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BGH - Entscheidung vom 15.02.2011

VI ZR 190/10

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 398 Abs. 1
ZPO § 525 S. 1 1
ZPO § 544 Abs. 7

Fundstellen:
VersR 2011, 817

BGH, Beschluss vom 15.02.2011 - Aktenzeichen VI ZR 190/10

DRsp Nr. 2011/5287

Vereinbarkeit der Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots mit Art. 103 Abs. 1 GG

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 16. Juni 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 50.000 €

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; ZPO § 398 Abs. 1 ; ZPO § 525 S. 1 1; ZPO § 544 Abs. 7 ;

Gründe

I.

Der Kläger, der Bürgermeister der Gemeinde W., verlangt von den Beklagten die Richtigstellung von Äußerungen in einem Beitrag, der am 4. September 2008 um die Mittagszeit im Programm SR 3 Saarlandwelle-Region des Beklagten zu 1 ausgestrahlt worden ist. Die der Sendung zugrunde liegenden Fakten wurden vom Beklagten zu 2 recherchiert. In dem Beitrag wurde u.a. behauptet, dass Mitarbeiter des Bauhofes und des Parkbades der Gemeinde W. gegenüber dem Zeugen St., dem Leiter des Landesbezirks der Gewerkschaft Verdi, darüber geklagt hätten, dass sie mit Videokameras überwacht würden.

Der Kläger bestreitet, dass Beschwerden durch die betreffenden Mitarbeiter geführt worden seien und eine Überwachung erfolgt sei. Die auf dem Gelände des Schwimmbades installierten Kameras seien zum Schutz vor Vandalismus aufgestellt worden. Zwischenzeitlich seien sie wieder entfernt worden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht durfte das Beweisangebot des Klägers auf Vernehmung der betreffenden Bediensteten als Zeugen nicht außer Betracht lassen, obwohl es sich von der Richtigkeit der unter Beweis gestellten Behauptungen nicht überzeugen konnte. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG , wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, NJW 2005, 1487 ).

Zutreffend beurteilt das Berufungsgericht allerdings die angegriffenen Äußerungen nach ihrem Aussagegehalt als Tatsachenbehauptungen, deren Unwahrheit nach allgemeinen Beweisregeln grundsätzlich der Kläger zu beweisen hat (vgl. Senatsurteil vom 22. April 2008 - VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 Rn. 20 mwN). Der Antrag des Klägers war nicht schon deshalb unbeachtlich,

weil er auf eine rechtlich unzulässige Ausforschung des zugrunde liegenden Sachverhalts gerichtet gewesen wäre (vgl. Zöller/Greger, ZPO , 28. Aufl. vor § 284 Rn. 5). Im Streitfall hat der Kläger keine andere Möglichkeit einer Beweisführung, als - wie geschehen - sämtliche Bedienstete der Gemeinde in dem fraglichen Bereich zu Zeugen anzubieten.

Der Beweis einer negativen Tatsache, wie er vom Kläger zu führen ist, begegnet im Allgemeinen besonderen Beweisschwierigkeiten, doch ändert dies noch nicht die Beweislast (vgl. Senat, Urteil vom 16. Oktober 1984 - VI ZR 304/82, VersR 1985, 42, 43 mwN). Den Schwierigkeiten, denen sich die Partei gegenübersieht, die das Negativum (das Nichtvorliegen der Tatsache) beweisen muss, ist im Rahmen des Zumutbaren regelmäßig dadurch zu begegnen, dass sich der Prozessgegner seinerseits nicht mit bloßem Bestreiten begnügen darf, sondern darlegen muss, welche tatsächlichen Umstände für das Vorliegen des Positiven sprechen. Der Beweispflichtige genügt dann der ihm obliegenden Beweispflicht, wenn er die gegnerische Tatsachenbehauptung widerlegt oder ernsthaft in Frage stellt (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1992 - I ZR 220/90, NJW-RR 1993, 746 , 748). Im Streitfall ist den Beklagten die namentliche Benennung der Informanten schon deshalb nicht zumutbar, weil der Zeuge St. auch dem Beklagten zu 2 gegenüber Angaben, mit denen die Identifizierung der Informanten möglich wäre, nicht gemacht hat. Unter diesen Umständen konnte der Kläger nur alle in Betracht kommenden Bediensteten als Zeugen benennen.

Das Berufungsgericht war gehalten, trotz der eidesstattlichen Versicherungen die Zeugen zu vernehmen. Der Annahme, dass diese wahrheitswidrig aus Sorge vor Nachteilen im Arbeits- oder Dienstverhältnis abgegeben worden

seien, liegt eine unzulässige Beweisantizipation zugrunde. Will das Gericht Aussagen aufgrund fehlender Glaubwürdigkeit der Zeugen außer Betracht lassen, hat es sich einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit der Zeugen und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zu verschaffen. Dem entspricht, dass das Berufungsgericht bei pflichtgemäßer Ausübung des ihm durch §§ 525 Satz 1, 398 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen muss, wenn es dessen Glaubwürdigkeit abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. Senat, Urteile vom 29. Oktober 1996 - VI ZR 262/95, NJW 1997, 466 ; vom 10. März 1998 - VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222 , 2223; BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269 , 274 f. mwN). Die Verwertung eidesstattlicher Versicherungen im Wege des Urkundenbeweises ist mangels des persönlichen Eindrucks hierfür ungeeignet.

Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Vernehmung der angebotenen Zeugen zu einem anderen Beweisergebnis und mithin zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre. Schon aufgrund der öffentlichen Stellung des Klägers besteht ein berechtigtes Interesse an der begehrten Richtigstellung bei Erweislichkeit der Unwahrheit der Tatsachen, weil

deren Behauptung das Persönlichkeitsrecht des Klägers in schwerwiegender Weise beeinträchtigt.

Vorinstanz: OLG Saarbrücken, vom 16.06.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 5 U 429/09
Vorinstanz: LG Saarbrücken, vom 30.07.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 462/08
Fundstellen
VersR 2011, 817