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BGH - Entscheidung vom 10.05.2011

3 StR 108/11

Normen:
StGB § 20
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4

BGH, Beschluss vom 10.05.2011 - Aktenzeichen 3 StR 108/11

DRsp Nr. 2011/10015

Voraussetzungen für die Begründetheit einer Revision wegen fehlender Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgrund verminderter Intelligenz

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 29. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen und zur subjektiven Tatseite der früheren Mitangeklagten aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 20 ; StPO § 349 Abs. 2 ; StPO § 349 Abs. 4 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Raub zur Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen kam der in Beirut geborene Angeklagte im Alter von drei Jahren mit seiner Familie nach Deutschland. Er besuchte eine Schule für Lernbehinderte, die er ohne Abschlusszeugnis verließ. Seine Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte kündigte er. Im September 2006 wurde ihm wegen seiner Lernbehinderung für die Gesundheits- und Vermögenssorge sowie für Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten ein Betreuer bestellt.

Ein Bruder des Angeklagten und zwei weitere Personen kamen am 1. April 2009 mit dem Angeklagten überein, ihn in die Wohnung des P. zu schicken, um herauszufinden, ob dieser im Besitz von Marihuana sei. Die Täter wollten nach ihrem Plan sodann Geld und Drogen "abziehen". Dementsprechend begab sich der Angeklagte in die Wohnung und bestätigte telefonisch, dass dort Marihuana vorhanden sei. Nachdem er selbst die Wohnung zwischenzeitlich verlassen und durch ein Fenster wieder hinein gekommen war, öffnete er auf Anweisung seines Bruders weiteren Beteiligten die Wohnungstür. Der Bruder des Angeklagten und der weitere Mittäter A. schlugen den Geschädigten P. . Dieser offenbarte schließlich aus Angst, dass sich das Marihuana in einer Waschmaschine befinde und er noch fünfzig Euro bei sich habe. Beides nahm A. an sich.

II.

Der Schuldspruch hat bereits aufgrund der Sachrüge keinen Bestand; denn die Beweiswürdigung, mit der die Kammer eine für die Schuldfähigkeit des Angeklagten möglicherweise bedeutsame Intelligenzminderung ausgeschlossen hat, hält materiellrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ermöglicht dem Senat nicht die Prüfung, ob sich das Landgericht rechtsfehlerfrei davon überzeugt hat, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat (uneingeschränkt) schuldfähig war (vgl. KK-Engelhardt, StPO , 6. Aufl., § 267 Rn. 47). Danach kommt es auf die mit gleicher Stoßrichtung erhobene Aufklärungsrüge nicht an.

Nach den getroffenen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten bestand Anlass, eine etwaige Intelligenzschwäche zu erörtern, die das Eingangsmerkmal des "Schwachsinns" im Sinne des § 20 StGB eröffnen könnte. Die Wertung der Kammer, dass das Vorliegen einer Intelligenzschwäche nicht ersichtlich sei, ist angesichts des mitgeteilten Werdegangs des Angeklagten nicht aus sich heraus verständlich. So können schlechte Schulleistungen ein Indiz für eine Intelligenzschwäche darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 1988 - 4 StR 98/88, BGHR StGB § 63 Zustand 8; Urteil vom 9. September 1966 - 4 StR 270/66, NJW 1967, 299; LK/Schöch, StPO , 12. Aufl., § 20 Rn. 151). Dieses Indiz wird nicht dadurch entkräftet, dass dem Angeklagten - im Alter von zwanzig Jahren - nur wegen einer "Lernbehinderung" ein Betreuer bestellt wurde. Auch wenn eine Lernbehinderung grundsätzlich keine Rückschlüsse auf eine Intelligenzminderung zulässt, können beide durchaus einhergehen (vgl. Lammel in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, 2006, S. 376).

Aus den Urteilsgründen ergeben sich keine tragfähigen Gesichtspunkte, die eine für die Schuldfähigkeit möglicherweise bedeutsame Intelligenzminderung ausschließen. Die Begründung der Kammer, ihre Schlussfolgerung ergebe sich auch aufgrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks, lässt eine revisionsrechtliche Überprüfung nicht zu, da die Begründung ihrerseits lediglich das Ergebnis einer Würdigung darstellt und die dieser zugrunde liegenden Tatsachen nicht mitteilt. Weitere Gründe nennt das Urteil dazu nicht. Aus dem konkreten Tatbeitrag des Angeklagten allein ist nicht zu entnehmen, dass etwa eine Beeinträchtigung seiner Steuerungsfähigkeit - insbesondere vor dem Hintergrund des gruppendynamischen Geschehens der von den anderen Tatbeteiligten gelenkten Tat - ausgeschlossen erscheint.

Da die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen ebenso wie zu der inneren Tatseite der früheren Mitangeklagten rechtsfehlerfrei getroffen sind, können diese bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO ). Dies schließt nicht aus, dass die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer dazu ergänzende Feststellungen trifft, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen. Zur Beurteilung der Schuldfähigkeit wird ein Sachverständiger hinzuzuziehen sein (vgl. BGH, Urteil vom 9. September 1966 - 4 StR 270/66 aaO; LK/Schöch aaO).

Vorinstanz: LG Oldenburg, vom 29.10.2010