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BGH - Entscheidung vom 06.07.2011

XII ZB 304/10

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 06.07.2011 - Aktenzeichen XII ZB 304/10

DRsp Nr. 2011/13787

Voraussetzungen für einseitige Erklärung der Erledigung durch den Beschwerdeführer im Rechtsbeschwerdeverfahren

1. Vom Beschwerdeführer kann im Rechtsbeschwerdeverfahren die Erledigung einseitig erklärt werden, wenn das erledigende Ereignis außer Streit steht.2. Zwar sieht § 522 Abs. 1 ZPO für den Fall einer Verwerfung eines unzulässigen Rechtsmittels eine Anhörung der Partei nicht ausdrücklich vor. Die Pflicht zur Anhörung des Rechtsmittelführers folgt aber unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG .

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg vom 26. Mai 2010 erledigt ist.

Von der Erhebung von Gerichtskosten für die Rechtsbeschwerdeinstanz wird abgesehen (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG ).

Beschwerdewert: 3000 €

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; ZPO § 522 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 8. Januar 2010 eine Umgangsregelung für das gemeinsame Kind der Antragstellerin und des Antragsgegners getroffen.

Mit einem beim Oberlandesgericht durch Telefax am 19. Februar 2010 eingegangenem Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten hat die Antragsgegnerin Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen den ihr am 19. Januar 2010 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts beantragt. Belege zum Nachweis der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsgegnerin waren dem Telefax entgegen der Anweisung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin nicht beigefügt

Den Prozesskostenhilfeantrag hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 8. März 2010, der Antragsgegnerin zugestellt am 19. März 2010, mit der Begründung abgelehnt, die Antragsgegnerin habe ihre Bedürftigkeit nicht nachgewiesen.

Mit einem weiteren Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten, der am 19. März 2010 beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat die Antragsgegnerin Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss eingelegt, diese zugleich begründet und Wiedereinsetzung in die Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Beschwerde beantragt.

Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 26. Mai 2010 das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Beschwerde als unzulässig verworfen. Diese Entscheidung hat die Antragsgegnerin mit der Rechtsbeschwerde angegriffen.

Auf eine nach Einlegung der Rechtsbeschwerde erhobene Gegenvorstellung der Antragsgegnerin hat das Oberlandesgericht den angegriffenen Beschluss aufgehoben und der Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde mit der Begründung gewährt, die Versäumung der Beschwerdeeinlegungsfrist beruhe auf einem der Antragsgegnerin nicht zuzurechnenden Verschulden einer Kanzleiangestellten ihrer Verfahrensbevollmächtigten.

Daraufhin haben die Verfahrensbevollmächtigen der Antragsgegnerin die Rechtsbeschwerde für erledigt erklärt. Der Antragsteller hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.

II.

1.

Auf das Verfahren findet das gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG -RG noch bis August 2009 geltende Verfahrensrecht Anwendung, weil das Umgangsrechtsverfahren bereits im September 2007 eingeleitet worden ist.

Die Rechtsbeschwerde war nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie war zulässig, weil die angefochtene Entscheidung nach dem Beschwerdevorbringen die Antragsgegnerin in ihren Verfahrensgrundrechten (Art. 103 Abs. 1 GG ) verletzte und deshalb eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderte (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ).

2.

Dem Antrag, die Erledigung des Rechtsbeschwerdeverfahrens festzustellen, ist stattzugeben.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auch des Senats, kann vom Beschwerdeführer im Rechtsbeschwerdeverfahren die Erledigung einseitig erklärt werden, wenn das erledigende Ereignis als solches außer Streit steht (BGH Beschluss vom 20. Januar 2009 - VIII ZR 47/08 - NJW-RR 2009, 855 Rn. 6 mwN; Senatsbeschluss vom 13. Juli 2005 - XII ZB 80/05 - NJW-RR 2006, 142 , 143). Dies ist hier der Fall. Durch die nach Einlegung der Rechtsbeschwerde vom Oberlandesgericht gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist die von der Antragsgegnerin angegriffene Entscheidung gegenstandslos geworden, ohne dass es ihrer förmlichen Aufhebung bedarf (Senatsbeschluss vom 13. Juli 2005 - XII ZB 80/05 - NJW-RR 2006, 142 , 143). Dadurch entfiel das erforderliche Rechtsschutzinteresse der Antragsgegnerin an der Anfechtung dieser Entscheidung (Senatsbeschluss vom 13. Juli 2005 aaO). Dies gilt auch für die in dem angegriffenen Beschluss enthaltene Kostenentscheidung, die ebenfalls gegenstandslos geworden ist (Senatsbeschluss vom 13. Juli 2005 aaO).

3.

Die Rechtsbeschwerde war auch begründet.

a)

Zwar sieht § 522 Abs. 1 ZPO im Gegensatz zu § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO für den Fall einer Verwerfung eines unzulässigen Rechtsmittels eine Anhörung der Partei nicht ausdrücklich vor. Die Pflicht zur Anhörung des Rechtsmittelführers folgt indessen unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschlüsse vom 24. Februar 2010 - XII ZB 168/08 - FamRZ 2010, 882 Rn. 7; vom 15. August 2007 - XII ZB 101/07 - NJW-RR 2007, 1718 ; vom 13. Juli 2005 - XII ZB 80/05 -NJW-RR 2006, 142 und vom 18. Juli 2007 - XII ZB 162/06 -FamRZ 2007, 1725 ). Art. 103 Abs. 1 GG gibt dem Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, dass er Gelegenheit erhält, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt (hier: zu der vom Oberlandesgericht angenommenen Fristversäumung) zu äußern.

b)

Das Oberlandesgericht hat der Antragsgegnerin vor seiner Entscheidung den erforderlichen Hinweis auf die Fristversäumung nicht erteilt, so dass die Entscheidung allein aus diesem Grund rechtsfehlerhaft ist. Auch der Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem der Prozesskostenhilfeantrag der Antragsgegnerin zurückgewiesen worden ist, enthielt keinen Hinweis darauf, dass dem per Telefax übermittelten Prozesskostenhilfeantrag entgegen der Anweisung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin keine Anlagen beigefügt worden waren. Die Antragsgegnerin hatte daher keine Möglichkeit, sich vor Erlass der angegriffenen Entscheidung dazu zu äußern, wie es zu der Übermittlung des Prozesskostenhilfeantrags ohne die erforderlichen Anlagen gekommen ist. Dadurch wurde die Antragsgegnerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

4.

Mit der Gewährung der Wiedereinsetzung durch das Oberlandesgericht ist dem Begehren der Antragsgegnerin Rechnung getragen. Damit hatte sich ihr Wiedereinsetzungsantrag erledigt.

Vorinstanz: AG Halle-Saalkreis, vom 08.01.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 22 F 1851/07
Vorinstanz: OLG Naumburg, vom 26.05.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 8 UF 37/10