Durchführbarkeit der Abschiebung (§ 417 Abs. 2 Nr. 5 FamFG) unzulässig ist.

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Betroffenen werden der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 19. April 2011 und der Beschluss des Amtsgerichts Halberstadt vom 4. April 2011 aufgehoben.

Der Antrag der beteiligten Behörde auf Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen vom 4. April 2011 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis W. auferlegt.

Der Gegenstandswert des Verfahrens beträgt in allen Instanzen 3.000 €.

Normenkette:

FamFG § 23 Abs. 1 S. 4; FamFG § 417;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste erstmals im Jahr 2004 illegal in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte -erfolglos -die Anerkennung als Asylberechtigter. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) forderte ihn mit seinen damaligen Verfahrensbevollmächtigten am 12. Mai 2006 zugestellten Bescheid zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland auf und drohte darin die Abschiebung an. Zu der Abschiebung kam es jedoch nicht, weil der Betroffene untertauchte.

Am 25. März 2011 reiste er erneut illegal in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte bei dem BAMF wiederum einen Asylantrag.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von längstens drei Monaten und die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung angeordnet. Die Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

II.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts liegen die in § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 5 AufenthG genannten Haftgründe vor. Der erneut gestellte Asylantrag stehe der Haftanordnung nicht entgegen. Zu der Dauer der Haft sei darauf hinzuweisen, dass das Amtsgericht antragsgemäß die Sicherungshaft angeordnet habe, deren Dauer drei Monate nicht überschreiten solle.

III.

Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 71 Abs. 1 und 2 FamFG) Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Abschiebungshaft durfte nicht angeordnet werden.

1.

Der Haftanordnung lag kein zulässiger Haftantrag (§ 417 FamFG) zugrunde.

a)

Dies folgt entgegen der Annahme des Betroffenen allerdings nicht aus dem Umstand, dass der Haftantrag vom 4. April 2011 nicht unterschrieben ist. Denn die Unterschrift unter einem verfahrenseinleitenden Antrag (§ 23 Abs. 1 Satz 4 FamFG) ist ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen; dazu müssen dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können, und es muss feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - V ZB 210/10, InfAuslR 2011, 71, 72 Rn. 11 mwN).

Demnach ist der Haftantrag hier wirksam. Nach dem Protokoll der Anhörung des Betroffenen vor dem Amtsgericht ist der ohne weiteres der beteiligten Behörde zuzuordnende Antrag im Beisein einer Mitarbeiterin des Landkreises H. , die in Amtshilfe für die beteiligte Behörde aufgetreten ist, nicht nur erörtert, sondern auch von dieser ergänzt worden. Damit standen die Urheberschaft der beteiligten Behörde und die Bestimmung des Schriftstücks als verfahrenseinleitender Antrag fest.

b)

Der Haftantrag ist jedoch deshalb unzulässig, weil er keine ausreichende Begründung enthält. Es fehlen Ausführungen zu der erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung (§ 417 Abs. 2 Nr. 4 FamFG) und zu der Durchführbarkeit der Abschiebung (§ 417 Abs. 2 Nr. 5 FamFG). Insoweit ist der schriftliche Antrag später nicht, auch nicht in dem Beschwerdeverfahren, ergänzt worden. Da jedoch der Antrag und dessen Begründung die Grundlage für die Anhörung des Betroffenen bilden, muss sowohl die Antragstellung als auch die Antragsbegründung aus den Verfahrensakten selbst ersichtlich sein; diese müssen daher entweder den vollständigen schriftlichen Haftantrag enthalten, oder die Antragsbegründung muss sich aus dem Protokoll über die Anhörung des Betroffenen ergeben (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, NVwZ 2010, 1508, 1509; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10 Rn. 13, [...]; Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10 Rn. 6, [...]). Fehlt beides, ist eine Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Haftanordnung in den Rechtsmittelinstanzen nicht möglich (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO; Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10, aaO). Die deshalb verbleibenden Zweifel an eine den Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG entsprechende Antragstellung wirken zu Lasten der beteiligten Behörde (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO; Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10, aaO). Das führt zur Aufhebung sowohl des die Haft anordnenden Beschlusses als auch des sie aufrechterhaltenden Beschlusses des Beschwerdegerichts.

2.

Die Beschwerdeentscheidung und die Haftanordnung enthalten im Übrigen - worauf der Senat bereits in dem Aussetzungsbeschluss vom 6. Mai 2011 hingewiesen hat - keine Prognose im Sinne von § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG . Auch deshalb sind sie aufzuheben.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO . Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 2 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Landkreis W. , dem die beteiligte Behörde angehört, zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten (vgl. § 430 FamFG).

Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO in Verbindung mit § 30 Abs. 2 KostO .

Vorinstanz: AG Halberstadt, vom 04.04.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 11 XIV 6/11
Vorinstanz: LG Magdeburg, vom 19.04.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 3 T 170/11